Religionswissenschaftlerinnen, aufgepasst! In den Vereinigten Staaten gibt es möglicherweise gerade die Gelegenheit, einen neuen Kult im Werden zu beobachten: die Religion des Trump. Die eingeschworensten Anhänger des abgewählten Präsidenten befinden sich in einer Situation, wie es sie in der Geschichte der Kulte und Religionen immer wieder gegeben hat, dem entscheidenden Punkt ihrer Entwicklung, an dem sich existenzielle Fragen stellen: Wird der Kult das Zerbrechen aller Hoffnungen, das offensichtliche Versagen aller Prophezeiungen überleben? Kann die messianische Erwartung irgendwie umgebastelt werden, um das Glaubenskonstrukt fit zu machen für die nächsten Jahre oder Jahrtausende?
Die kurze Geschichte des Trumpismus ist bis zu dieser Stelle ganz typisch: Seinen Anhängern wurde das baldige Kommen der Erlösung, einer großen Abrechnung, versprochen. Auf den großen Meister selbst wurde viel projiziert, das sich einerseits aus christlichem Denken speiste, andererseits aus Verschwörungsmythen. In jedem Fall war Trump der große Erlöser. Dutzende von sogenannten Prophetinnen und Propheten äußerten sich vor den Wahlen in diesem Sinne: Trump werde gewinnen, vermutlich erdrutschartig. (Dass Gott also seinen Willen durchsetzt, indem er Zigmillionen Wählern in der Wahlkabine die Hand führt, ist dabei nur ein Kuriosum am Rande.)
Mit den Wahlen im November dann setzte ein Schock ein: Zunächst wurde nicht an die Möglichkeit einer Niederlage geglaubt. Dann wurde nicht an das Faktum einer Niederlage geglaubt. Dann wurde nicht an eine Amtseinführung des Trump-Nachfolgers geglaubt. Neuerdings glaubt man trotz stattgehabter Amtseinführung an eine Wiederkunft Trumps im Oval Office, wie auch immer, wann auch immer, derweil der vermutlich in Florida eine Golfrunde nach der anderen dreht.
Dem Religionshistoriker ist diese Situation nicht unbekannt: Eine Verkündigung ist enttäuscht worden, böse Zungen würden sogar sagen: Sie hat sich als falsche Verkündigung erwiesen. Was tun? Die Zeugen Jehovas etwa sind dafür bekannt, dass sie alle paar Jahre den Weltuntergang verschieben: Ohne Weltuntergang haben religiöse Organisationen es schwerer, die Herzen und die Portemonnaies ihrer Fans zu öffnen. Nichts macht Menschen mehr willens, an eine unsichtbare Jenseitswelt zu glauben, als die Gewissheit der nahen Apokalypse. Ein christlich inspirierter Vorgängerkult, die Milleriten, brach auseinander, nachdem die Wiederkehr des Gottessohns am 22. Oktober 1844 zu seiner völligen Verblüffung nicht eintraf. Ein Zeitzeuge: "Unsere schönsten Hoffnungen und Erwartungen waren zerplatzt und solch ein Geist des Jammerns überkam uns, wie ich es niemals zuvor erlebt habe. Es schien, dass der Verlust aller Freunde in der Welt kein Vergleich damit darstellte. Wir weinten und weinten bis zum Morgengrauen."
Das ist nun eine ähnliche Lage wie die, in der viele Trumpisten sich derzeit befinden, nicht zuletzt erinnert sie an die Verzweiflung der Jesusjünger nach dem Tod ihres Herrn: Der hatte allen ein herrliches neues Reich noch zu Lebzeiten versprochen. Und nix passierte. Aber so gar nix. Die Urchristen aber, die weisungsgemäß alles aufgegeben hatten, um mit ihrem Herrn das Königreich zu verkünden, sie saßen knietief im Katzenjammer. Vermutlich wären sie heute vergessen, hätte sich nicht der Charismatiker Paulus an ihre Spitze gesetzt und hätte die Verkündigung ihres Idols nach und nach umgeformt, bis Jesus plötzlich selber ein Gott – und alle seine Mitteilungen ergänzt und umgedeutet waren, so dass sie sich beliebig nutzen ließen. Und dass sich das aktuelle Jammertal überbrücken ließ: Jesus habe ein Reich im Himmel verkündet! Wann damit zu rechnen sei, sei halt nicht ganz klar.
Menschen, die eine Gemeinde gebildet haben, sind oft mehr als bereit, jede noch so krude Umformung ihrer Heilsbotschaft hinzunehmen – solange das ihre Hoffnung am Leben erhält. Was also wird nun aus den Trumpisten?
Jemand muss ihnen eine neue Erzählung geben. Dass Trump mit "Wiederwahl" und "zweiter Amtsperiode" etwas ganz anderes gemeint habe, pssst! Dass er mit seinem Helikopter direkt in den Himmel geflogen ist. Dass die Guten sich alle eines Tages in einem jenseitigen Mar-a-Lago wiedersehen werden, rote Basecaps auf dem Kopf, keine Sorgen mehr, an einem Ort, wo den ganzen Tag Fähnchen geschwenkt werden und schlecht getanzt wird, und wo das Dasein ein einziger Golfparcours ist.
3 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Lasst die Trumpismus-Follower doch weinen - da wird noch großes Heulen und Zähneklappern kommen.
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Ganz genau: "When prophecy fails...".
Jens Zahn am Permanenter Link
Hmm, ich sehe vielerorts eher Biden in der strahlenhaften Rolle des Erlösers. Man könnte meinen, der Messias ist im Körper dieses alten Mannes vom Himmel herabgestiegen und morgen kommt der Weltfrieden.
Aber früher oder später kommt vielmehr das Erwachen, ob Trump oder Biden.