Der Politikwissenschaftler Sebastian Gräfe nimmt in seinem Buch "Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen erlebnisorientierten Jugendlichen, 'Feierabendterroristen' und klandestinen Untergrundzellen" im Lichte des NSU einen systematischen Vergleich vor. Die Arbeit beeindruckt durch die intensive Aufarbeitung des Datenmaterials und die systematische Analyse über fünf Untersuchungskriterien.
Das Bekanntwerden der NSU-Serienmorde hat aus ganz unterschiedlichen Gründen eine schockierende Wirkung ausgelöst. Diese bezog sich auch auf die Forschung zum Thema, denn in den einschlägigen Arbeiten fand Rechtsterrorismus zuvor nur kursorisches Interesse. Der NSU wies darüber hinaus gegenüber dessen früheren Formen einige Spezifika auf. Worin diese genau bestehen, wurde nach der Aufdeckung des terroristischen Trios indessen nur sporadisch untersucht. Eine umfassende Arbeit mit einem diesbezüglichen Erkenntnisinteresse hat nun der Politikwissenschaftler Sebastian Gräfe mit dem Titel "Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland" vorgelegt. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Hannah Arendt-Institut an der TU Dresden will darin folgender Leitfrage nachgehen: "Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es mit Blick auf die Ideologie, die Handlungsmuster und die Organisationsprinzipien im Rechtsterrorismus nach der Wiedervereinigung im Vergleich zur Bundesrepublik vor 1990?" (S. 27).
In der Einleitung entwickelt Gräfe die damit einhergehende Fragestellung genauer, wobei ihm folgende fünf Analysekriterien wichtig sind: Ideologie und Entstehungszusammenhang, Gruppenstruktur, Ziele/Opfer der Gewalt, Gewaltintensität und Kommunikationsstrategie. Er nimmt danach diesbezüglich den Rechtsterrorismus vor der deutschen Wiedervereinigung in den Blick. Nach Ausführungen zum politisch-gesellschaftlichen Kontext geht der Autor auf die "Europäische Befreiungsfront", die "Volkssozialistische Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit", die "Wehrsportgruppe Hoffmann", die Kühnen-Gruppe, die "Deutschen Aktionsgruppen" und die "Hepp/Kexel"-Gruppe ein. In gleicher Art und Weise untersucht er danach den Rechtsterrorismus nach der Wiedervereinigung, wobei es ihm ebenfalls nach Ausführungen zum politisch-gesellschaftlichen Kontext dabei um die "Sächsischen Hammerskins", die "Skinheads Sächsische Schweiz", die "Kameradschaft Süd/Schutzgruppe", das "Freikorps Havelland", den "Sturm 34" und dann den NSU geht.
Dem folgt ein systematischer Vergleich bezogen auf die erwähnten fünf Kriterien. Ihm schließt sich eine Betrachtung zum Rechtsterrorismus in anderen Ländern an, dem ebenfalls ein länderübergreifender Vergleich folgt. Am Ende nutzt Gräfe erneut die fünf erwähnten Kriterien, um den NSU mit der RAF zu vergleichen. Deutlich zeigt sich hier: "Es ist nicht angebracht vom NSU als einer Braunen Armee Fraktion zu sprechen, zu viele Unterschiede weist die Gruppe im Vergleich zur RAF auf" (S. 299). Und danach folgt noch eine Bilanz der Untersuchung von zwölf rechtsterroristischen Gruppen aus fünf Jahrzehnten: Sie macht den Entwicklungs- und Wandlungsprozess deutlich. Dabei kommt Gesichtspunkten wie der Gewaltintensität und Organisationsstruktur ein herausragender Stellenwert zu. Gräfe widmet sich bilanzierend dann aber auch der Rolle von externen und internen Faktoren bei der Entwicklung des Rechtsterrorismus. Am Ende geht er noch auf das aktuelle Gefahrenpotential ein, entstanden doch auch nach dem NSU rechtsterroristische Gruppen.
Dem Autor kommt das Verdienst zu, auf breiter Materialgrundlage den NSU vergleichend in die Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus eingeordnet zu haben. Dabei erinnert er auch an heute weitgehend vergessene Gruppen. Die Auswertung von Gerichtsurteilen lieferte ihm dazu die nötigen Erkenntnisse. Gräfe geht systematisch vor, indem er stringent seine fünf Untersuchungskriterien nutzt. Dies geschieht indessen nicht beim ländergreifenden Vergleich, was diesen ein wenig aus der Reihe fallen lässt. Aber bei der Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von NSU und RAF erweist sich die klare Untersuchungsanlage wieder als erkenntnisfördernd. Problematisieren kann man indessen, ob alle von ihm genannten Gruppen als rechtsterroristisch gelten müssen. Die "Wehrsportgruppe Hoffmann" war zwar gewaltorientiert, aber auch rechtsterroristisch? Handelte es sich nicht eher um eine bedeutende"Durchlaufstation" von rechtsterroristischen "Karrieren". Derartige Einwände sprechen aber in der Gesamtschau nicht gegen die Studie.
Sebastian Gräfe, Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen erlebnisorientierten Jugendlichen, "Feierabendterroristen" und klandestinen Untergrundzellen, Baden-Baden 2017 (Nomos-Verlag), 356 S., ISBN 978-3-8487-4515-9, 64,00 Euro
1 Kommentar
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Seb am Permanenter Link
Klingt sehr lesenswert.
Das hätte IMO von der BPB aufgelegt werden sollen.