Studie zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft

Für die große Mehrheit ist Demokratie unerlässlich

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Aufmarsch von Rechtsradikalen in Köln-Kalk (2011)
Aufmarsch von Rechtsradikalen in Köln-Kalk (2011)

Seit 2002 veröffentlicht das Bielefelder Institut für Konflikt- und Gewaltforschung seine Studien zur Verbreitung von "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" in der Mitte der Gesellschaft. In der Ausgabe für 2018/19 findet man wieder beachtenswerte Erkenntnisse über Ausmaß und Verteilung, es sind aber auch kritische Anmerkungen notwendig.

Seit 2002 wird vom Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung untersucht, wie hoch das Ausmaß "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" in der deutschen Bevölkerung ist und wie es bei den gemeinten Einstellungen um Kontexte zu anderen sozialen Merkmalen steht. Alle zwei Jahre erscheinen die Berichte zum aktuellen Stand, welche Daten aus repräsentativen Umfragen präsentieren.

Für die Ausgabe für 2018/19 befragte man 1.890 Personen. In der Buchausgabe werden zunächst Design und Methodik der Umfrage erklärt, wobei auch "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" als Hauptkriterium noch einmal erläutert wird. Es geht den Autoren dabei um die Feindseligkeit gegenüber sozialen Gruppen, die im Kern eine Ideologie der Ungleichwertigkeit darstelle und als Syndrom aus unterschiedlichen Teilen bestehe: Abwertung von Asylsuchenden, Behinderten, Homosexuellen, Langzeitarbeitslosen, Sinti und Roma, Transsexuellen, Wohnungslosen, Antisemitismus, Etabliertenvorrechte, Muslimfeindlichkeit, Rassismus, und Sexismus.

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Nachdem die Daten entsprechend der dazu genutzten Einstellungsstatements präsentiert wurden, geht es noch einmal gesondert um "rechtsextreme Einstellungen", "neue rechte Mentalitäten", "rechtspopulistische Einstellungen", "Verschwörungsmythen" und "Einstellungen zur Demokratie". Am Ende wird noch einmal die Verteilung von entsprechenden Einstellungen in Ost- und Westdeutschland behandelt und dann in der Gleichwertigkeit als Leitbild der Mitte eine Grundlage für den sozialen Zusammenhalt skizziert.

Betrachtet man einige quantitative Ergebnisse, dann laufen diese auf folgende Erkenntnisse hinaus: Die Demokratie sehen 86 Prozent für unerlässlich an, für 93 Prozent stehen Gleichheit und Würde aller an erster Stelle. Zustimmungen zu rechtsextremen Orientierungen seien in Ost wie West aber nur bei 2,4 Prozent auszumachen. Es gebe aber mitunter hohe Negativwerte gegenüber bestimmten sozialen Gruppen, etwa für Muslime mit 18,7 Prozent, Obdachlose 10,8 Prozent oder Homosexuelle mit 8,3 Prozent.

In der Gesamtschau meint man daher entsprechend des Titels: Es bestehe die Gefahr, dass die Mitte ihren festen Boden und ihre demokratische Orientierung verliere. Gegenüber dem Gesamtergebnis wie der ganzen Studie kann Kritik und Lob vorgetragen werden. Zunächst zum letztgenannten Gesichtspunkt: Allein schon dadurch, dass die Studie auf der gleichen methodischen Grundlage bereits seit Jahren regelmäßig durchgeführt wird, lassen sich beachtenswerte Entwicklungen von Einstellungen in der Gesamtgesellschaft verfolgen. Darüber hinaus beschränken sich die Forscher nicht auf die reine Feststellung von Zustimmungswerten, sondern fragen immer nach den Kontexten und damit letztendlich nach den Ursachen. Daraus lassen sich auch zukünftige Entwicklungen oder Gefahrenpotentiale prognostizieren. So zeigt etwa die aktuelle Studie, dass die bislang weniger für derartige Auffassungen anfälligen Jüngeren hier empfänglicher geworden sind. Beachtenswert ist auch der Exkurs zur Verbreitung von Verschwörungsvorstellungen.

Kritikwürdig ist aber, dass nicht wenige der genutzten Kategorien im Verständnis etwas diffus bleiben. Was ist genau mit "Mitte" gemeint – eine politische Mitte, eine soziale Mitte, einmal ist von einer demokratischen Mitte die Rede? Auch bei den Kategorien "rechtsextrem", "rechtspopulistisch" und "neurechts" fehlt es an einer klaren Trennschärfe. Manche Einstellungsstatements messen nicht notwendigerweise das damit eigentlich Gemeinte. Die Ablehnung von "Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein" steht nicht prinzipiell für die "Abwertung asylsuchender Menschen". Und dann ist man auch ein wenig darüber irritiert, warum es nur 2,4 Prozent rechtsextrem Orientierte geben soll, aber gleichzeitig 21,5 Prozent meinen "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" oder 11,4 Prozent meinen "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert". Allein schon aufgrund solcher Antworten verdient die Studie Interesse.

Andreas Zick/Beate Küpper/Wilhelm Berghan, Verlorene Mitte, feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Franziska Schröter, Bonn 2019 (J. H. W. Dietz-Verlag), 327 S.