Eine Skizzierung religiöser Denkweisen und Denkverweigerung

In religiösen Fragen muss man Denken wagen

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Ist Glaube mit Vernunft und Logik vereinbar? Und wie sollte man mit Widersprüchen bei religiösen Überlieferungen umgehen? Der Autor plädiert für das Substrahierungsprinzip – bei sich widersprechenden Aussagen zählt keine von beiden. Geht man nach dieser Methode vor, bleibt vom christlichen Glaubenssystem am Ende nicht viel übrig.

Unser Verstand strebt immer danach, Fakten zu erfassen und Zusammenhänge herzustellen. Der Verstand bemüht sich somit unentwegt um Einbettung in bisheriges Wissen, Erfahrung und Logik. Menschen haben jedoch unterschiedliche Interessen und nicht wenige streben danach, andere zu ihrem eigenen Vorteil beherrschen zu wollen. Wer andere Menschen beherrschen will, kann dies nur tun, wenn er seine eigenen egoistischen Motive verbirgt. Und dafür kommt es vor allem darauf an, den Verstand anderer auszuschalten, um Beherrschte, Manipulierte und Opfer keine Zusammenhänge erkennen zu lassen – sei es zwischen Blitz und Donner oder zwischen Ratten und der Pest.

Die Komplexität der Welt bringt es jedoch mit sich, dass eben nicht bei allem maßgebliche Zusammenhänge erkannt werden. Die Möglichkeit, Zusammenhänge zu erkennen, hängt wesentlich vom Bildungsstand und von der Bereitschaft ab, sich überhaupt des eigenen Verstandes bedienen zu wollen.

Das Gesetz der Logik bedeutet, dass kein unlogisches System logische Erklärungen liefern kann: Keiner Religion ist es bisher gelungen, einen Gottesbeweis zu führen oder nur zu belegen, dass ein höheres Wesen in Geschehensabläufe eingreift. Religion kann also gar nicht über den Verstand und logisch vermittelt werden. Nur wenn es gelingt, den Verstand auszuschließen – sei es durch Verhinderung von Erkenntnissen oder Manipulation (ohne Einfluss auf kindliche Gemüter gelingt es kaum, einen Glauben zu installieren) – haben religiöse Vorstellungen eine Chance, als wahr anerkannt und befolgt zu werden. Dazu bedarf es einer Überlieferung und Ausgestaltung, wie es beispielsweise bei den drei Buchreligionen der Fall ist.

Wie kann es aber sein, dass offensichtliche Widersprüche, die sich unweigerlich in diesen Systemen befinden, zu keiner Ablehnung des Glaubens führen? Zum Christentum: Aus den Evangelien sind genügend Widersprüche bekannt, die eigentlich die gesamte Botschaft beziehungsweise Berichte als unglaubhaft erscheinen lassen müssten. Einer behauptet, die Familie Jesu sei von Bethlehem nach Ägypten ausgewandert, ein anderer, dass sie nach Nazareth gezogen sei. Auch drei ganz unterschiedliche letzte Worte eines sterbenden angeblichen Gottessohnes am Kreuz führen nicht zu Zweifeln am Überlieferten. Der Sterbende sieht sich von Gott verlassen und sieht sich dennoch in erfüllter Mission.

Diese sinnstiftende unlogische Ausdeutung durchzieht zwangsläufig die gesamten Überlieferungen. Drei Synoptiker – die Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus – sehen nur Frauen als Zeugen der Kreuzigung. Ein Johannes dagegen sieht auch einen Lieblingsjünger und eine Mutter Maria unter dem Kreuz. Zudem sieht er einen Lanzenstich und eine blutende Leiche. Damit sind wir bei der nächsten Voraussetzung des Glaubens: Für einfache Gemüter muss alles plastisch beziehungsweise sichtbar sein.

Die Erklärung für die sinnfreie Wahrnehmung ist relativ einfach: Da hier keine Logik und kein Verstand mehr hilfreiche Erklärungen liefern kann, greift man zu einem additiven Verständnis. Man addiert Vorhandenes, ohne eine Verbindung zwischen einzelnen Aspekten und Aussagen herzustellen. Glauben setzt voraus, dass das Denken weitgehend eingeschränkt bleibt und sich nicht entfalten kann. Der Gläubige vernachlässigt deshalb die sich doch so grundlegend widersprechenden Darstellungen, wie sie im Text zum Ausdruck kommen, und passt dies in eine übergeordnete Sinndeutung ein. Deshalb erfolgt zum Beispiel in Predigten oft nur eine stichwörtliche Auslegung. Gerne wird unvollständig zitiert oder das Zitat wird aus dem Zusammenhang gerissen. Ein Sinn wird weniger herausgelesen als vielmehr hineingelesen.

Interessant ist beispielsweise das Verhältnis zwischen den Synoptikern und einem Evangelisten Johannes, die man letztlich doch auf eine gleiche Stufe stellt: Obwohl ihm auch von beruflich festgelegten Glaubensvertretern die geringste Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner historischen Genauigkeit zugestanden wird, stellt man seine Darstellungen in den Vordergrund (man denke nur an die zahllosen Bilder eines gekreuzigten Jesus mit Lanzenstich).

Was ist von dieser Art des Glaubens und dessen Inhalt zu halten?

Zum einen ist erkennbar, dass bei Glaubensvermittlung schon immer jeder Bildlichkeit der Vorrang eingeräumt wurde. Zum anderen – und damit zum Kern der hier aufgegriffenen Glaubensfindung – sollte man sich einmal um ein subtrahierendes Verständnis bemühen. Dabei wird man schnell feststellen, dass alles Überlieferte wie ein Kartenhaus zusammenbricht.

Kurz: Die Widersprüche sind nicht zugunsten eines "höheren/wahren" Verständnisses zu addieren (!), sondern wie es die Logik bei Widersprüchen gebietet: zu subtrahieren. Wenn der eine angebliche Zeuge etwas anführt, ein anderer jedoch nicht, so ist die Behauptung durch das Schweigen des anderen als widersprochen und damit widerlegt anzusehen.

Dabei muss man durchaus nicht kleinlich vorgehen wollen. Wenn einer von einem "Haus" spricht und ein anderer von einem "Anwesen" oder "blauen Haus", so ist dies kein Widerspruch, sondern eine unterschiedliche Darstellung. Betreffen die unterschiedlichen Darstellungen jedoch Wesentliches, so gilt das Substrahierungsprinzip und beide Aussagen heben sich gegenseitig auf. Es gilt dann in diesem Punkt: Nichts! Und so beweist das Schweigen der Synoptiker zu einer Auferstehung eines Lazarus eben, dass dies nicht vergessen oder übersehen wurde, sondern dass diese demnach gar nicht stattgefunden hat. So kann man sich Aspekte und Episoden Stück für Stück vornehmen.

Sagt der Gläubige: Ich nehme alles an, was überliefert wurde und addiere Episoden und Aspekte bis zur Absurdität, so sollte ein denk-williger Mensch sagen: Ich kann nur das in Erwägung ziehen, was zweifelsfrei überliefert wurde. Dazu gehört zumindest eine Plausibilität, die bei Widersprüchen gerade nicht mehr gegeben ist.

Widersprüche sind keinen Ergänzungen zugänglich, sondern müssen als Überlieferung einfach gestrichen werden. Wenn drei Evangelisten nichts von einer Verwandtschaft Jesu mit einem Johannes wissen, dann ist dies zu streichen. Wenn keine übereinstimmenden Aussagen vorliegen, wann denn ein Jesus zu einem Gott geworden sein soll, dann ist auch dies zu streichen. Wenn letzte Worte keinerlei Übereinstimmungen zeigen, so sind auch sie zu streichen.

Hier ist zunächst einmal die Rede von textlichen Widersprüchen. Wie sieht es mit dem Schweigen aus? Dies zu beurteilen ist schwieriger, da man nicht erwarten kann, dass unterschiedliche Zeugen zu vollständig identischen Aussagen gelangen. Es kommt somit gerade darauf an, die Aussagen zu gewichten. Handelt es sich um eine Nebensächlichkeit oder um eine zentrale Glaubensaussage? Passen Handlungen und Abläufe überhaupt zusammen?

Theologen sind nicht der Erforschung der Wahrheit verpflichtet

Angeblich hat Paulus den längsten Brief der Antike an die Römer geschrieben, als er sich aufmachte, nach Rom zu reisen. Nirgends wird dem widersprochen. Ist diese Schilderung deshalb denkbar beziehungsweise glaubhaft? Gewiss nicht, denn wenn ein Paulus derjenige gewesen wäre, für den man ihn bis heute ausgibt, hätte dies auch nach seinem Eintreffen in Rom irgendwelche Folgen – Zustimmung, Ablehnung, Begeisterung, Unruhe, was auch immer - auslösen müssen. Doch nichts geschieht. Nichts wird dazu überliefert. Weil zu dieser Zeit  eben gar nichts geschehen war.

Jesus wäre in Nazareth, circa sechs Kilometer von Sepphoris entfernt, aufgewachsen. Dort hätten in seiner Jugend die Römer die Stadt verwüstet und die Einwohner als Sklaven verkauft. Nichts davon findet im Brief Niederschlag. Schon gar nicht bringt Paulus Gewalt mit Römern in Verbindung – ganz im Gegenteil.

Ein Paulus hätte niemals in die römische Provinz Syrien mit der Hauptstadt Damaskus reisen können, um dort irgendwen zu verhaften. Kein Hohepriester wäre auf die Idee gekommen, sich mit der alles beherrschenden Besatzungsmacht Rom, von der alle Juden und auch ein Hohepriester abhängig waren, anzulegen, indem er jemanden mit diesem unausgegorenen Auftrag ins Ausland geschickt hätte. Das ist aus historischen Gründen genauso zu streichen wie ein angeblicher Kindermord durch Herodes.

Aus historischen Gründen kann man auch eine Volkszählung für die gesamte Provinz Judäa vergessen. Es gab im Jahr sechs allenfalls eine Erfassung für Jerusalem, aber keinesfalls für Galiläa – und schon gar nichts, was die Anwesenheit einer gar schwangeren Frau erfordert hätte.

Nur zur Wiederholung: Aus Widersprüchen, Unterschlagenem und Verzerrtem lassen sich keine belastbaren Aspekte anführen, die etwas belegen, was man als die historischen Ursprünge und Quellen des Christentums ansehen könnte. Selbstverständlich werden diese von Gläubigen anerkannt, aber nur, weil sie der Überlieferung einfach glauben und sich dabei unentwegt der Additionsmethode bedienen.

Was also bliebe denn an Denkbarem überhaupt übrig, wenn man Widersprüche als Bestreitungen des gegensätzlich Überlieferten verstehen, Verschwiegenes naheliegend ergänzen und Falsches konsequent als falsch zugrunde legen würde? Wenn man Widersprüche aus der Botschaft subtrahiert? Nichts, was einer Erwähnung wert wäre. Diese Erkenntnis kann ohne tiefgründige theologische Studien erlangt werden. Wer der Theologie vertraut, hat nicht verstanden, dass Theologen nicht der Erforschung der Wahrheit im religiösen Bereich verpflichtet sind, sondern der Bewahrung, Verbreitung und Verteidigung des Überlieferten.

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