Wie stehen unsere führenden Politiker eigentlich zur Bibel? Ein Buch gibt jetzt die Antwort.
Die Kunst der Nichtfestlegung und der im Ungefähren wabernden Eingemeindung aller nur denkbaren Standpunkte ist eine Kernkompetenz des Politikertums, sich öffentlich äußern zu müssen, Teil ihres Jobs. Die Erfordernisse der Mediendemokratie haben es notwendig gemacht, dass man im Auftreten sehr entschieden rüberkommen, auf keinen Fall aber den Fehler einer Festlegung machen sollte: Das Amt des Politikers ist dem des Kirchenvertreters dabei gar nicht so unähnlich. Auch dieser muss ja ein möglichst umfassendes Versprechen verkaufen, ohne dabei für irgendeine Konkretion oder Umsetzung jemals einstehen zu können. Predigt und Politik verhökern immer die Vorstellung einer besseren Zukunft, hastenichjesehn wie schön allet wird! Wenn ihr mich wählt.
Fragt man nun namhafte Politikerinnen und Politiker, wie sie es mit der Bibel halten, so bekommt man erstaunlich viele dazu, sich für ein Buch im Kreuz-Verlag zu äußern. Religiöse Menschen sind auch Wähler, noch gibt es ja einige von ihnen, und sie zu umgarnen, sollte besonders leicht möglich sein, wenn es ums Verwurschteln biblischer Sprüche geht, Sonntagsrede und Sonntagsfrage fallen hier in eins: Nichts sollte einem politischen Menschen leichter fallen, als sich irgendwie auf ne Art zur Bibel zu bekennen, diesem ja völlig inkohärenten Klops aus einander widersprechenden und oft unklar gehaltenen Erzählungen und Kalendersprüchen, über die die Jahrtausende sowie Quirl und Hobel der Theologien hinweggegangen sind.
Wenn also ausgerechnet Politikerinnen und Politiker sich zu diesem undurchdringlichen Werk äußern sollen, ist eine Qualligkeit höherer Potenz zu befürchten. Also hat man die Beiträger gebeten, sich nur auf einen einzigen kurzen Auszug zu beziehen. So lässt sich recht präzise beobachten, wie sehr politische Stellungnahmen und theologische Ausdeutungen einander gleichen: Man kann alles, so die Bottomline, exakt so drehen und wenden, wie man will. Und wird am Ende doch immer, irgendwie, recht gehabt und ganz gut ausgesehen haben. Wer lässt sich nicht gern mit Promis ablichten? Wer mag nicht ein textliches Selfie mit dem lieben Gott. Könnerschaft in der Exegese erweist sich darin, jede einigermaßen klare Aussage bei Bedarf auch achselzuckend in ihr exaktes Gegenteil verkehren zu können. Für Politiker ein Leichtes, und dabei auch ein Lehrstück über Theologie: Was die Bibeldeuter seit Jahrtausenden tun, ist ja in Wahrheit gar keine Auslegung ihrer vorgeblich heiligen Schrift. Sondern sie verkünden ihr eigenes politisches Programm und geben ihm das Siegel ihres Gottes, indem sie dieses Programm mit ein paar willkürlich rausgezupften und hingebogenen Bibeldeutungen verzwirbeln.
Den hier angefragten Politikern geht es dann nicht viel anders. So sehr uns ihre Porträtfotos am Funktionieren unserer Wahldemokratie zweifeln lassen, so sehr beruhigt uns die Windigkeit und Wendigkeit ihrer Aussagen: Diese Leute, begreift man, werden zumindest zu jedem Kompromiss in der Lage sein, so beliebig wie die argumentative Logik in ihren Hirnen mit Gottes Hilfe Achterbahn fährt.
Andächtig staunend liest man hier etwa, wie der von der Bibel berührte Minister Seehofer, jener Mann, der über die Abschiebung von 69 Flüchtlingen zu seinem 69. Geburtstag feixte, hier zu wissen gibt: "Für uns Christen ist keiner überflüssig. Und marktgerechte Leistungsfähigkeit darf nicht den Wert eines Menschen bestimmen. Für uns gehört jeder dazu." Natürlich beruft auch sein Parteikollege Markus Söder sich auf "Menschenwürde" als "unveräußerliches Grundrecht" und "Ausdruck der christlichen Idee" und schafft es dabei, seinen Textbeitrag und somit sich selbst mit dem Begriff der "Nächstenliebe" zu schmücken. Dass bei diesem Tamtam die gedankliche Stringenz ("Würde" als "Recht") ins Wanken gerät, ist dabei kein Wunder. Den Politikern, die das sog. Christentum als Monstranz ohne Inhalt vor sich hertragen, ist die argumentative Verkehrung, Zerknickung und Umstülpung ein Leichtes. Immer wieder halten sie sich mit der Frage nach der Bergpredigt auf, und inwiefern man mit ihr Politik machen könne.
Dazu äußert sich etwa CDU-Mann Peter Tauber: "Die Bergpredigt ist sicher einer der politischsten Texte, die ich kenne. (…) Doch klar ist auch: Wer versucht, Politik gemäß der Bergpredigt zu machen, der muss scheitern. Zu radikal, zu kompromisslos ist das, was Jesus da von uns verlangt. Zu schwach, zu unzulänglich sind unsere Möglichkeiten als Menschen."
Die Bergpredigt, wie sie uns überliefert worden ist, ist also die Mutter aller Sonntagsreden, und der Herr Jesus war ja auch nie mit den Niederungen der praktischen Umsetzung befasst: Schöne Worte zum Herzerwärmen und zum Träumen von einer gerechteren Welt, und dann geht’s wieder hinaus in den Kampf ums Überleben und Unterbuttern und in alte Gegnerschaften, etwa auch bei Hessen-Chef Volker Bouffier, der die wörtliche Umsetzung der Bergpredigt als gewiefter Pragmatiker rundheraus ablehnt. Dafür zieht er aus dem Glauben die Streicheleinheiten, welche jeder Christ, per Doppelpass mit dem großen Pappkameraden im Himmel, sich selber spenden kann: "Es ist aus meiner Sicht eine tröstliche Erfahrung, gerade für uns Christen, um die eigene Unvollkommenheit zu wissen und diese anzunehmen, so wie Gott uns in all unserer Unvollkommenheit annimmt."
Das ist eine grobkörnige Übersetzung der Erkenntnis: Ganz gut, was der Jesus so gesagt hat, aber unter uns mal: Drauf geschissen! Wir sind doch alle nur Menschen. Wir wissen doch, wie der Hase läuft, und der läuft eben anders als das Osterlamm. Das christliche Menschenbild ist dabei das einer Kreatur, die von einem übermächtigen Großmeister fehlerhaft angefertigt wurde und daher von deren göttlicher "Gnade" abhänge – kein Menschenbild, auf dem Demokratie gut gedeihen kann. Die Botschaft ist immer mafiös: Klar kann ich ein Arschloch sein und als Arschloch handeln – so ich nur mit dem Oberclanchef gut stehe, der drückt dann schon ein Auge zu.
Freiheit? Auch sie kommt vor in diesem Buch, sie wäre eine Grundbedingung von Menschenrechten und Demokratie, und es ist possierlich, wie sie von christlicher Argumentation verbogen, verknautscht, herumgeschubst und auf den Kopf gestellt wird. Freiheit kommt bei Bouffier in einem Atemzug mit dem Zwang daher, denn sie "muss aus der Gnade des Glaubens erwachsen", wobei, dies angemerkt, "müssen" ja ebenso wenig mit Freiheit kompatibel ist wie "Gnade", schon gar "des Glaubens", mit denen die bizarre Unterordnung unter eine ausgedachte Gottheit gefordert wird. Diese, hier eh schon als Begriff sinnlos gewordene "Freiheit", beschränkt sich bei Bouffier dann nicht auf das "frei von etwas", sondern befähige zum "frei für etwas" – eine wolkige Begriffsverkehrung wie sie nur abnicken kann, wer auch an Leute glaubt, die in den Himmel fliegen.
So geht das Buch dahin, oft denkt ein böswilliger Teil des Stammhirns: Je korrupter und dümmer das eingeklinkte Gesicht auf der Seite, desto salbungsvoller das Bekenntnis zum so genannten Christentum. Da ist es nur folgerichtig, dass die Cleverste von allen das schönste Stück Bibel herausgesucht hat, und zwar eines, das ganz ohne explizite Gottheit auskommt und das jedem denkenden, fühlenden Menschen in all seiner Schönheit viel Freude bereiten kann: Das Hohelied der Liebe. 1. Korinther 13,13. Wird Ihnen hier präsentiert von Angela Merkel.
19 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Ich hätte ja eiskalt diese Stelle beigesteuert:
»Wenn in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt, es in Besitz zu nehmen, ein Erschlagener auf dem Feld liegend gefunden wird, ohne dass es bekannt ist, wer ihn erschlagen hat, dann sollen deine Ältesten und deine Richter hinausgehen und ‹die Strecke› zu den Städten hin abmessen, die im Umkreis des Erschlagenen ‹liegen›.
Und es soll geschehen: Die Stadt, die dem Erschlagenen am nächsten ‹liegt› – die Ältesten jener Stadt sollen eine junge Kuh nehmen, mit der noch nicht gearbeitet worden ist, die noch nicht am Joch gezogen hat, und die Ältesten jener Stadt sollen das Kalb zu einem immer fließenden Bach hinab führen, wo nicht gearbeitet und nicht gesät wird, und sollen dem Kalb dort im Bach das Genick brechen.«
5. Mose 21, 1 – 4
Zusammengesucht in diesem Buch: http://lachsdressur.de/ist-das-wirklich-die-heilige-schrift/
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
"Die Botschaft ist immer mafiös: Klar kann ich ein Arschloch sein und als Arschloch handeln – so ich nur mit dem Oberclanchef gut stehe, der drückt dann schon ein Auge zu."
Damit ist doch alles gesagt, dazu muss man nicht Po-litiker sein!
Kay Krause am Permanenter Link
Das ist richtig, Wolfgang Schaefer! Aber die tägliche Realität beweist uns, dass man mit dieser denkweise Politiker WIRD!
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Wenn man erst einmal Politiker ist, erübrigt sich das Denken.
Denkender Politiker ist gut! Ha, Ha! Denkender Theologe? Tusch!!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hallo Herr Ungerer, Ihr Artikel trifft den Nagel auf den Kopf, genau das ist der Ist-zustand
bei unseren Politikern und kirchlichen "Würdenträgern". Meine Hoffnung geht dahin, dass
Hans Trutnau am Permanenter Link
Na gut, lieber Ungerer; aber selbst die so etwas gedämpfte Qualligkeit bedarf jetzt doch immer noch des sorgfältigen Radizierens, z.B. mittels Seesand, doppelt geglüht.
Werner Helbling am Permanenter Link
Wenn Gott so wäre, wie er uns vorgestellt wird von den Gottesgläubigen, Theologen und Glaubenswürdenträger jeglicher Couleur, kann er unmöglich der Autor dieser Bibel sein.
Den Inhalt dieser, wirklich dümmlichen Bibel, «einem uns über alles liebenden Gott» in die Schuhe zu schieben, ist an Absurdität und Dummheit kaum zu überbieten. Diese Gottheit hätte sich schon längstens über diese gemeine Unterstellung zur Wehr gesetzt. Der liesse sich doch nicht dafür verantwortlich zeichnen.
Das ist für mich der wichtigste Hinweis und Beweis, dass es diese Gottheit in dieser Form und Art so nicht geben kann und die Bibel durch menschliche, machthungrige und kranke Hirne verfasst wurde und weiterhin tagtäglich missbraucht wird.
Aber die Dummheit ist derart verbreitet unter der gesamten Menschheit auf dieser wunderschönen Erde, dass sie sich damit selbst in den Abgrund begleitet. Die oben erwähnten Glaubenvertretern werden dann diesen Vorgang letztlich noch: «als Strafe Gottes» verkaufen wollen.
Eigentlich beruhigend für Politiker/Politikerinnen und die dummgehaltene Menschheit, wenn man dafür letztlich eine Gottheit beiziehen und verantwortlich machen kann! Gemäss AT hat Gott ja seine Schöpfung schon mehrmals zum Teil oder ganz vernichtet, siehe die Sintflut, usw.
Hans Trutnau am Permanenter Link
An der Absurdität ist was dran, Werner Helbling - aber WAS wird da "weiterhin tagtäglich missbraucht"?
Werner Helbling am Permanenter Link
Mit der Bibel und der Figur "Gott", werden Schandtaten jeglicher Art vollbracht und ganze Völker diskriminiert und zumindest Teile davon sogar umgebracht. Siehe dazu tagtäglich die Tagesnachrichten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schön und gut; aber das beantwortet leider nicht meine Frage, die sich aus folgendem Satz ergab:
Was also wird da missbraucht - diese Gottheit, die Bibel oder was sonst?
Und inwiefern wird da etwas "miss"braucht?
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
Ich schüttel nur noch ungläubig den Kopf.
Wenn die besagten Politiker meinen, dass diese Märchen wirklich real stattgefunden haben sollten diese ihren Posten aufgeben, da sich ihre Wahrnehmung verschoben hat und Märchen nicht von Realität unterscheiden können. So eine Person sollte KEINE Politik machen.
Oder aber die besagten Politker verstehen, dass es sich bei den biblischen Texten um Märchen handelt - mehrdeutige Märchen. Warum reden die Politiker aber so als würden sie diese glauben? Selbstverständlich handelt es sich bei der Jesusfigur um eine fiktive Figur - eine Handpuppe der Theologen (Personifikation des Lebens / der Natur - der Menschheit). Wollen mich die besagten Poliker gegebenfalls auf den Arm nehmen? Wollen die besagten Poliker mich desinformieren, desorientieren, manipulieren ...? Dann sollten die Politiker erstrecht abtreten ... - sowas tut man nicht.
Vielleicht sollte man die Politiker anschreiben und fragen was sie sind: Dummes Schaf - dann abtreten oder verlogene Manipulierer ... dann erstrecht zurücktreten und Platz machen für ehrliche Menschen.
Andrea Pirstinger am Permanenter Link
"Ehrliche" Menschen werden keine Politiker.
Kay Krause am Permanenter Link
Ehrliche Menschen erkennen sich nach einem Jahr in der Politik selbst nicht wieder!
CnndrBrbr am Permanenter Link
> Warum reden die Politiker aber so als würden sie diese glauben?
Damit Du sie glaubst.
> Wollen mich die besagten Poliker gegebenfalls auf den Arm nehmen? Wollen die besagten Poliker mich desinformieren, desorientieren, manipulieren ...?
Ja.
Andreas am Permanenter Link
„Stört die Liebe nicht auf, weckt sie nicht, bis es ihr selbst gefällt“
weiter kann ich es nicht auswendig, ich würde aber den gesamten Text zitieren, das beste, das ich zum Thema "Liebe" kenne ...
Wolfgang Kloste... am Permanenter Link
Das Hohelied in Versform:
www.reimbibel.de/Hohelied.htm
Thorsten am Permanenter Link
Christliche (christlich demokratische) "Werte" gut zusammen gefasst:
"Ganz gut, was der Jesus so gesagt hat, aber unter uns mal: Drauf geschissen!"
Und da sind andere politische Richtungen leider nicht ausgenommen:
Im TV-Duell Merkel/Schulz, das ich 2017 im Radio verfolgte, irritierte mich die Frage nach ihrem letzten Kirchgang. Doch die Antworten, den kleinen, folgende Dialog, fand ich sehr aufschlussreich. Beide hörbar überrascht. Wie Kinder beim Schummeln erwischt suchten sie nach Rettung und taten sich Hilfe und Halt suchend sogar kurz zusammen. Das verlieh ihrer (der) ganzen religiösen Verlogenheit Ausdruck.
Ungläubig nahm ich den neuen Feiertag Reformationstag ("gegen die Überzeugung der Bevölkerungsmehrheit eingeführt", hpd 1. März 2018) zur Kenntnis. Und Frage mich: warum? Ein Versuch, Menschen zu Einen? Als religiöse Gemeinschaft? Wären die (erklärten) Menschenrechte (wie vorgeschlagen) nicht besser geeignet, Menschen zu Einen? "Drauf geschissen!". Mit Religion Macht auszuüben scheint sicherer, attraktiver, da braucht es weniger eigene Verantwortung, da kann ich mich auf wen berufen, wenn mir die Argumente ausgehen. Und die Menschen gehen im Nachbarland shoppen. Am Reformationstag im Einen, Allerheiligen im Anderen. Was bleibt ist das schlechte Gewissen. Aber nur, wenn gefragt wird.
Kay Krause am Permanenter Link
Moin Thorsten! Entfährt der Morgenfurz dir schon in aller Frühe,
gab Gott sich ganz besonders große Mühe!
Knie nieder, schieb's nicht auf die lange Bank,
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das 'Duell' harmlos, die Kirchgangs-Frage unerhört, die Reaktionen bigott (ab 27:30 min): https://m.youtube.com/watch?v=_VExII1m1tM