Peter Menne las in Frankfurts "Club Voltaire"

Systemkritik statt autoritärem Vorurteil

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Peter Menne & Michael Töteberg
Peter Menne & Michael Töteberg

Einen langen Titel hat Peter Menne gewählt, als er am Donnerstag über "Fassbinder, Immobilienspekulation, antisemitisches Ressentiment. Ist das Stück 'Müll-Stadt-Tod' heute wieder relevant?" referierte. Im gut besuchten Club Voltaire entwickelte sich eine lebendige Diskussion. Michael Töteberg, der ehemalige Fassbinder-Lektor, führte ins Thema ein.

Wobei es nicht nur um das Drama "Der Müll, die Stadt und der Tod" ging, sondern zugleich um den Roman "Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond" von Gerhard Zwerenz. Vor allem aber ging es Menne um die Frage, ob Literatur die gesellschaftliche Wirklichkeit angemessen spiegelt. Denn die falle – so der Frankfurter Autor und Fotograf – heute wie zu Zeiten der Stückentstehung manchmal krass aus: er erzählte eine Begebenheit, wie schnell antisemitische Vorurteile wieder wilde Blüten treiben, bevor er seine Leitthese vorstellte: "Literaten greifen gesellschaftliche Debatten nicht nur in ihren Texten auf, sondern greifen damit auch in die Debatte ein. Da stellt sich die Frage: Ist's ein kritischer Blick, einer, der Probleme erhellt? Oder ein beschönigender? Gibt das literarische Werk einen Input in Richtung humanere Welt?"

Der Referent verglich die beiden Texte miteinander und wie beide die gesellschaftlichen Verhältnisse reflektieren. Beide erschienen in den 1970ern, doch Peter Menne zeigte auf, dass Fassbinders Drama heute noch bzw. heute wieder hochaktuell ist.

Bei seinem Buch "Die Dramatisierung eines Romans" handelt es sich um seine Magisterarbeit – auch schon etwas älter, doch dieses Jahr erstmals bei Alibri im Druck erschienen. Moderator Töteberg (der im Hauptberuf Literatur für den Rowohlt-Verlag sichtet), betonte, dass das die erste wissenschaftliche Arbeit sei, die mit der eigenwillig verzerrten Rezeption in Deutschland breche. Besonders wertvoll: keine Arbeit, die aus einer Verteidigungshaltung heraus geschrieben sei, sondern ganz nüchtern sowohl auf die Texte wie die zugrundeliegende Frankfurter Stadtpolitik guckte.

Für Menne die entscheidende Frage: wird gefragt, wie das System funktioniert? Oder beschränkt sich die Kritik auf das Verhalten einzelner Personen, ohne systemische Zusammenhänge in den Blick zu nehmen? Dann verkürze sich die Kritik schnell auf die an einzelnen "bösen Buben". Schlimmer: je oberflächlicher der Blick, um so leichter kippt die Sichtweise ins Stereotyp, ins Vorurteil – von denen ein paar immer gleiche seit langem paratstehen.

Foto: © Oliver Kalldewey
Foto: © Oliver Kalldewey

Die Diskussion begann zunächst auf dem Podium, wurde rasch lebendig, als Karlheinz Braun, der Gründungsgeschäftsführer des Verlags der Autoren, Hintergrundwissen zur Stückentstehung und zur Motivation Fassbinders beisteuerte.

Insgesamt folgte der Saal Mennes Resumée, dass "Der Müll, die Stadt und der Tod" "nicht das einzige Theaterstück ist, das sich gegen Vorurteil, antisemitisches oder rassistisches Ressentiment wendet. Genauso ist Theater natürlich nicht das einzige Mittel, sich gegen solche Fehlentwicklung zu stemmen – aber es ist ein mögliches, um Diskussion in Gang zu bringen. Insofern wünsche ich dem Stück, dass es nicht nur international, sondern auch in Deutschland öfter inszeniert wird."

Der Doppelband "Die Dramatisierung eines Romans" erschien im Alibri Verlag.