Kommentar

Silberrücken HARAMBE im Zoo von Cincinnati erschossen

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BERLIN. (hpd) Am Samstag, 28. Mai 2016, ereignete sich ein tragischer Vorfall im Zoo von Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio: ein 4jähriger Junge, von seiner Mutter nicht ausreichend beaufsichtigt, kletterte unter der Absperrvorrichtung am Außengehege der vorgehaltenen Gorillagruppe hindurch und stürzte in den umlaufenden Graben. Zwei Gorillafrauen konnten rechtzeitig abgesperrt werden, der 17jährige Silberrücken HARAMBE aber eilte zu dem Kind und stellte sich mit seinem ganzen Körper darüber; dann zog er das Kind an einem Bein ein Stück durch den knöchelhoch wassergefüllten Graben, richtete es auf und inspizierte es. Dann zog er es erneut quer durch den Graben. Nach zehn Minuten wurde der Gorilla von einem alarmierten Eingreifteam erschossen. Der Junge wurde ohne nennenswerte Blessuren geborgen.

Gorilla HARAMBE ist nicht er erste Menschenaffe, der von Zoomitarbeitern erschossen wurde. Im Mai letzten Jahres erst schafften es die beiden im "Safari-Zoo Sa Coma" auf Mallorca gefangen gehaltenen Schimpansen ADÁN und EVA, aus ihrem Käfig zu entkommen. Während EVA kurzerhand erschossen wurde, gelang es ADÁN, sich unbeschadet aus dem Zoo davonzumachen. Nach drei Tagen fand man ihn tot in einer Klärgrube unweit des Zoogeländes, angeblich sei er dort ertrunken. Wenig später brachen drei Schimpansen aus dem "Oasis-Zoo" auf Fuerteventura aus. Auch hier wurde sofort scharf geschossen, obwohl Zoobesucher zu keinem Zeitpunkt in Gefahr waren. Die Schimpansen KING und FELIPA waren auf der Stelle tot, Schimpansin CHEETAH überlebte schwer verletzt. Auch hierzulande sind Scharfschützen schnell bei der Hand: Anfang September letzten Jahres wurde der aus seinem Käfig im Duisburger Zoo entkommene Orang Utan NIEAS erschossen, weil er, wie es hieß, Menschen hätte gefährlich werden können. Tatsächlich befanden sich zum Zeitpunkt seines Ausbruches keine Besucher mehr im Zoo.

Ob der 180kg schwere HARAMBE den vierjährigen Jungen, der in sein Gehege gefallen war, verletzt oder gar getötet hätte, wie der Cincinnati-Zoo behauptet, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen. Ich habe nur das zweieinhalbminütige Video des Vorfalles gesehen, das im Netz kursiert (wovon Gorilla und Kind nur auf knapp 100 Sekunden zu sehen sind). Ich sehe HARAMBE gestresst – vermutlich durch die schreienden und gestikulierenden Zoobesucher über ihm -,  aber völlig unaggressiv. Auch dass HARAMBE den Jungen durch den Wassergraben zog, ist nicht notwendigerweise als Aggression zu werten. Gorillaexperte Ian Redmond schreibt dazu: "Wenn sie gestresst sind, trommeln Silberrücken sich auf die Brust und zeigen ihre Körperkräfte, oft indem sie Pflanzenbewuchs, Gruppenmitglieder oder andere Objekte (einschließlich Menschen) umherzerren; hier aber gab es keinen weichen Waldboden sondern ein Zoogehege aus Beton und Felsgestein, so dass derartiges Verhalten für die unglückliche Person, die da umhergezerrt wird, sehr viel größeres Risiko bedeutet". Wirklich aggressiv werden Silberrücken nur, wenn sie sich und ihre Familie bedroht sehen, was vorliegend aber nicht der Fall war.

Hätte HARAMBE das Kind verletzen oder gar töten wollen, hätte er das im Bruchteil einer Sekunde tun können. Hat er aber nicht. Nach allem, was auf dem Videoclip zu sehen ist, war es nicht nötig, ihn zu erschießen, um das Kind aus dem Gehege zu bergen. Redmond zeigt eine ganze Reihe sukzessiver Alternativmöglichkeiten auf. "Wenn jemand, den HARAMBE kennt und dem er vertraut, versucht hätte, ihn zu beruhigen, vielleicht indem er ihm etwas angeboten hätte, was sofort seine Aufmerksamkeit erregt hätte wie etwa ein Tablett mit seinen bevorzugten Früchten, hätte vielleicht eine Lösung ausgehandelt werden können (immer mit einem Präzisionsschützen bereit zu schießen, sollte das notwendig werden)."

Angeblich dauerte es 10 Minuten, bis das Eingreifteam des Zoo eintraf und den Gorilla erschoss. Was in den auf dem Video fehlenden Minuten geschah, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nicht, ob die Situation für das Kind sich bedrohlich zuspitzte oder ob das Eingreifteam überreagierte. In zwei anderen Zoos, in denen Kinder in Gorillagehege fielen - Jersey 1986 und Chicago 1996 - passierte jedenfalls gar nichts, niemand wurde verletzt

Das über den Zoo Cincinnati hinausreichende Problem ist die Gefangenhaltung von Wildtieren an sich, zumal von potentiell gefährlichen, die Dilemmata wie das um HARAMBE erst hervorbringen. Im Übrigen, wie US-Tierrechtsprofessor Steven M. Wise schreibt, wurden HARAMBES Rechte schon lange vor seinem tragischen Tod verletzt: "Das Hauptproblem ist, dass der Cincinnati Zoo (wie jeder andere Zoo weltweit) die legale Befugnis hat, solch kognitiv ungemein komplexe und sanfte Tiere als Sklaven zu halten, um Eintrittskarten ans gaffgierige Publikum zu verkaufen; und dass HARAMBE, wie jedes nichtmenschliche Lebewesen, juristisch als 'Gegenstand' galt, dem keinerlei Rechte zustanden, noch nicht einmal das Recht auf Leben oder Freiheit."

Es steht zu hoffen und zu wünschen, dass der weltweit beklagte Tod HARAMBES zu einem beschleunigten Bewußtseinswandel beiträgt, so dass die Haltung und Zurschaustellung von Wildtieren in Zoos, vorneweg von hochintelligenten Spezies wie Menschenaffen, Delfinen oder Elefanten, endlich ein Ende findet. Dann wäre HARAMBE nicht ganz umsonst gestorben. Im Übrigen müssten all die zigMillionen an Steuergeldern, die in die fortschreitende Disneylandisierung der Zoos gesteckt werden, in den Schutz und Erhalt der natürlichen Lebensräume der Tiere fließen. Das wäre wirklicher Tier- und Artenschutz.

Zoos als Schau- und Unterhaltungsbetriebe haben längst keine Existenzberechtigung mehr, sofern sie solche je hatten.