Kommentar

Falscher Fetisch Atheismus

ZWICKAU. (hpd) Im Sexual- wie Religionsverhalten sind Fetische lebende oder tote Gegenstände, die als Stimulantien der Erregung und Befriedigung dienen. Eine ähnliche Funktion, so scheint es, hat die Atheismus-Kritik in kirchlichen Zusammenhängen. Gegenstände werden zu Fetischen aber nicht als solche, sondern durch die Bilder davon, die man sich macht, und die Phantasien darüber, die zu beflügeln vermögen. Sind die Bilder unbefriedigend, stellt sich keine Wollust, sondern Frust ein. Der Fetisch ist dann keiner. Falsche Bilder wiederum zerstören die Erotik oder lassen sie gar nicht erst zu.

Ist der Fetisch also ungeeignet oder falsch oder nur neblig in den Gedanken, kommt es nicht zur gewünschten Erregung. Die Aufladung bleibt aus, der Akt der Befriedigung auch bzw. das Ritual funktioniert nicht. Das ist unglücklich für denjenigen, der des Fetischs bedarf oder ihn einsetzen will. In diesem Sinne ist die vorliegende Publikation “Atheistische Weltdeutungen” der “Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen” (EZW) unglücklich. Den Fetisch Atheismus, was man dafür hält, zu beschwören, die Bilder davon und die Phantasien darüber, wie sie vor der Leserschaft als Aussagen über den Atheismus aufgerichtet werden, bedienen die Absicht nicht.

Die EZW, in der Weimarer Republik von 1921 bis in den Nationalsozialismus 1937 hinein noch unter dem treffenderen Namen “Apologetische Centrale” unrühmlich tätig, hat als wegweisende Einrichtung der “Evangelischen Kirche in Deutschland” (EKD) den Auftrag, um ein letztes Mal das Bild vom Fetisch zu bemühen, die religiösen und weltanschaulichen Strömungen der Gegenwart so zu beobachten und zu beurteilen, sie so zu fetischisieren, dass sie der Exaltation nützlich sind – ob nun böse Sekten oder noch bösere atheistische Tendenzen.

Die EZW ist nämlich die ideologische Leitstelle zur geistigen Gefahrenabwehr. Sie argumentiert wissenschaftlich, soweit es ihren theologischen Interessen entspricht, religiös, wenn es um die Bedürfnisse von Theologie geht, und apologetisch, wenn die Kirche als Institution berührt wird. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Klarstellung. Diese ist hier angebracht, weil in der Broschüre von namhaften Theologieprofessoren das Gegenteil dessen untersucht wird, was Kirche meint, das sie aber, so die Idee, trotz aller Säkularisierungen noch immer sei – ein Hort des Gottesglaubens gegen den Atheismus schlechthin.

Der Sammelband passt in die Aktualität. Selbst im religions- und weltanschauungsoffenen Berlin – wo die EZW ihren Sitz hat – wird neuerdings die fein säuberliche Sortierung in hie Religionen und da Weltanschauungen praktiziert als sei Theismus versus Atheismus eine wesentliche gesellschaftliche Differenz. Erstaunlicherweise wird diese Inszenierung eines behaupteten Haders in zwei getrennten “Dialogen” auch noch staatlich gefördert, als gäbe es keine atheistischen Religionen und keine theistischen Weltanschauungen. Das ist 19. Jahrhundert.

Der in den letzten Jahren auch Dank des Humanistischen Verbandes (HVD) und aufgeklärter Kirchenleute (eingeschlossen auf einigen Feldern auch der Herausgeber Hempelmann) mühsam erreichte dialogische Ansatz wurde aufgegeben zugunsten einer Wieder-Kultivierung des alten Gegensatzes Gottesachtung versus Gottesverachtung. Die Publikation der EZW passt zwar nicht in die Zeit, aber in genau diese Landschaft.

Zunächst zu den Texten: Auf die Einführung des Herausgebers folgen zwei Aufsätze mit rhetorischen Fragen im Titel (Matthias Petzoldt: Was glaubt, wer nicht glaubt? [S. 9–26] und Lars Klinnert: Besser leben ohne Gott? [S. 29–51]), dann einer mit klarer Glaubensgewissheit (Hans-Dieter Mutschler: Halbierte Wirklichkeit [S. 53–60]). Eine angefügte Dokumentation (S.61–74) enthält Zitate aus dem HVD Bayern, von Peter Henkel, Alain de Bottom (2), Thomas Hummitzsch und Sam Harris sowie (am Schluss folgen wieder die wirklichen Gewissheiten) Gerd Theißen (2).

Der vorliegende Band rubriziert so ziemlich alles unter “Atheismus”, was in vorherigen Studien schon einmal differenzierter analysiert worden war als Annäherung an die Frage “Woran glaubt, wer nicht glaubt” (Andreas Fincke, 2004, H. 176), als “Dialog und Auseinandersetzung mit Atheisten und Humanisten” (Hempelmann 2011, H. 216) und als “Glaubenskommunikation mit Konfessionsfreien” (Hempelmann / Schönemann 2013, H. 226). Der Band von 2002 (H. 162) von Fincke über die vorhandenen säkularen Organisationen hat die Autoren sichtlich nicht erreicht, ebenso nicht die feinere Studie von Florian Baab – vielleicht, weil hier der Autor zu katholisch ist. Jedenfalls sind die Vorstellungen von dem, was hier wie dort “Glauben” ist, schon spannender und näher am Leben entwickelt worden. Kann man sich dem Thema überhaupt nähern, ohne die neueren Humanismus-Diskurse oder aktuelle Konflikte (etwa die Sterbehilfe), wo es quer durch die Atheismen und Theismen geht, auch nur zu streifen?

Sicher, ein kämpferischer “säkularer Humanismus” bietet immer wieder einige Dummheiten und Breitseiten (wie auch evangelische Fundamentalismen nicht “die” Kirche sind), aber die im Sammelband vorgenommene Differenzierung ist (man muss wegen des ausbleibenden Erkenntnisgewinns sagen: leider) zu unreflektiert. Der Band wird geprägt durch, wenn er sich überhaupt in die Niederungen der “Szene” oder die des “Volksatheismus” begibt, theologische Überfliegerei. Die Broschüre spiegelt eher Angstreflexe. “Der Streit zwischen gläubigem und atheistischem Selbstverständnis wird pointierter und schärfer.” (S. 6) Wo bitte wird die Kontroverse “schärfer” geführt? Gegenüber den 1950er Jahren geht es doch sehr gemütlich zu, abgesehen vom Islam-Streit. Aber auch hier stehen doch nicht bekennende Atheisten an vorderster Front.

Erwartungen, die man an einen Band mit dem Titel “Atheistische Weltdeutungen” hat, gleich von welcher Seite, werden nicht bedient. “Schließlich gilt es”, so Petzoldt, “unsere [also die der Kirche? HG] Wahrnehmung auch [!] solcher Phänomene zu schärfen, die auf Religionslosigkeit und religiöse Indifferenz hinweisen” (S. 23). Welcher Hinweise bedarf es denn noch?