Die Ärztin Kristina Hänel ist von der Staatsanwaltschaft Gießen nach § 219a StGB angeklagt worden. Die Verhandlung vor dem Amtsgericht ist am 24. November 2017. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Verbot, öffentlich die ärztliche Dienstleistung des Schwangerschaftsabbruchs anzubieten. Auf Hänels Webseite befindet sich in ihrem Leistungsspektrum unter der Rubrik "Frauengesundheit" das Wort "Schwangerschaftsabbruch".
Jacqueline Neumann, wissenschaftliche Koordinatorin des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), bewertet die Norm des § 219a StGB anhand der einschlägigen rechtswissenschaftlichen Kommentare der ifw-Beiräte Eric Hilgendorf und Reinhard Merkel, sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Ergebnis: § 219a StGB ist verfassungswidrig.
Inhalt der Rechtsnorm
§ 219a StGB
Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
- eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
- Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.
(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird.
Wie die Überschrift des § 219a StGB besagt, handelt es sich bei der Norm um ein Verbot, für den Abbruch der Schwangerschaft zu werben. Bereits der erste Blick in den Normtext zeigt jedoch, dass es nicht nur um die Untersagung von "Werbung" geht, sondern der Tatbestand derart weit gefasst ist, dass damit letztlich ein Informationsverbot statuiert wird. Denn Werbung ist nach dem Duden gleichzusetzen mit "Reklame" oder "Propaganda". Nach dieser Strafnorm genügt jedoch bereits die "Information" über die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes des "Anbietens". Damit gilt ein Verbot für Ärzte und Kliniken, darüber zu informieren, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen ein legaler Schwangerschaftsabbruch erlaubt ist, welche Methoden es gibt, welche Risiken der Eingriff birgt und dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Vor diesem Hintergrund ist eine verfassungskonforme Auslegung auch anhand der Methoden der Gesetzesauslegung, wie sie sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausgebildet haben, nicht möglich. Der Wortlaut des § 219a StGB ist klar und eindeutig und bildet anerkanntermaßen die Grenze zulässiger Auslegung. Die Norm ist aus mehreren Gründen verfassungswidrig:
Kriminalisierung des Vorfelds einer rechtmäßigen Haupttat
§ 219a Abs. 1 StGB differenziert nicht zwischen rechtmäßigen (bzw. tatbestandslosen) und rechtswidrigen Abbrüchen (Gropp in: MüKo, StGB, 3. Aufl. 2017, § 219a StGB Rn. 1f.). Erfasst werden daher auch Verhaltensweisen im Vorfeld rechtlich erlaubten Handelns. Versteht man die Norm folglich als "Vorfeldkriminalisierung", liegt die Verfassungswidrigkeit nach Reinhard Merkel (ifw-Beirat) auf der Hand: "Wenn eine Handlung X und deshalb auch jederlei Teilnahme an ihr rechtmäßig ist, dann kann die bloße vorbereitende Förderung beider, genau genommen nur die Förderung der bloßen Möglichkeit zu beiden, nicht ihrerseits rechtswidrig und strafbar sein" (Merkel in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a StGB Rn. 2).
Auch Eric Hilgendorf (ifw-Beirat) betont, dass eine "Kriminalisierung des Vorfelds einer rechtmäßigen Haupttat" als "sachwidrig" zu qualifizieren sei (AWHH/Hilgendorf BT § 5 Rn. 40).
Woher stammt der Tatbestand des "Werbeverbots"?
Mittelbar soll die Strafdrohung des § 219a StGB dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen (Eschelbach in: BeckOK StGB, 35. Ed. 1.8.2017, § 219a StGB Rn. 1). Hintergrund dessen ist zum einen die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik, als der Tatbestand des "Werbeverbots" in der Strafrechtsreform im Mai 1933 eingeführt wurde. Zum anderen ist die religiöse Vorstellung aus den Glaubensnormen des Christentums prägend, bereits ab der "Beseelung" der befruchteten Eizelle eine Abtreibung mit der strengsten Kirchenstrafe zu belegen ("Exkommunikation") und ein Abtreibungsverbot als "grundlegendes Element" der staatlichen Gesetzgebung einzufordern (Nr. 2273, Katechismus der Katholischen Kirche). Zu den weltanschaulichen Auseinandersetzungen und deren rechtlichen Auswirkungen beim Thema Schwangerschaftsabbruch sei an dieser Stelle auf den Lexikoneintrag von Gerhard Czermak (ifw-Direktorium) verwiesen.
Dem steht hinsichtlich rechtmäßiger Abbrüche jedoch entgegen, dass ein "Recht des ungeborenen Lebens" im Rahmen des § 218a Abs. 1 bis 3 StGB nicht existiert. Deshalb scheidet auch eine Abwägung des ärztlichen Rechts auf Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) mit dem "Recht des ungeborenen Lebens" aus (Merkel in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a StGB Rn. 2). Die Annahme des Landgerichts Bayreuth in seinem Urteil vom 15.09.2005 (2 Ns 118 Js 12007/04), wonach der Arzt im Rahmen der Berufsausübung zwar das Recht hat, die Öffentlichkeit über die von ihm angebotenen Leistungen in seiner Praxis zu informieren, dieses aber das Recht des ungeborenen Lebens tangiere und deshalb zurückzutreten habe, ist folglich unzutreffend. Da der Schutzbereichdes "Rechts des ungeborenen Lebens" nicht eröffnet ist, bedarf es auch keiner Abwägung mit der Berufsausübungsfreiheit des Arztes und diese hat folglich nicht zurückzutreten.
Informationsrecht
Schutzzweck des § 219a StGB ist es ferner zu verhindern, dass sowohl der rechtmäßige als auch der rechtswidrige Schwangerschaftsabbruch als kommerzialisierbare Dienstleistung dargestellt und von der Allgemeinheit als normales Verhalten eingeschätzt werden (Bericht, BT-Drucks. 7/1981 (neu), 17; Eschelbach in: BeckOK StGB, 35. Ed. 1.8.2017, § 219a StGB Rn. 1).
Doch wenn die Kommerzialisierung der Haupttat, nämlich deren Bezahlung, fraglos erlaubte und (zivil-)rechtlich garantierte Normalität ist, dann können kommerziell orientierte öffentliche Hinweise darauf kein strafwürdiges Unrecht sein (Merkel in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a StGB Rn. 2, 3).
In einem System, das für alle Schwangerschaftsabbrüche eine medizinisch angemessene Durchführung als "Staatsaufgabe" (BVerfGE 88, 203, 328) gewährleisten will, stellt die vom Gesetzgeber behauptete Gefahr der "Normalisierung" von Abbrüchen zudem keine Gefahr dar, sondern den Normalzustand (Merkel in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a StGB Rn. 17). Dementsprechend kann die frei zugängliche Information über die Durchführung legaler Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzte aber auch nicht unter Strafe gestellt werden.
Überdies ist eine öffentliche Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit Blick auf die Grundrechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit nicht zulässig.
Die Ärztin Kristina Hänel hat eine Petition erstellt. Darin hebt sie zutreffend hervor:
"§ 219a StGB behindert das Anrecht von Frauen auf sachliche Informationen. De facto entscheiden die Beratungsstellen, wo die Frauen zum Schwangerschaftsabbruch hingehen können, da viele Ärzte eingeschüchtert sind und ihre sachlichen Informationen von den Websites herunternehmen aus Angst vor Strafverfolgung. Auch und gerade beim Thema Schwangerschaftsabbruchmüssen Frauen freie Arztwahl haben und sich medizinisch sachlich und richtig informieren können. Ich bin für das Recht von Frauen, sich im Internet über angebotene Leistungen von Ärzten und Ärztinnen zum Schwangerschaftsabbruch zu informieren. Informationsrecht ist ein Menschenrecht."
Der Staat muss einen Regelungsrahmen bereitstellen
Mit dem "Werbeverbot" hängt auch die Problematik eng zusammen, dass es für Frauen insbesondere in ländlichen Gegenden zunehmend schwierig wird, Ärzte oder Kliniken zu finden, die Abtreibungen durchführen. Anfang 2017 berichteten Medien beispielsweise über den Fall eines Chefarztes, welcher den Ärzten in seiner Klinik mit Verweis auf seinen christlichen Glauben untersagte, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen – und dies, obwohl es sich um die einzige Klinik des Landkreises handelte. In christlich geprägten europäischen Nachbarländern gibt es eine ähnliche Entwicklung. So verweigern in Italien landesweit mittlerweile rund 70 Prozent der Ärzte eine Abtreibung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil vom 30.10.2012 in der Sache P./S. gegen Polen (57375/08, Rn. 106) bezogen auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen jedoch betont:
"For the Court, States are obliged to organise their health service system in such a way as to ensure that the effective exercise of freedom of conscience by health professionals in a professional context does not prevent patients from obtaining access to services to which they are entitled under the applicable legislation"
Demnach muss der Staat einen Regelungsrahmen bereitstellen, welcher es Individuen ermöglicht, ihre Rechte auch tatsächlich wahrzunehmen und durchzusetzen. Das Selbstbestimmungsrecht über den Abbruch einer Schwangerschaft darf nicht nur eine theoretische Option darstellen. Andernfalls verletzt der Staat seine Schutzpflicht aus Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese Fragen nach dem staatlichen Regelungsrahmen stellen sich auch in Deutschland.
Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Norm unumgänglich
Wie ist die rechtliche Situation von Ärztin Kristina Hänel angesichts der Anklage der Staatsanwaltschaft Gießen nach § 219a StGB? Sollte das Amtsgericht Gießen die Strafnorm für verfassungswidrig halten, müsste es das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen (Art. 100 Abs. 1 GG). Einer entsprechenden Richtervorlage kann das Gericht nach hiesiger Auffassung nicht dadurch entgehen, dass es die Norm dahingehend verfassungskonform auslegt, dass lediglich das Anbieten eines rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruches erfasst wird. Denn eine solche Auslegung erfolgte contra legem und wäre damit unzulässig. Das Gebot verfassungskonformer Auslegunglegitimiert nicht dazu, Wortlaut und Sinn des Gesetzes beiseite zu schieben oder zu verändern (BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 –, BVerfGE 88, 203-366, Rn. 374). Gleiches gälte für eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass vom Tatbestand lediglich die offene oder als Information getarnte Propagierung des Schwangerschaftsabbruchs erfasst wird (so wohl Kühl in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 219a StGB Rn. 1), nicht aber die bloße neutrale Information über die Durchführung von Abbrüchen, wie sie vorliegend seitens Frau Hänel erfolgte.
Sollte das Bundesverfassungsgericht mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm befasst werden, weist Reinhard Merkel zutreffend darauf hin (Merkel in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a StGB Rn. 3), dass das Gericht die Norm wohl mit dem Grundgesetz für nicht vereinbar erklären wird. Bereits im Rahmen von Verfassungsbeschwerden betreffend zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung der Verteilung von Flugblättern vor der Praxis eines Frauenarztes, die unter anderem zum Stopp der "rechtswidrigen Abtreibungen" in der Praxis auffordern, führte das Gericht nämlich aus: "Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können." (BVerfG 24.5.2006 – 1 BvR 1060/02, Rn. 43)
Abschließender Kommentar
Die Strafnorm § 219a StGB und viele öffentliche Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser, Staatsanwaltschaft Gießen) sind trotz der entsprechenden Verpflichtung der Verfassung nicht weltanschaulich neutral gehalten. Religiöse, aber auch philosophisch begründete Tabuisierungen von Schwangerschaftsabbrüchen und der Information über die Durchführung selbiger können in einem säkularen Staat jedoch keine Legitimationsgrundlage für mit Kriminalstrafe bewehrte Verbote sein. Mit dem Erlass einer moralisierenden, auf die Durchsetzung einer religiös-weltanschaulich bestimmten Sittlichkeit bezogenen Strafnorm, überschreitet der Staat seine Kompetenzen (vgl. allgemein hierzu Stefan Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. XXXIII f.).
Bund und Länder sollten in Deutschland angesichts der teilweise flächendeckenden Einschüchterung von Ärzten durch "Lebensschützer", die noch dazu wie im Fall der Staatsanwaltschaft Gießen Resonanz durch Staatsorgane erfahren, vielmehr sicherstellen, dass das Selbstbestimmungsrecht über den Abbruch einer Schwangerschaft nicht nur zu einer theoretischen Option wird. Der Staat muss nach der Europäische Menschenrechtskonvention einen Regelungsrahmen bereitstellen, welcher es Individuen ermöglicht, ihre Rechte auch tatsächlich wahrzunehmen und durchzusetzen.
Der § 219a StGB ist abzuschaffen. Denn er folgt religiösen Glaubensvorstellungen und der nationalsozialistischen Weltanschauung, die mit einem demokratischen, weltanschaulich neutralen Rechtsstaat in der Ausrichtung auf die Europäische Menschenrechtskonvention unverträglich sind.
Erstveröffentlichung: Institut für Weltanschauungsrecht (23.11.2017)
9 Kommentare
Kommentare
Ich am Permanenter Link
Wenn ich davon ausgehe, der Mensch sei "beseelt" vom Moment der Verschmelzung der Keimzellen an.
Wenn ich davon ausgehe, das ist alles von Gott geschaffen und so gewollt.
Dann ist die Schlussfolgerung: Gott ist der größte Kindermörder.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Sogar 100% der befruchteten Eizellen sterben irgendwann, sei es vor oder nach der Geburt. Das ist zwar oft sehr traurig, aber dennoch bin ich dankbar, dass es das Leben gibt.
Jemanden, der etwas in die Welt setzt, wissend, dass dieses Wesen später sterben wird, würde ich nicht zwingend als Mörder bezeichnen. Sonst wären ja alle Eltern Mörder, oder?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Was Gott mit den Seelen der gestorbenen Embryonen oder Zygoten vor hat, weiß ich nicht."
Das ist die Dauerausrede, wenn Gläubige mit der Unlogik ihres Mr. Big Zampano konfrontiert werden: "Ich weiß es nicht."
Warum hat "Gott" die Menschheit und Tierwelt fast völlig ausgerottet? "Ich weiß es nicht." Warum hat er den Monstervater von Sodom als (fast) einzigen überleben lassen, als er zwei Städte dem Erdboden gleichgemacht hat? "Ich weiß es nicht." Warum, warum, warum...? Niemand weiß es...
Der einzige Zweck, den ich in der Theologie sehen könnte, wäre es, diese Fragen befriedigend zu klären. Wenn das nicht möglich sein sollte, dann müsste man ehrlicherweise alle theologischen Fakultäten schließen.
"Jemanden, der etwas in die Welt setzt, wissend, dass dieses Wesen später sterben wird, würde ich nicht zwingend als Mörder bezeichnen. Sonst wären ja alle Eltern Mörder, oder?"
Mörder ist man, wenn man jemanden willentlich umbringt. Dies ist im Fall des natürlichen Todes niemals gegeben. Andernfalls wäre Ihr "Gott" ja auch ein Mörder, weil er im Märchen die gesamte Tierwelt (bis auf Bakterien und ein paar andere Mikrowesen) sterblich geschaffen hat, oder?
Das Leben ist ein Selektionsprozess, bzw. wir sind dessen "Mitspieler" - zwangsweise, weil es kein Entrinnen gibt. Nur so konnte sich Leben entwickeln und entfalten. Die Alternative? Kein Leben! Und das finden nicht nur wir beide doof.
Dennis Riehle am Permanenter Link
Auch wenn ich nicht prinzipiell gegen § 219a StGB bin, treibt manches Gesetz doch merkwürdige Blüten.
Grundsätzlich frage auch ich mich, ob § 219a StGB, der ja nicht erst seit gestern besteht, denn tatsächlich verfassungswidrig sein kann - ohne, dass das bisher niemandem so wirklich aufgefallen zu sein scheint. Wäre es anders, hätte man schon lange eine neuerliche Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengen können. Überdies bin ich nicht sicher, ob wir überhaupt ein weltanschaulich neutraler Staat sein können - denn was heißt das konkret? Ist Säkularismus keine Weltanschauung? Und geht es nicht mehr um Ethik und Moral, statt um Weltanschauung und Religion?
Immerhin dreht sich die Frage beim Schwangerschaftsabbruch maßgeblich um die Auslegung des Artikels 1 Grundgesetz, um die Frage, wann Leben beginnt. Die Aussage "Mein Körper gehört mir" greift dann zu kurz, wenn in meinem Körper neues Leben heranwächst. Denn dann geht es nicht mehr allein um mich, sondern auch um ein entstehendes Kind, von dem wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten meinen, es sei lebenswert. Die Einen sehen schon vor der Verschmelzung von Spermium und Eizelle das neue Leben beginnen, Andere mit dem Tag 1, die Nächsten wiederum mit dem 3. Monat der Schwangerschaft - und nochmals Andere wollen erst mit Geburt eines Kindes davon sprechen, dass ein "Mensch" im Sinne von Art. 1 GG entstanden ist.
Natürlich kann diese Fragestellung auch "weltanschaulich" beantwortet werden. Doch "neutral"? Wie kann ich solch eine die Meinungsfreiheit bis aufs Äußerste strapazierende Entscheidung nach objektiven Kriterien einordnen? Das Bundesverfassungsgericht versucht es immer wieder neu. Und ich meine, wenn § 219a mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar wäre, wir hätten es bereits aus Karlsruhe erfahren.
Jacqueline Neumann am Permanenter Link
"Und ich meine, wenn § 219a mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar wäre, wir hätten es bereits aus Karlsruhe erfahren."
Karlsruhe hatte meines Wissens nach noch keine Gelegenheit, uns zu sagen, dass § 219a StGB verfassungswidrig ist. Es gab in den bisherigen Verfahren weder Richtervorlagen noch Verfassungsbeschwerden von nach § 219a StGB Verurteilten. Dies dürfte insbesondere auch daran liegen, dass die Norm rechtspraktisch kaum eine Bedeutung hat und über Jahrzehnte ein Schattendasein führte. Es gab im gesamten Zeitraum von 2010 bis 2014 vier Aburteilungen und davon im Jahr 2010 eine Verurteilung zu einer Geldstrafe. Die weiteren drei Verfahren wurden ohne Verhängung einer Maßregel eingestellt. Wir dürfen als gespannt sein.
Michael Paschko am Permanenter Link
In deinen Überlegungen zur Werbung steckt ein Fehler.
Klaus Bernd am Permanenter Link
"anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt"
Wenn ich den Text richtig lese, ist es aber keinesfalls verboten, auf diese Dienste zum Selbstskostenpreis und auf nicht "grob anstößige" Weise hinzuweisen:
"seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise"
Der Arzt, der in seinem Leistungsverzeichnis, den Schwangerschaftsabbruch aufführt, hat ja allein dadurch keinen Vermögensvorteil; er verdient ja nichts an diesem Eintrag in sein Leistungsverzeichnis, im Gegenteil, das kostet ihn ja sogar einen wenn auch minimalen Betrag; und den Gedanken, dass ein Arzt das auf anstößige Weise oder gar auf grob anstößige Weise tun könnte, halte ich für absurd.
Einen Vermögensvorteil hätte bestenfalls eine von einem Arzt beauftragte Werbeagentur; und welcher Arzt kann sich das schon leisten ?
Ganz auf der sicheren Seite wäre ein Arzt, der den Schwangerschaftsabbruch zum Selbstkostenpreis durchführt.
Man muss allerdings befürchten, dass so mancher Richter sich der klerikalen Hermeneutik unterwirft, und allein die Ewähnung des Wortes "Schwangerschaftsabbruch" als "grob anstößig" interpretiert.
Wirklich "grob anstößig" und in höchstem Maß abstoßend ist, dass diese "Lebensschützer" vom "Baby-Holocaust" reden, oder dass der Fürstbischof von Berlin, Koch, in seiner Grußbotschaft zum "Marsch für das Leben", die Abtreibung mit islamistischem und anderem Terror in Verbindung bringt. Er setzt damit eine ungewollt schwanger gewordene Frau, die die "Pille danach" nimmt, mit einem Terroristen gleich.
Das ist richtig grob anstößig.
agender am Permanenter Link
Auch wenn hier wieder mal Kommentare mit virtuellen Gedankenspielen Raum einnehmen - ifw hat die Seltsamkeiten der Paragrafen 218 und 219 ziemlich gut erfasst.
Juri Brücker ph... am Permanenter Link
Hallo, Kann hier keiner dan Paragraphen 100 %ig erfassen?
Was soll das?
Die Wirkung des Paragraphen ist doch unmissverständlich und eindeutig begrenzt!
Im absoluten Hauptteil des Paragraphen steht:
... seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise...
Wenn ein Jurist also eine Ärztin verurteilt, dann beweist er in diesem Punkt seine Würde-Losigkeit, in dem er mutwillig unterstellt, daß eine Ärztin wegen Vermögensvorteils handelt, anstatt Ihr zuzugestehen, daß Sie aus hohem Anspruch Ihrer Würde handelt.
So ein Jurist handelt also mindestens befangen, wenn nicht sogar Rechtsbeugung der Tatbestand ist.
Artikel 1 des Grundgesetzes, also nicht irgend ein Artikel mitten drinn, oder am letzten Rest des Grundgesetzes befiehlt jedem dümmlichen Juristen, nach welchen Kriterien er sich gefälligst zuallererst zu richten hat.
Die Würde eines Arztes anzugreifen, steht ihm nicht zu, im Gegenteil, hat er sie zu schützen.
Erhebt ein Jurist zu wenig Anspruch auf seine Würde, dann hat er dieses Amt niederzulegen, ersatzweise haben seine Mitmenschen das Recht und die Pflicht demjenigen dem es an Würde mangelt seine Amts-Befähigung abzusprechen.