Kevin Kühnert hat sich offen zu seiner Homosexualität geäußert. Und wie so häufig kommt die Frage auf: Muss sich jemand öffentlich outen? Unsere Autorin sagt: Ja, gerade jetzt.
JuSo-Bundesvorsitzender Kevin Kühnert ist in aller Munde. Zuerst durch seine Gegenkampagne zur GroKo und nun durch ein Interview im Berliner Stadtmagazin "Siegessäule", in dem er über seine Homosexualität redet.
Die Twitter-Kommentare unter dem Interview reichen von den üblichen stupiden Beleidigungen über Lob und Unterstützung bis hin zu der üblichen Frage: Muss sich heutzutage echt noch jemand zu seiner Sexualität äußern?
Es scheint, dass seit der Debatte und Abstimmung zur Ehe für alle viele Menschen der Überzeugung sind, dass doch alles super ist für die LGBTQ+-Gemeinschaft in Deutschland, und dass alle ihre Sexualität offen und gefahrenfrei ausleben können. Doch das ist ein Trugschluss.
Betrachten wir dazu zuerst mal die Reaktionen auf das Interview. Natürlich gab es, wie oben angeführt, viel Lob und Unterstützung. Aber auch Beleidigungen und Diskriminierungen. Kühnert sagt in seinem Interview, dass diese ihm nichts ausmachen. Aber es gibt auch welche, die mit diesen Beleidigungen eben nicht leben können.
Oder solche, die sich nicht nur vor psychischer, sondern auch vor physischer Gewalt fürchten müssen. Und die hat in Deutschland zugenommen, wie das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der Grünen im vergangenen August bekanntgab. Demnach gab es im Zeitraum Januar bis Juli 2017 135 Gewalttaten gegen Schwule, Lesben oder Transgender. Demgegenüber stehen 102 im gleichen Zeitraum im Jahr 2016. In 2017 waren 35 Straftaten davon politisch motiviert, vier religiös. Dem Rest konnte kein Grund zugeordnet werden.
Und auch international schneidet Deutschland im Vergleich nicht gut ab, wie das Berliner Reiseunternehmen Spartacus in seinem jährlich erscheinenden Gay Travel Guide für Schwule darlegte. Deutschland befindet sich dort nur auf Rang 22, weit abgeschlagen von Schweden und Großbritannien, die als die schwulenfreundlichsten Länder weltweit gelten. Die Bundesrepublik ist damit um acht Ränge im Vergleich zum Vorjahr gefallen.
Als Gründe dafür sieht die Studie zum einen Deutschlands stagnierende Gleichstellung, da es parteipolitisch immer noch Widerstand gibt. Das Bundesland Bayern wollte gegen die Ehe für alle sogar klagen, gab dieses Vorhaben aber inzwischen auf. Zum anderen gibt der Gay Guide auch das rechtspopulistische Klima in der Republik als Grund der Verschlechterung an.
Schlusslichter der Studien sind übrigens weiterhin Jamaika, Russland, der Jemen, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, der Iran und Somalia. Hier drohen LGBTQ+ Verfolgung und sogar die Todesstrafe.
So schlimm ist es in Deutschland glücklicherweise nicht. Dennoch ist auch hier noch viel Arbeit bis zur Gleichstellung zu verrichten. Kühnerts Outing wird dazu politisch nicht direkt beitragen. Allerdings kann sein Interview denen Mut geben, die aufgrund ihrer Sexualität diskriminiert werden. Und alleine dafür war es dann wichtig.
13 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Wieso "Muss"? Muss m.E. nicht; meinetwegen "kann" oder allenfalls "sollte". Sexuelle Orientierung ist Privatsache, die nicht offengelegt werden muss.
Gast am Permanenter Link
Herr Trutnau, kann es sein, dass Sie nicht weiter als bis zur Überschrift gekommen sind, bevor Sie den Kommentar geschrieben haben?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Versteh ich jetz grad nich.
In der Überschrift kommt "muss" doch gar nicht vor...
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das hast du Recht, Hans. Mir persönlich ist es so was von egal, welche sexuelle Orientierung jemand hat. Homosexuelle Menschen müssen gar nichts.
Thomas am Permanenter Link
"Sexuelle Orientierung ist Privatsache, die nicht offengelegt werden muss."
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Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Zwischen "verstecken" und "outen" gibt es eine ganze Bandbreite der Verhaltensweisen. "Verstecken" hieße: Niemand darf etwas mitbekommen.
Wie wäre es mit ganz entspanntem: Ich bin homosexuell, ja und? D.h. homosexuelle Paare verhalten sich in der Öffentlichkeit so, wie sich dort heterosexuelle Paare verhalten. Küsschen, wenn man will, Händchenhalten, umarmen, turteln, Schmusen, was auch immer. Nicht mehr, aber auch nicht weniger...
Thomas am Permanenter Link
"Zwischen "verstecken" und "outen" gibt es eine ganze Bandbreite der Verhaltensweisen."
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"Wie wäre es mit ganz entspanntem: Ich bin homosexuell, ja und? D.h. homosexuelle Paare verhalten sich in der Öffentlichkeit so, wie sich dort heterosexuelle Paare verhalten. Küsschen, wenn man will, Händchenhalten, umarmen, turteln, Schmusen, was auch immer. Nicht mehr, aber auch nicht weniger..."
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All das IST doch Outing in dem Sinne, daß (von der "Normalität" abweichende) sexuelle Neigung öffentlich gemacht wird. In einer mehrheitlich heterosexuellen und partiell ignoranten bis antihomosexuellen Gesellschaft ist das noch immer von einer grundsätzlich anderen Qualität als das gleiche Verhalten von Heteros. Das wird sich nur ändern können, wenn Homos ihr Anderssein aktiv vertreten, statt sich stillschweigend von einer Mehrheit vereinnahmen zu lassen, der sie (in mindestens einer Hinsicht) nun mal nicht angehören. Wie gesagt: der heterosexuelle Mensch (besonders der männliche) neigt dazu, auch jeden anderen erstmal für hetero zu halten. Wenn er sich damit im Irrtum befindet, sollte er das nach Möglichkeit auch erfahren.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ebend: keine Pflicht = kein muss. Ist das so schwierig?
Thomas am Permanenter Link
Ginge es nur um die Frage "(bedingungslose) Pflicht zum Outing oder nicht", wäre Frau Schafflicks Artikel in Teilen oder gar komplett überflüssig gewesen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Sie _wollen_ das nicht verstehen, oder? Ich muss _nicht_ - e basta.
Thomas am Permanenter Link
Ach, lieber Herr Trutnau, lesen Sie doch Frau Schafflicks Artikel und meine Kommentare noch einmal, und VERSUCHEN Sie wenigstens zu begreifen, warum die banale Aussage "muß _nicht_" der Vielschichtigkeit der
langsamdenker am Permanenter Link
Also ich oute mich als hetero. Der Satz liest sich für mich so belanglos wie "das Wetter ist.." Mir persönlich ist wichtig, dass Menschen lieben dürfen wie sie empfinden.
Maik am Permanenter Link
Die Kritik am öffentlichen Outing von Kevin Kühnert zeigt, dass die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit der menschlichen Sexualität noch lange nicht beendet ist.
Die Kritik zielt auf die Erhaltung der Unsichtbarkeit jeder Sexualität, die der herrschenden fortpflanzungsdienlichen Sexualitätskonstruktion nicht entspricht, die für sich „Natürlichkeit“ beansprucht um Legitimation zu begründen und ihre kulturelle Bedingtheit zu kaschieren.
Doch was uns in diesem Zusammenhang als „Natur“ vorgesetzt wird, stammt nicht aus der Beobachtung unserer Natur sondern entspringt vor allem theologischer Fantasie, die wir als unser kulturelles Erbe noch immer mit uns herumschleppen. Weil sich die Unsichtbarkeit in Deutschland durch ein Anti-Homosexualitäts-Propagandagesetz nicht mehr durchsetzen lässt, bleibt nur noch die Kritik am öffentlichen Outing.
Das öffentliche Outing befreit uns alle, heterosexuell und homosexuell Liebende, nicht nur, weil es uns zeigt, dass wir ohne Fortpflanzungsabsicht begehren. Der sich im öffentlichen Outing entblößende Mensch macht unsere Gesellschaft menschlicher, weil er uns zeigt, dass wir unterschiedlich lieben dürfen, ohne uns zu hassen, als Sünder zu beschimpfen oder zu kriminalisieren.
Danke Kevin Kühnert!