Religionen als Kriegstreiber oder Friedensstifter

Wölfe in Schafspelzen?

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Kindergräber auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Nürnberg
Kindergräber auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Nürnberg

Vom 20. bis 23. August wird der Weltkongress von "Religions for Peace" erstmals in Deutschland stattfinden – eine vermeintliche Bastion der Friedensstiftung. Dass aber ein Gewaltpotential – auch zum Beispiel den Buddhisten – allen Glaubensgemeinschaften innewohnt, hat der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser erforscht. Er fordert von den Religionen, dieses aufzuarbeiten, um tatsächlich zur Versöhnung in der Welt beitragen zu können.

Zu der in Lindau am Bodensee stattfindenden 10. Weltversammlung von Religions for Peace werden mehr als 900 Teilnehmer/innen aus rund 100 Ländern erwartet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet die Konferenz. Doch in den Jubelchor zur friedensfördernden Wirkung der Weltreligionen haben sich in der Vorwoche auch kritische Stimmen gemischt, allen voran die von Prof. Hartmut Zinser. Seine scharfsinnigen Untersuchungen führen eindringlich vor Augen, wie selbst Religionen, die Gewaltlosigkeit lehren, Krieg – zum Teil auf umständlich "krummen" Argumentationswegen – immer wieder gerechtfertigt haben.

Eine Weltversammlung der interreligiösen Organisation Religions for Peace (RfP) mit Sitz in New York gibt es etwa alle sechs Jahre. Das diesjährige zehnte RfP-Welttreffen findet erstmals in Deutschland statt. Delegationen etwa aus Israel und Nigeria werden ebenso dabei sein wie Repräsentanten aus dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Kriegsparteien sind, oder verfeindeten Staaten wie Süd- und Nordkorea, Russland und die Ukraine. Dem Veranstaltungssprecher Ulrich Schneider wurde von Domradio die Frage gestellt: "Von Religionskritikern wird oft und gerne gesagt, dass die Welt ohne Religion – also ohne Kreuzzüge, ohne IS – viel friedlicher wäre. Was entgegnen Sie?" Darauf antwortet Schneider: "Insgesamt ist das ja eher eine theoretische Diskussion, wie die Welt ohne Religion wäre. Wir leben mit Religionen und deshalb ist es eben wichtig, dass wir uns zusammensetzen und miteinander reden."

Du sollst nicht töten – gilt für innen, nicht außen

Der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser beantwortet hingegen eine am 16. August im Deutschlandfunk an ihn gestellte Frage grundsätzlich anders. Sie lautete "Was macht Religionen potenziell zu Kriegstreibern?" Dazu führt Zinser aus: "Religionen bilden moralische und solidarische Gemeinschaften mit bestimmten Regeln wie etwa: 'Du sollst nicht töten!' … Aber diese Regeln gelten in der Regel nur für die Religionsgemeinschaft selbst. … Dadurch wird ein Innen und Außen bestimmt – nämlich die, die zur Religion dazugehören und solche, die nicht dazugehören. Für die, die nicht dazugehören, gelten die moralischen Einschränkungen nicht, so dass man über sie auch durchaus mal herfallen kann, einen Kopf kürzer schlagen kann oder sie ausrauben kann. Und das haben leider auch alle Religionen gemacht."

Zwar hätten einige wenige Religionen, wie das Christentum, aus der Friedens- und Nächstenliebe auch eine universale Lehre entwickelt, gibt Zinser an, und deshalb wolle er lieber genauer formulieren: "Das haben Kriegsführer mit allen Religionen gemacht und mit Unterstützung aller Religionen."

Das ist deshalb so leicht möglich, da Glaubensgemeinschaften jeweils bei ihren Anhängern bestimmen, "wie soll ich leben, was darf ich tun, was darf ich nicht tun und was kann ich erhoffen. Die Antworten unterscheiden sich. Damit entstehen Differenzen." Diese wiederum eignen sich durch ihren jeweiligen Alleinvertretungsanspruch auf Wahrheit vorzüglich, auch politisch dazu beizutragen, dass ständig Gewalt und Gegengewalt hervorgebracht wird. Wie diese ausgrenzenden Mechanismen das Kriegspotentials der Religionen fördert, analysiert Zinser in seinem Buch "Religion und Krieg". Angefangen mit dem religiös konnotierten Heldentum bei den Germanen spannt Zinser den historischen Bogen über die Kriegsgötter der Antike und die Theorie vom "gerechten Krieg" zunächst bis hin zum Christentum mit seinen verheerenden Kreuzzügen. In denen sei, so Zinser im Deutschlandfunk, "die Beteiligung am Krieg, das Morden und Töten … zu einer religiösen Handlung" geworden, mit der man Ablass und das ewige Leben und Himmelreich erwirbt. Als zeitgenössisches Beispiel möge man sich in Nordirland die Statements und Reden der Pfarrer auf beiden Seiten durchlesen, wo mit Religion kriegerische Kämpfe gerechtfertigt werden. Im Islam wäre vor allen Dingen sein Alleinwahrheitsanspruch das Problem.

Auch asiatische Religionen nicht friedfertig

Der Hinduismus, schreibt der Autor, werde im Westen – anders als Christentum und Islam – als besonders friedfertig angesehen. Dies sei jedoch verzerrt, da man dabei die Lehre von der Gewaltlosigkeit (ahimsa), die für die meisten indischen Asketen gelte, auf den Hinduismus als Ganzes projiziere. In der zentralen Schrift aus dem bekannten Epos "Mahabharata" gelte der Krieg im Hinduismus beispielsweise als ehrenvolles Feld, so der Autor. Und im Hinblick auf den Buddhismus gibt er zu bedenken, dass dessen Würdenträger und Mönche immer wieder in Kriege verwickelt waren. Er weist dabei auf den indischen Herrscher Ashoka (3. Jahrhundert v. u. Z.) sowie auf verschiedene Theorien des Mahayana-Buddhismus, um Tötungsakte zu rechtfertigen. (Siehe dazu auch: Das andere Gesicht des Buddhismus)

Insgesamt gesehen würden sich die Religionen hinsichtlich Gewaltpotential nichts nehmen, so Zinser. Es gebe in den drei monotheistischen Religionen, auch in den heiligen Schriften der Juden, sehr viele Gewaltnarrative. Zwar habe sich zum Beispiel der Islam durchaus Beschränkungen auf das Kriegführen auferlegt, zugleich stünden im Koran eine Unmenge von Versen, die man kriegstreibend interpretieren kann und die das auch ganz klar so sagen. Im Neuen Testament, genauer in den Evangelien gebe es nur zwei so interpretierbare Sätze, aber dafür würde in der Apokalypse in Gewalthandlungen nur so geschwelgt. Als entscheidenden Punkt sieht Zinser an: "Wenn es durch die Geschichte geht, sind diese Lehren auch immer wieder in allen Religionen angewandt worden. Es ist dann nur eine Frage der Situation und der Zeit, wann und ob eine Gruppe meint, jetzt zu den Waffen greifen zu müssen und religiös rechtfertigt, dass sie Krieg führen darf und kann." Außerdem können religiöse Gewaltpassagen Menschen leicht dazu irreleiten, sich selbst mörderische Allmacht zuzuschreiben und Omnipotenzfantasien zu entwickeln.

Gerade in den letzten Jahren führen religiöse Konflikte weltweit zu immer unlösbareren, sich aufschaukelnden und nicht enden wollenden Blutbädern. Da gibt es Israel und Palästina oder auch Myanmar, wo von buddhistischer Seite die Massaker an den muslimischen Rohingya verteidigt werden. Aber auch die USA mögen ein Beispiel sein, wo Präsident Trump Muslime aus den USA aussperren will. Wie kann Religion da zur Verständigung und Friedensförderung beitragen?

Mehrheit sieht Religionen als versöhnungsstiftend

Als positives Beispiel nennt Schneider im Domradio den europäischen Krieg in Bosnien-Herzegowina vor 25 Jahren. Dort hätte Religions for Peace "Muslime, Orthodoxe und Katholiken an einen Tisch gebracht und eine Gesprächsebene gefunden, die die Grundlage für den Friedensvertrag von Dayton, Ohio, geschaffen hat." Diese Friedensleistung aber, beklagt Schneider, "bekommt wenig Öffentlichkeit".

Dabei scheint diese Klage über mangelnde Würdigung und Wertschätzung unbegründet. Denn obwohl religiös motivierte kriegerische Auseinandersetzungen und blutige Konflikte offensichtlich sind, vertreten mit 56 Prozent die Mehrheit der Deutschen die Ansicht, dass die Weltreligionen grundsätzlich einen wichtigen Beitrag zum Frieden leisten. Als besonders hilfreich werden dabei laut einer Yougov-Umfrage ihre Aufrufe zur allgemeinen Versöhnung und ihre konkreten Gesprächsangebote, auch auf politischer Ebene, angesehen. Dazu zumindest indirekt beitragen dürften Formate wie diese Konferenz der größten religiösen Nichtregierungsorganisation Religions for Peace.

Schneider verweist auf die Realität, dass Religionsvertreter bei politisch-internationalen Friedensbemühungen oder Waffenstillstandsverhandlungen immer öfter mit am Tisch sitzen. Zum Weltkongress vertreten sein werden natürlich die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Islam und Christentum (mit ca. 300 Vertreter/innen als größte Gruppe) sowie Buddhisten und Hindus sowie zahlreiche kleinere Glaubensgemeinschaften, darunter auch indigene aus Amerika. Die Veranstalter gehen von insgesamt 17 Religionsgemeinschaften aus, die sich zum RfP-Kongress treffen unter dem Motto: "Für unsere gemeinsame Zukunft sorgen – das Gemeinwohl für alle fördern". Die Vertreter/innen der Glaubensgemeinschaften werden auf dem Weltkongress sowohl öffentlich als auch – bei heiklen Konstellationen – in geschützten Räumen miteinander ins Gespräch kommen können.

Zinser hat sein Forschungsinteresse auf die grundlegendere Fragestellung des Kriegspotentials von Religionen fokussiert. Dabei ist auch er sich bewusst, dass es ohne einen Frieden zwischen diesen aber auch gar keine Aussicht auf das geben könnte, was Kant wohl meinte, als er vom ewigen Weltfrieden sprach. Deshalb, so Zinsers Schlussfolgerung, muss von den Amtsträgern und Anhängern der Religionsgemeinschaften gefordert werden, "dass sie selbstkritisch ihre kriegstreibenden Tendenzen bedenken und eindeutig alle Kriege abweisen und dies auch gegen Positionen und Gruppen innerhalb ihrer eigenen Reihen vertreten. Erst dann könnten Religionen zu friedensstiftenden Instanzen werden."

Auswärtiges Amt – Mönch als Referatsleiter "Religion und Außenpolitik"

Zur Eröffnungsfeier der Weltreligionskonferenz sind laut Vatican News der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, angekündigt. Ebenfalls ihre Anreise zugesagt haben danach Bartholomaios I., Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, aus Südafrika Ela Gandhi, Enkeltochter von Mahatma Gandhi, aus Indien Kezevino Aram, die Leiterin eines hinduistischen Friedenszentrums, sowie aus Japan Kosho Niwano, Führerin einer neo-buddhistischen Bewegung.

Das viertägige Treffen wird finanziell unterstützt von der Bayerischen Staatsregierung sowie vor allem vom Auswärtigen Amt, inhaltlich begleitet von dessen Referat "Religion und Außenpolitik". Für dieses ist zurzeit federführend der Benediktinerpater Nikodemus Schnabel zuständig. Sein Aufgabenbereich spannt einen weiten Bogen von der Kontaktpflege zu Religionsvertretern bis hin zu religionspolitischer Weiterbildung der Diplomaten im Auswärtigen Amt. Pater Nikodemus beschreibt dies im Domradio so: "Es geht im Kern darum, innerhalb des Auswärtigen Amtes Sensibilität und Kompetenz für den Faktor Religion zu stärken – das ist auch Teil der Auswärtigen Kulturpolitik. Und es geht darum, nach außen hin in den Dialog zu treten mit Religionsvertretern, um mit ihnen über ihre friedens- und gesellschaftspolitische Verantwortung zu sprechen, die sie für diese Welt haben. 84 Prozent der Menschheit bekennen sich zu einer Religion. Wer so großen Einfluss hat, hat Verantwortung – und über diese Verantwortung wollen wir ins Gespräch kommen! Oft wird ja der Schluss gezogen, dass Religionen entweder Probleme schaffen oder Probleme haben. … Aber es ist doch eine extrem verengte Perspektive, Religionen nur aus diesem Blickwinkel zu betrachten …, weil Religionen ein enormes Potenzial im Bereich Frieden und Versöhnung haben. Im Bereich von Mediation und Friedenserziehung leisten sie Beachtliches." Im Bereich der Diplomatie stellt der 40-jährige Nikodemus fest: "Wir erleben gerade einen spannenden Wandel. … Letztlich geht es darum, dass es mit den Religionsgemeinschaften Akteure gibt, die einen anderen Blick auf die Welt haben als den klassisch geo-, sicherheits- oder wirtschaftspolitischen."

Zinser: Religion muss entpolitisiert und selbstkritisch werden

Was macht aber ein Mönch im Habit unter Diplomaten und Beamten im Auswärtigen Amt? Jedenfalls nicht das, was Zinser dringend empfiehlt.

Ihm zufolge müsste den Religionen die Friedfertigkeit zunächst erst aufgedrängt werden. Dies hätte der Staat, die Gemeinschaft oder die Situation zu leisten. Zu denken sei an den Dreißigjährigen Krieg (Siehe auch: Herfried Münkler: Konfessionen als Brandbeschleuniger) Zinser erläutert: "Der wurde aus religiösen Gründen geführt oder damit begründet, nämlich zwischen Protestanten und Katholiken und Calvinisten. Zum Schluss des Krieges wurde ein großartiger Frieden geschlossen, der Westfälische Frieden 1648. Darin lautete es als eine der Hauptbestimmungen, dass Religion kein Grund mehr für Krieg sein darf und alles zu verhindern ist." Seitdem hätte es in Europa bis zum 1. Weltkrieg praktisch keine religiösen Begründungen mehr für Kriege gegeben. "Das heißt nicht", ergänzt Zinser, "dass nicht für jeden Krieg die Hilfe Gottes angerufen wurde, Gottesdienste abgehalten wurden und es Militärpfarrer gab und so weiter."

Auf die Frage, was aus seiner Sicht die Verantwortlichen in den Religionsgemeinschaften vorrangig tun müssten, antwortet der Religionswissenschaftler im Deutschlandfunk: Man müsse "… sich klarmachen, was ihre Religion in ihrer Geschichte alles zu Krieg beigetragen hat, das nicht wegdrücken …. Sie müssen gegenüber sich selber ehrlich sein. Das muss alles auf den Tisch, was dort an kriegerischen Lehren vorhanden ist. … Sicherlich gibt es in allen Religionen friedfertige Momente, das ist gar keine Frage, und es gibt auch Gruppen …, die auf diese Seite der Religionen großen Wert geben. Aber es gibt andere, die das eben nicht tun. Da müssen wir drauf drängen, dass die Religionen, und zwar alle Religionen, ihre eigene Kriegsbereitschaft und ihr eigenes Potenzial zum Kriegführen sehr kritisch sehen."

Zinser stellt sich also offensichtlich dem Trend, das Religiöse in die Politik oder Diplomatie vermehrt einzubeziehen, entgegen: "Andersfalls – ohne eine Entpolitisierung und Neutralisierung der Religion – ist ein gemeinsames Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen kaum vorstellbar, höchstens in der Form, dass die einen sich unterordnen unter die anderen."