KÖRPERWELTEN in Regensburg

"Perverser Leichenfledderer"

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Gunther von Hagens' phänomenale Anatomieausstellung "Körperwelten" tourt seit gut 20 Jahren rund um die Welt. In zahllosen Ausstellungen in 23 Ländern – München, Berlin, Wien, Basel, Amsterdam, Krakow, Auckland, Milwaukee, Montevideo u. v. a. – begeisterte sie mittlerweile mehr als 45 Millionen Menschen. 

Der Heidelberger Anatomieprofessor von Hagens ist Erfinder einer Technik, die es erlaubt, einzelne Organe und Gewebeteile Verstorbener, aber auch ganze Körper, durch Austausch des Gewebewassers und Gewebefettes mit einer Kunststofflösung zu "plastinieren", wobei die jeweiligen Gewebestrukturen naturgetreu und vollständig erhalten bleiben. Die Ausstellung "Körperwelten" lässt den Besucher wie in einem dreidimensionalen Lehrbuch die Anatomie des menschlichen Körpers erleben. Von Hagens versteht seine Arbeit als wichtigen Beitrag zu Gesundheitsaufklärung und Volksbildung. Tatsächlich, wie er sagt,  haben die meisten Menschen "von der Funktion und Innenansicht ihres Körpers weniger Ahnung als von der Funktion und Innenansicht ihres Automobils." Durch diese Unkenntnis werden sie in vollkommener Abhängigkeit von der Medizin und ihren Vertretern gehalten. 

Derzeit (und noch bis 6. Mai 2018) sind die "Körperwelten" in der ostbayerischen Provinz zu sehen, genauer: in Regensburg, einem erzkatholisch geprägten Oberzentrum, das als Regierungssitz des Bezirks Oberpfalz und zugleich als Bischofssitz der gleichnamigen Diözese firmiert. Aktueller Oberhirte der Diözese ist der vormalige Münchner Dogmatikprofessor Rudolf Vorderholzer, der neben seinem Bischofsamt den stellvertretenden Vorsitz der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz innehat. 

Dr. Frankenstein?

Letzteres ist in Zusammenhang mit den "Körperwelten" von besonderer Bedeutung, als aus klerikal gebundenen Kreisen heraus bis heute und mit fanatischem Eifer dagegen angegangen wird. An buchstäblich jedem Ort in Deutschland, an dem die Ausstellung bislang zu sehen war, ergingen sich Kirchenvertreter samt ihnen nahestehenden Medien schon vorab in wüsten Beschimpfungen und Anfeindungen gegen von Hagens, der mit Schmähbegriffen wie "perverser Horrorprofessor", "Leichenfledderer" oder "durchgeknallter Dr. Frankenstein" überzogen wurde. Auch in den "sozialen Medien" wurde er aufs Unflätigste bepöbelt: man werde ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen, ihn zerstückeln, mit ihm just so verfahren, wie er das schändlicherweise mit seinen Leichen tue. Inhaltlicher Haupteinwand, sofern denn einer vorgetragen wurde, war die "Sorge um die Menschenwürde": die Plastinate verstießen sowohl gegen die Würde der Verstorbenen – ungeachtet des Umstandes, dass diese zu Lebzeiten ihren Körper freiwillig und ohne Entgelt für die Plastination zur Verfügung gestellt hatten – als auch, wie es etwa im Vorfeld der Ausstellung in München, nicht zuletzt seitens der CSU, hieß, gegen das "sittliche Empfinden der Allgemeinheit". Beides sei durch das Grundgesetz geschützt. Zudem verstoße die Ausstellung gegen das bayerische Bestattungsgesetz, demzufolge Leichen binnen 96 Stunden bestattet werden müssen, es sei denn, sie dienten wissenschaftlichen Zwecken. In den Präparaten von Hagens' indes wollte das Münchner Kreisverwaltungsreferat "keinerlei Wissenschaft" erkennen. Am lautesten forderten Vertreter der Amtskirchen ein Verbot der Ausstellung. Der seinerzeitige Bischofsvikar des Erzbistums München und Freising, Weihbischof Engelbert Siebler, dekretierte: "Gott hat den Leib des Menschen erschaffen. Deshalb kann dieser Leib auch im Tod nicht der Unterhaltung und der Vermarktung für Showzwecke zur Verfügung stehen."

Der Münchner Stadtrat zeigte sich den Forderungen der Kirche gegenüber willfährig, zog sich letztlich aber ganz auf das Bestattungsgesetz zurück: Leichen- und Leichenteile müssen umgehend bestattet werden. Punktum. Gunther von Hagens reichte Klage auf einstweiligen Rechtsschutz ein, sodass seine bereits angelieferten Präparate nicht beschlagnahmt, beschädigt oder gar zwangsbestattet werden durften. Letzteres ohnehin eine witzige Idee: die Plastinate sind unverrottbar, dürfen also laut Bestattungsgesetz gar nicht bestattet werden. Einer zweiten Klage gegen das Verbot selbst wurde vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof in letzter Minute stattgegeben: Die Ausstellung konnte wie geplant durchgeführt werden.

Die Kritik der Kirchen, die auf ihr Monopol im Umgang mit dem toten Körper pochten, ließ gleichwohl nicht nach, im Gegenteil. Anlässlich der Ausstellungseröffnung in Heidelberg etwa, ein paar Jahre nach München,  verurteilte der seinerzeitige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, die "Körperwelten" als "Störung der Totenruhe und voyeuristischen Klamauk". Von Hagens mache den menschlichen Leichnam zum "bloßen Objekt wirtschaftlicher Aktivitäten und zum Gegenstand von Sensationslust". Zur Eröffnung der Ausstellung in Berlin Anfang 2015 führte der evangelische Kirchenkreis Stadtmitte seine traditionelle Aschermittwochsprozession öffentlichkeitswirksam am Ausstellungsgebäude vorbei, so dass die Teilnehmer für die Seelen der plastinierten Toten beten konnten. Pfarrerin Cordula Machoni erklärte dazu wie gehabt, die Körperweltenschau verstoße gegen elementarste Grundsätze der Menschenwürde: "Tote Menschen sind definitiv keine Ausstellungsstücke!". Selbstredend lehnten auch die katholischen Kirchengemeinden Berlins die Ausstellung aus "christlich-ethischen Motiven" ab. 

Leichen im Keller

In Bayern hingegen – und damit auch am aktuellen Ausstellungsort in Regensburg – halten sich die amtskirchlichen Soutanenträger seit der Pleite vor dem bayerischen Verwaltungsgerichtshof auffällig zurück. Selbst von Bischof Vorderholzer war nichts zu hören. Haben sie dazugelernt? Oder scheuen sie einfach die Diskussion um ihre eigenen Leichen im Keller, sprich: um die gerade in bayerischen Kirchen und Klöstern zur Schau gestellten Skelette und Skelettteile all ihrer Heiligen und Märtyrer? In der Münchner Peterskirche beispielsweise ist in einem Glaskasten das komplette Gebein der Heiligen Munditia ausgestellt, der "Schutzpatronin aller ledigen Mütter und sonstiger Stadtdirnen". In der Klosterbasilika von Waldsassen finden sich gar zehn "heilige Leiber": Ganzkörperreliquien der Heiligen Maximus, Vitalinus, Gratianus und sieben weiterer Märtyrer. 

In wenigstens zwanzig Kirchen oder Klöstern in ganz Bayern werden Skelette, Schädel oder sonstige körperliche Bestandteile irgendwelcher Heiliger als "Reliquien" vorgezeigt – in Aufhausen etwa des Hl. Desiderius, in Waldburg der Hl. Romula oder in Irsee der Hl. Eugenius, Candidus und Faustus – die nach dem bayerischen Bestattungsgesetz eigentlich umgehend bestattet werden müssten; zumal sie ersichtlich keinerlei wissenschaftlichem Zwecke dienen. Auch in Regensburg sind in der Basilika von St.Emmeram zwei reich verzierte Skelette zu besichtigen: die der Heiligen Maximianus und Calcidonius. 

Im Gegensatz im Übrigen zu den Plastinaten der "Körperwelten", bei denen durch absolut nichts erkennbar ist, wer die dahinterstehenden Menschen zu Lebzeiten waren, können bei den Reliquien die Menschen, von denen sie (angeblich) stammen, individuell benannt werden. Wie steht es hier mit "Störung der Totenruhe und voyeuristischem Klamauk"?


Am Fr. 20. April 2018 wird der Philosoph und gbs-Beirat Franz Josef Wetz im Rahmen der Ausstellung einen Vortrag halten zum Thema: "Verletzt KÖRPERWELTEN die Menschenwürde und Totenruhe? Die Ausstellung als ethische Herausforderung". Kolpingsaal, Adolph-Kolping-Str. 1, 93047 Regensburg, 19.00 Uhr