Rezension

Erste vergleichende sozialwissenschaftliche Studie zum NSU-Rechtsterrorismus

Der Sozialwissenschaftler Daniel Köhler legt mit "Right-WingTerrorism in the 21st Century. The 'National socialist Underground' and the history of terror from the Far-Right in Germany" eine erste vergleichende sozialwissenschaftliche Studie zum NSU-Rechtsterrorismus vor. Positiv fällt die nüchtern und sachliche Herangehensweise auf, verbunden mit einem komparativen Blick auf die Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus.

Keine andere Mordserie hat in Deutschland so große öffentliche Aufmerksamkeit ausgelöst wie die des rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrundes” (NSU). Eine Fülle von Medienberichten erschien dazu. Doch an Büchern mangelte es, lediglich zwei journalistische Darstellungen kamen auf den Markt. Andere Monographien bezogen sich auf die Fehler und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden. An einer Studie, die den NSU-Komplex im Lichte der Geschichte des Rechtsterrorismus betrachtet, mangelte es.

In diese Lücke stößt Daniel Koehler, der Direktor des "German Institute on Radicalization and De-Radicalization Studies" (GIRDS) und Fellow am George Washington University’s Programm on Extremism". Seine englischsprachige Arbeit "Right-Wing Terrorism in the 21st Century. The 'National Socialist Undergrund' and the history of terror from the Far-Right in Germany" will das mörderische Neonazi-Trio in einem vergleichenden Sinne untersuchen. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zu früheren Fällen?

Dazu hat der Autor eine Fülle von früheren Fällen ausgegraben und daraus eine umfassende Datenbasis entwickelt. Deren Grundlage wird zunächst erläutert und danach der Forschungsstand zum Thema aufgearbeitet. Hierbei berücksichtigt Koehler auch die nicht-terroristischen Gewalthandlungen mit rechtsextremistischem Hintergrund. Und schließlich geht hier sein Blick auch über die Landesgrenzen hinaus, wobei Forschungsergebnisse aus Russland oder den USA mit herangezogen werden. Danach beschäftigt er sich mit der Definitionsproblematik, einerseits bezogen allgemein auf "Terrorismus", andererseits dann auf "Rechtsterrorismus". Auch hier blickt der Autor über das enge Verständnis hinaus und berücksichtigt ebenfalls Phänomene wie die "hate crimes". Erst danach beschreibt er die Entwicklung der rechten Gewalt und des rechten Terrorismus im Nachkriegsdeutschland. Immer wieder liefert Koehler hier auch Kategorien und Typologien, welche eine Einordnung des Gemeinten beabsichtigen und Systematik in den Untersuchungsstoff bringen.

Erst nachdem der historische Stoff abgearbeitet ist, geht es um den NSU im engeren Sinne. Hier liefert das Buch die Grundinformationen zu Handlungen und Tätern. Auch das Unterstützernetzwerk wird ausführlich behandelt. Dabei finden sich keine neuen Detailerkenntnisse, was aber auch nicht als Anliegen des Verfassers gelten kann. Dem folgt eine Betrachtung zur Rolle der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden, wobei wilde Spekulationen vermieden werden. Gleichwohl hätte hier auch eine differenzierte Kritik an Fehlern und Versäumnissen stehen können, was aber ebenfalls nicht das eigentliche Erkenntnisinteresse der Studie ist. Dazu kommt der Autor danach, wenn über formale Kriterien der grundlegende Vergleich vorgenommen wird. Ihm folgt eine detaillierte Aufstellung der bestehenden Gruppen von 1963 bis 2015. Gelegentlich wird dabei als Anschlagsziel auch die Regierung genannt, was aber fast nie mit der konkreten Praxis im Zusammenhang stand. Und schließlich gibt es noch eine Bilanz zum Erkenntnisinteresse.

Damit liegt die erste sozialwissenschaftliche Arbeit mit vergleichender Perspektive zum Thema vor. Erstaunlicherweise musste sie in englischer Sprache erscheinen, was die internationale Aufmerksamkeit erhöht. Aber auch in Deutschland selbst wäre eine solche differenzierte Darstellung und Untersuchung wünschenswert gewesen. Der Autor neigt nicht zu Polemiken. Nüchtern und sachlich bringt er seine Untersuchung voran. Damit unterscheidet er sich wohltuend von vielen Arbeiten, die von deutschen Sozialwissenschaftlern vorgelegt wurden. Beachtlich ist die akribische Aufarbeitung und Darstellung früherer gewalttätigen Gruppen in diesem politischen Lager. Dadurch wird auch im historischen Blick die politische Dimension des Phänomens deutlich. Die Ausführungen zum systematischen Verglich hätten noch ausführlicher sein können. Da steckt in dem Dargestellten noch mehr Potential. Gleichwohl hat man es mit einer beachtenswerten und kenntnisreichen Studie zum Thema zu tun. Mehr davon würde die Forschung bereichern.

Daniel Koehler, Right-Wing Terrorismin the 21st Century. The "National Socialist Underground” and the history of terror from the Far-Right in Germany, London – New York 2017 (Routhledge), 270 S.