Noch kein Urteil im Spaghettimonster-Prozess

Das Spaghettimonster und die Fakenews

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Im Gerichtssaal
Im Gerichtssaal

Vergangenen Freitag wurde vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht darüber verhandelt, ob der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. das Recht zusteht, mit Nudelmessehinweisschildern an Ortseingangsstraßen auf ihre wöchentlichen Nudelmessen hinzuweisen. Obwohl in der Verhandlung kein Urteil gesprochen wurde, titelten die Medien fast unisono, die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters habe verloren und das Gericht betrachte sie nicht als Weltanschauungsgemeinschaft. Was ist wirklich in der Verhandlung geschehen und wie kam es zu dieser Falschmeldung?

Während beim Spaghettimonster-Prozess in der ersten Instanz vor dem Landgericht Frankfurt/Oder im vergangenen Jahr ein regelrechter Presserummel geherrscht hatte, war die Anzahl von Medienvertretern vor dem Sitzungssaal 014 des Brandenburgischen Oberlandesgerichts am letzten Freitag um 10:00 Uhr überschaubar. Der rbb war mit einem Kamerateam vor Ort sowie der hpd, der die Autorin dieser Zeilen nach Brandenburg entsandt hatte. Außerdem ein Dokumentarfilmer, der für eine Langzeitdokumentation über europäische Pastafari filmte – so die Bezeichnung der Anhänger der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters. Doch nicht nur durch die Anzahl der Medienvertreter unterschied sich dieser Prozess von jenem der ersten Instanz, sondern auch durch das Interesse des Gerichts für die zu verhandelnde Materie sowie seine Vorbereitung derselben.

Rüdiger Weida und sein Anwalt vor dem Gericht, Foto: © Daniela Wakonigg
Rüdiger Weida und sein Anwalt vor dem Gericht, Foto: © Daniela Wakonigg

In der ersten Instanz 2016 hatte das Landgericht Frankfurt/Oder nicht durch sonderliche Aktenkenntnis geglänzt. Die zuständige Richterin hatte demonstratives Desinteresse an dem Fall zur Schau gestellt, es komplett vermieden, auf die zentrale Frage nach dem weltanschaulichen Status der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland (KdFSMD) e.V. einzugehen und sich stattdessen darauf versteift zu klären, ob denn nun 2014 zwischen der KdFSMD und dem Land Brandenburg eine gültige Vereinbarung hinsichtlich des Aufstellens der Nudelmessehinweisschilder geschlossen worden sei oder nicht. Die KdFSMD reklamierte, dass es eine gültige Vereinbarung gäbe, das Land Brandenburg bestritt dies und war der Auffassung, dass wenn es eine Vereinbarung gäbe, diese jedenfalls gekündigt sei. Das Landgericht Frankfurt/Oder schlug sich auf die Seite des Landes Brandenburg und so ging die KdFSMD in die nächste Instanz vor das Brandenburgische Oberlandesgericht in Brandenburg an der Havel.

In der Berufungsverhandlung am Freitag zeigte der 4. Zivilsenat des OLG Brandenburg, bestehend aus drei Richterinnen unter Vorsitz von Richterin Dr. Chwolik-Lanfermann, dass er sich – anders als die Vorinstanz – gründlich auf das Verfahren vorbereitet hatte. Die Verhandlung begann nach Abhandlung der Formalien damit, dass die Vorsitzende Chwolik-Lanfermann den Prozessbeteiligten das Ergebnis der Vorberatungen der Kammer vorstellte. Diese hatte die Materie ausführlich vorberaten und hierbei alle möglichen juristischen Detailfragen aufgedeckt und intensiv erörtert. Dabei kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Frage, ob eine gültige Vereinbarung über das Aufstellen der Schilder vorliege, zweitrangig sei. Zentral sei vielmehr die Frage, ob der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. das Recht zum Aufstellen von Nudelmessehinweisschildern grundsätzlich zustehe oder nicht. Das Recht zum Aufstellen sogenannter Gottesdiensthinweistafeln steht in Deutschland zum einen Religionsgemeinschaften zu, zum anderen Weltanschauungsgemeinschaften, da diese laut Grundgesetz Religionsgemeinschaften gleichgestellt sind.

Dass es sich bei der KdFSMD um eine Religionsgemeinschaft handelt, verneinte das Gericht, da ihr ein ernsthafter transzendenter Bezug fehle. Mit der Frage, ob es sich bei der KdFSMD um eine Weltanschauungsgemeinschaft handelt – als die sie sich im Übrigen selbst betrachtet – tat sich das Gericht wesentlich schwerer. "Wir haben sehr lange überlegt, ob es sich bei der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. um eine Weltanschauungsgemeinschaft handelt", sagte die Vorsitzende Richterin Dr. Chwolik-Lanfermann. Letztlich kam das Gericht in seiner Vorberatung jedoch zu dem Ergebnis, dass es sich bei der KdFSMD wohl nicht um eine Weltanschauung handele. Eine Weltanschauung gäbe auf zentrale Lebensfragen eine ganzheitliche Antwort, so die Vorsitzende Richterin. Bei der KdFSMD vermisste das Gericht jedoch eine solche Antwort und betrachtete sie eher als eine Reaktion auf andere Religionen bzw. Weltanschauungen. Eine reine Reaktion böte jedoch zu wenig Inhalt, um eine eigene Weltanschauung zu sein. Daher schloss das Gericht seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass es dazu neige, die Berufung der KdFSMD zurückzuweisen.

Nun ist die Präsentation der Vorberatungsergebnisse des Gerichts jedoch nur der erste Teil einer solchen Verhandlung. Der zweite besteht darin, dass das Gericht die anwesenden Parteien darum bittet, sich zu diesen Ergebnissen zu äußern und ggf. weitere Argumente vorzubringen. Dies tat die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V., die im Gericht vertreten wurde von ihrem ersten Vorsitzenden Rüdiger Weida (alias Bruder Spaghettus) und ihrem Anwalt Dr. Winfried Rath. Diese trugen vor, dass es sich bei der KdFSMD keineswegs nur um eine bloße Reaktion auf andere Religionen/Weltanschauungen handele. "Religionskritik ist nur ein Teil unserer Gemeinschaft", betonte Weida, "jedoch ist es uns immer schon ein Grundanliegen gewesen, nicht primär gegen, sondern für etwas zu sein." Weida verwies diesbezüglich auf die Satzung der KdFSMD. Dort verpflichtet der Verein seine Mitglieder nicht nur auf wissenschaftliches Denken, sondern auch auf den evolutionären Humanismus, bei welchem es sich um ein eigenständiges ethisches System handele. Die Religionssatire des Fliegenden Spaghettimonsters stelle hierbei lediglich ein Mittel dar, "um in satiretypischer Art intolerante und dogmatische Anschauungen und Handlungen zu überhöhen und zu hinterfragen". Auf diese Weise "fördert der Verein die Verbreitung einer offenen und toleranten Ethik im Sinne des evolutionären Humanismus" und will "die öffentliche Diskussion um weltanschauliche und Wertefrage im Sinn von Humanismus und Aufklärung bereichern".

Aufgrund der Ausführungen der KdFSMD sah das Gericht weiteren Beratungsbedarf. Es verkündete daher im Termin kein Urteil, sondern setzte fest, dass eine Entscheidung nach weiteren Beratungen am 2. August um 9:30 Uhr verkündet werden solle. Mit anderen Worten: Noch ist alles offen. Möglich ist ein Urteil, aber auch eine Fortsetzung des Verfahrens mit Beweiserhebungen. Trotzdem titelten kurz nach Ende der Verhandlung viele Medien, das OLG Brandenburg habe entschieden, dass die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. keine Weltanschauungsgemeinschaft sei. Wie kam es zu dieser Falschmeldung?

Pressevertreter, Foto: © Daniela Wakonigg
Pressevertreter, Foto: © Daniela Wakonigg

Die Medienvertreter vor Ort, die die Verhandlung in voller Länge verfolgt hatten, wussten, dass der Bericht der Vorberatungen des Gerichts nur einen Teil der Verhandlung darstellte, nicht jedoch ihr Ergebnis war. Doch da die meisten Medien keine Pressevertreter vor Ort hatten, griffen diese auf eine Agenturmeldung der dpa zurück. Doch auch dpa wollte offenbar Kosten sparen und schickte keinen Mitarbeiter vor Ort, um die Verhandlung zu verfolgen. Stattdessen rief dpa bei der Pressestelle des Gerichts an und fragte, wie die Verhandlung ausgegangen sei. Die Pressesprecherin, die ebenfalls während der Verhandlung im Gerichtssaal anwesend war, teilte hierbei offenbar mit, dass noch kein Urteil gesprochen wurde, dass das Gericht nach seinen Vorberatungen jedoch dazu tendiert, die KdFSMD nicht als Weltanschauungsgemeinschaft zu betrachten. Dass es einen weiteren Verhandlungsteil gab, in welchem bisher unbeachtete Argumente thematisiert wurden, weswegen das Gericht Zeit für weitere Überlegungen brauchte, fiel in dem Telefonat entweder unter den Tisch oder wurde vom anrufenden dpa-Mitarbeiter als nicht relevant eingestuft. Die aus dem Telefonat resultierende dpa-Meldung lautete jedenfalls wie folgt:

Brandenburg/Havel (dpa/bb) - Die "Spaghettimonster-Kirche" in Templin (Uckermark) ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts Brandenburg/Havel keine Weltanschauung. Das deutete sich am Freitag im Berufungsverfahren an, sagte Gerichtssprecherin Judith Janik auf Anfrage. Der Parodieverein "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters" sieht sich selbst als Weltanschauung. Die Vertreter verlangen deshalb wie bei anderen Kirchen am Stadteingang vier Hinweisschilder zu ihren wöchentlichen "Nudelmessen". Das Landgericht Frankfurt (Oder) hatte zuvor entschieden, dass der Parodieverein nicht als Weltanschauung zu sehen ist. Die endgültige Entscheidung zu der Berufungsklage will das Gericht nach den Angaben am 2. August verkünden.

Eine Meldung, die fehlerhaft formuliert und dadurch im höchsten Maße irreführend ist. Auch wenn im ersten Satz nicht von einem Urteil die Rede ist, wird suggeriert, das Gericht habe bereits entschieden – nämlich, dass die KdFSMD keine Weltanschauung ist. Dass sich dies nur "andeutete" und ein Urteil erst am 2. August verkündet wird, ist zwar dem Rest der Meldung zu entnehmen, doch das kümmerte die Medien, die die Meldung übernahmen, herzlich wenig. Sie orientierten sich am ersten Satz der dpa-Meldung und nutzten diese sogar teilweise als Überschrift – was dem dpa-Mitarbeiter, der sie verfasste, hätte klar sein müssen. Reihenweise meldeten so Zeitungen und Online-Medien fälschlicherweise, die KdFSMD sei laut OLG Brandenburg keine Weltanschauungsgemeinschaft. Einige ergänzten diese Aussage sogar noch um den Begriff "Gerichtsurteil". Unter ihnen übrigens auch die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ), der es ein Leichtes gewesen wäre, einen Mitarbeiter ins Gericht zu schicken, da das Redaktionsgebäude der MAZ in Brandenburg an der Havel nur einige hundert Meter vom OLG entfernt liegt.

Die Falschmeldung über die Spaghettimonster-Verhandlung am OLG Brandenburg, die sich in Windeseile überall in den Medien verbreitete, verdeutlicht auf tragische Weise, dass Fakenews im Journalismus vor allem auch durch Sparwut zustande kommen.

Rüdiger Weida und sein Anwalt sind jedenfalls weiterhin zuversichtlich. Und das selbst dann, falls das OLG Brandenburg am 2. August gegen die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. entscheiden sollte. "Sollte das Gericht in seiner Urteilsbegründung tatsächlich auf die angesprochene Frage der Weltanschauungsgemeinschaft eingehen", sagte Rechtanwalt Rath, "so ist wahrscheinlich der Weg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet". "So oder so - dass es weitergeht, ist sicher", fügte Rüdiger Weida hinzu.

Rüdiger Weida und sein Anwalt bleiben zuversichtlich., Foto: © Daniela Wakonigg
Rüdiger Weida und sein Anwalt bleiben zuversichtlich., Foto: © Daniela Wakonigg