Reden über die Sklaverei – auch in der nicht-westlichen Welt

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Slaverei-Denkmal auf der Karibik-Insel Martinique.

So berechtigt die Empörung über die Sklaverei in und durch die westliche Welt ist, so darf sie nicht zur Ignoranz gegenüber der Sklaverei in der nicht-westlichen Welt führen. Das Ausblenden der einen wie der anderen Blickrichtung führt zu einem bedenklichen Menschenrechtsrelativismus. Eine kritische Aufmerksamkeit für die nicht nur historische Sklaverei ist nötig, unabhängig von den konkreten Profiteuren und Verantwortlichen.

Bei den Demonstrationen gegen Rassismus im Sommer 2020 wurde immer wieder an eine schändliche Vergangenheit des Westens erinnert: die Praxis der Sklaverei. Sie steht auch für eine Doppelmoral in grundlegen Fragen, etwa der Differenz von konstitutivem Selbstverständnis und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Während etwa die Gleichheit aller Menschen in der Unabhängigkeitserklärung der USA postuliert wurde, waren die Schwarzen der Sklaverei ausgesetzt. Deren Folgen bestehen bis in die Gegenwart hinein, denn der Rassismus blieb, obwohl die Sklaverei überwunden wurde. Auch wenn in den europäischen Ländern ein derartiges gesellschaftliches System nicht vorhanden war, gab es genügend Profiteure von der Sklaverei. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der bedeutsame Denker John Locke, der als einer der Begründer der Menschenrechte gilt, gleichwohl aber Gewinne aus dem Sklavenhandel machte. Es gibt demnach gute Gründe, die folgenreiche Geschichte dieser Menschheitsschande in der westlichen Welt stärker aufzuarbeiten.

Der normative Ausgangspunkt dafür sind die Menschenrechte, leitet sich doch aus dem Bekenntnis zu ihnen die Negierung der Sklaverei ab. Wenn man diese Auffassung teilt, dann darf man aber nicht zur Sklaverei in der nicht-westlichen Welt schweigen. Denn auch in afrikanischen und arabischen Ländern gab es und – man muss es so formulieren – gibt es noch Sklaverei. Dieser konkrete Begriff ist bezogen auf ein gesellschaftliches System: Es geht darum, dass der Besitz eines Individuums in einer Rechtsordnung in einem institutionellen Sinne festgeschrieben ist. Betrachtet man dazu die im zweiten Jahrtausend erfolgte Menschheitsgeschichte, so lässt sich aus der vergleichenden Blickrichtung auf die westliche Welt konstatieren: Es gab ein breiteres Ausmaß und eine längere Existenz der Sklaverei in der nicht-westlichen Welt. Bestärkt wird dieser Eindruck noch durch die Rolle der "Sklavenjäger" in diesem System. Denn es waren meist Afrikaner, die andere Afrikaner fingen und an arabische oder europäische Nutznießer der Sklaverei verkauften.

Die Erinnerung daran gilt als verschwiegenes Kapital, als gesellschaftliches Tabu. Denn eine selbstkritische Aufarbeitung der Geschichte ist nicht nur in der westlichen Welt problematisch. Dort hat aber die historische Forschung einschlägige Menschheitsverbrechen aufgearbeitet, die Ereignisse wurden durch Filme und Literatur einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Gleichwohl herrscht weiter großer Aufklärungsbedarf, was indessen noch mehr für arabische und afrikanische Länder gilt. Der französisch-senegalesische Anthropologe und Ökonom Tidiane N’Diaye hat die dortige Entwicklung aufgearbeitet, woraus sein Buch "Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels" (Reinbek 2010) entstand. Gegenüber seinen konkreten Bezifferungen der Opferzahlen gab es kritische Stimmen. Derartige Einwände können aber nicht gegen das Konstatieren des historischen Sachverhalts selbst sprechen. Die Erinnerungen daran blieben in den dortigen Ländern ein Tabu, gelten sie doch als "Nestbeschmutzung" zugunsten des Westens.

Dies erklärt sich noch mit durch den vergleichenden Blick auf die Praxis der seinerzeitigen Sklaverei in und durch die westliche Welt. Dabei geht es nicht um die Frage, wo und wodurch die Opferzahlen höher waren. Beachtenswert ist auch die Dynamik hin zum Ende der Sklaverei. Dabei wird zunächst deutlich, dass sie in afrikanischen und arabischen Ländern weitaus später als in der westlichen Welt abgeschafft wurde. Dies macht der Blick auf die Jahreszahlen deutlich: In Großbritannien war es 1807 und in den USA 1865, im Iran war es 1928, in Saudi-Arabien 1962. Es kann auch festgestellt werden, dass häufig die europäischen Kolonialmächte in afrikanischen und arabischen Ländern die Sklaverei abschafften. Und dann muss noch an die abolitionistische Bewegung gegen die Sklaverei erinnert werden: es gab eine solche unter aufgeklärten Menschen in der westlichen Welt. Sie entfaltete gesellschaftlichen Druck zu diesbezüglichen Veränderungen. Ähnlich bedeutsame Bestrebungen gab es in den afrikanischen und arabischen Ländern nicht.

Darf man nun, sollte man nun an diese historischen Besonderheiten auch und gerade im Vergleich erinnern? Kann dies nicht auch zur Relativierung der Sklaverei durch und in der westlichen Welt führen? Eine solche Fehlwahrnehmung ist als Gefahr gegeben, wird doch die Geschichte gern von Interessierten so instrumentalisiert. Es gäbe auch gute Gründe dafür, erst einmal die Sklaverei in der westlichen Welt zu thematisieren. Dazu gehört erstens die Aussage, dass man zunächst "vor der eigenen Türe kehren sollte". Dieser Auffassung ist grundsätzlich zuzustimmen, wenn es um die Glaubwürdigkeit der Position geht. Denn ansonsten hätte man es mit politisch motivierten Schuldverschiebungen zu tun. Damit kann auch eine Relativierung der Schande der Sklaverei in und durch die westliche Welt einhergehen. Eine zweite Aussage zugunsten der erwähnten Einstellung bestünde darin, auf die erwähnte Doppelmoral im Westen hinzuweisen: einerseits beschwor man die Menschenrechte, andererseits profitierte man von der Sklaverei.

Dieser Gegensatz von postuliertem Menschenrechtsbekenntnis und praktiziertem Menschenrechtsrelativismus prägte und prägt mit den politischen Westen. Insbesondere um mehr Einklang von Normen und Realitäten zu bewirken, ist eine kontinuierliche und kritische Betonung eines solchen Missverhältnisses hinsichtlich der gesellschaftlichen Wirklichkeit notwendig. Doch ergibt sich daraus dann die Notwendigkeit, über die Sklaverei in der afrikanischen und arabischen Welt zu schweigen? Auch der Einwand, Rassisten nutzten dies zur Relativierung westlicher Schuld, trägt hier nicht. Denn es geht um das Bekenntnis zu den Menschenrechten, woraus die Ablehnung der Sklaverei begründet wird. Wer indessen Menschenrechtsverletzungen auf der einen Seite beklagt und sie auf der anderen Seite verschweigt, der trägt mit zur Relativierung des damit berührten universellen Wertefundamentes bei. Insofern bedarf es mit aller Differenziertheit auch einer kritischen Erinnerung an die Sklaverei in der nicht-westlichen Welt.

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