BERLIN. (hpd) Pünktlich vor Weihnachten werden die Menschen in die Kinos strömen: Star Wars Episode VII. Fans der alten Reihe spüren ein Erwachen der Macht und werden so langsam unruhig. Hpd-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger, Fan der Reihe und Star-Wars-Agnostiker erkennt in seinem Umfeld erstaunliche Tendenzen.
Vielleicht bin ich ja kein vertrauenswürdiger Mensch, aber diese Kolumne muss mit zwei Anekdoten beginnen. Die Erste ist ein Gespräch zwischen einer Freundin und mir, das sich vor Kurzem abspielte. Sie sagte in einer Mischung aus Verlegenheit und Schamgefühl:
"Kann ich Dir ein Geheimnis verraten?"
"Ja, kannst Du."
Nach einem tiefen Einatmen gewährte sie einen tiefen Einblick: "Ich freue mich auf den neuen Star-Wars-Film."
Zugegeben, nicht die Art von Geheimnis, die ich erwartet hätte, aber durchaus Verständnis. Eigentlich mag sie den Regisseur der anstehenden Episode VII nicht.
Die Zweite handelt von einem guten Freund, Student der Philosophie und Atheist. An Letzterem zweifle ich seit einiger Zeit. Auch hier: Star Wars Episode VII. Seine Begeisterung für den bald im Kino erscheinenden Streifen steigert sich ins Unermessliche, dass er mit Funkeln in den Augen auf Abenden stets die neuesten Details aus Filmvorschauen erzählt. Sichtlich angegriffen reagiert er derzeit auf Witze über seine Krieg-der-Sterne-Manie und gab zuletzt offen selbstironisch zu: Er spüre eine Verletzung seiner religiösen Gefühle.
Türkische Jedi-Tempel
Haben diese seltsamen Verhaltensweisen in meinem Freundeskreis denn tatsächlich etwas mit Religion zu tun? In mehreren Ländern bekennen sich Menschen in Anlehnung an den Orden der "Jedi" in Star Wars zum sogenannten "Jediismus". Bei einer Volkszählung im Jahr 2001 in Australien bekannten sich 70.000 Menschen zur Jedi-Religion, 2011 in Tschechien 15.000. Deutsche Jedis haben sich in Internetforen zusammengeschlossen, folgen einem selbstverfassten Kodex, der sich das Wissen über die fiktiven Jedi Filmen und Büchern entlehnt. In der Türkei forderte jüngst eine Online-Petition von Studenten die Errichtung von Jedi-Tempeln – ein satirischer Protest gegen den Islamisierungsprozess unter Präsident Erdogan, an dem sich über 8000 Menschen beteiligten.[1]
Mehr als Satire
Sind die Jedis, in den Filmen die enthaltsamen, kampfbegabten Hüter der "hellen Seite der Macht", einer unsichtbaren Kraft über die Dinge, einfach Religionssatire oder Religion? Im türkischen Beispiel klar Satire, doch einige Forscher gehen weiter. Jörg Stolz verweist auf die unter Zuhilfenahme bestimmter Konsumgüter entstandenen hybrid-religiösen Glaubens- und Praxisformen.[2] Noch weiter geht die Analyse von Markus Altena Davidsen, der zwischen fiktionsbasierten und geschichtsbasierten Religionen unterscheidet und feststellt: Der Hauptunterschied liegt darin, dass die ursprünglichen Texte bei fiktionsbasierten Kulten in einer erfundenen Welt spielen, die Texte geschichtsbasierter von sich behaupten, in der Realität angesiedelt zu sein. Obwohl ihre Inhalte nicht mit der tatsächlichen Geschichtsschreibung übereinstimmen müssen. In allen anderen Eigenschaften, etwa dem Glauben an eine höhere Macht oder den Riten, existieren kaum Unterschiede.[3]
Bevor George Lucas die Kirchensteuer beantragt, zurück zum Anfang: Natürlich identifizieren sich die besagten Freunde nicht unbedingt selbst als Jedi, laufen in Umhängen herum (ganz ausschließen kann ich es nicht) oder lassen Dinge durch die Luft fliegen (das kann ich ausschließen). Aber dann doch die fast religiösen Gefühle, die beim Infragestellen der Heldengeschichten um Luke Skywalker aufkommen. Der Schmerz, als die desaströsen Filme der 2000er Jahre, die kitschige und melodramatische Vorgeschichte der Episoden I bis III, das Andenken an die Original-Trilogie beschmutzte – alles nur Kommerz! Und die fast ekstatische Vorfreude, dass Episode VII vielleicht von dieser Schmach erlöst und gute Kindheitsgefühle wiedererweckt – halten Sie mich gerne für zynisch oder sarkastisch, aber ich finde darin mehr als eine Parallele zu den Weltreligionen! Ist Star Wars vielleicht die Ersatzreligion der Kinder im Erwachsenenalter?
Persönlich zähle ich mich übrigens zu den Star-Wars-Agnostikern. Ob der Film gut wird oder nicht, wird sich nie allgemein beantworten lassen – immer nur einzeln. Der einzige Punkt, bei dem ich mich im Krieg der Sterne auch öffentlich festlegen möchte: Han shot first.
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Gaffey, Conor. "A Phantom Menace: Why Turkish Conservatives Are Worrying About Jedis; Some conservatives fear a religion based on Star Wars is undermining Islam among young Turks." Newsweek 11 Sept. 2015. Academic OneFile. Web. 27 Nov. 2015. ↩
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Jörg Stolz 2013: Entwurf einer Theorie religiös-säkularer Konkurrenz. Kölner Zeitschrift für Soziologie & Sozialpsychologie. Dec2013 Supplement, Vol. 65 Issue 1, p25–49. ↩
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Markus Altena Davidsen (2013): Fiction-based religion: Conceptualising a new category against history-based religion and fandom, Culture and Religion, 14:4, 378–395. ↩
6 Kommentare
Kommentare
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Auf jeden Fall ist der StarWars-Plot Klassen besser als der der Bibel.
Wolfgang am Permanenter Link
In einen harmlosen Spielfilm "religiöse Gefühle" hineinzuinterpretieren, beweißt, hier hat keiner die geringste Ahnung von Religion.
ist alles wieder beim Alten.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ihr Kommentar beweist, dass Sie zumindest in Filmgeschichte nicht sehr bewandert sind.
Und damit ist das zentrale Element der Religion an sich schon beschrieben: Es geht den Mittlern zu Gott oder Universum (als gesamtheitliche Wesenheit) nur um Kontrolle der sie umgebenden Materie, auch deren Gedanken. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch alle Religionen und selbstverständlich auch durch die Star Wars Saga. Diesen "religiösen Touch" von Hollywood-Filmen nennt man dort übrigens Metaebene. Es gibt zu dem Thema einige gute Bücher, eines heißt "The Gospel from Outer Space".
Also: Immer erst informieren und dann schimpfen.
Das hier:
"Einfach einen Film genießen und den Alltag mal für ein paar Stunden vergessen, denn danach ist alles wieder beim Alten."
geht bei Star Wars übrigens nicht.
Ein Konzept aus der ersten Hälfte der 70er-Jahre des 20. Jh. würde andernfalls nach 40 Jahren nicht noch diese Neugier wecken. Hier wurden zwei komplette (Kino)Generationen übersprungen. Ob der neue Film mich erreicht, weiß ich noch nicht. Mich hat die Originalversion des ersten Teils (pardon: EPISODE IV) fast völlig erreicht, alle Folgefilme vervollkommnen in ihrer Produktionsreihenfolge einen konstanten, gut durchgehaltenen Abstieg in die Niederung des Plüschtier-/Disney-Formats.
Folgerichtig produziert jetzt Disney weiter. Aber eine Chance gebe ich dem Film. So viel Fairness muss sein.
Wolfgang am Permanenter Link
Mir ist klar, das in jenen Filmen kein Gott eine Rolle spielt, es geht mir nur darum, das immer wieder "religöse Gefühle" von sogenannten Gläubigen hineininterpretiert werden, die keine Ahnung von Religion a
Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4000 Jahren den Juden und vor knapp 2000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute? Auf solche Märchen kann ich mühelos verzichten.
Claire Goll
Finn Calrissian am Permanenter Link
"Die Macht ist es, die dem Jedi seine Stärke gibt. Es ist ein Energiefeld, das alle lebenden Dinge erzeugen. Es umgibt uns, es durchdringt uns. Es hält die Galaxis zusammen."
-Obi Wan Kenobi
"Antiquierte Waffen und Religionen können es nicht mit einer guten Laserkanone aufnehmen."
-Han Solo
Star Wars behandelt nicht zuletzt die Frage, wie Spiritualität in einer hoch technisierten Welt zu denken ist...schöner Artikel; am 17 Dezember wird auch Gesellschaftkollumnist Carsten Pilger zum Gläubigen werden!
Carsten Pilger am Permanenter Link
Netter Versuch, aber hinter diesem Kommentar steht eher jemand der hohen Kirche der Sith Lords ;)