Rezension

Slavoj Žižek plädiert für einen "christlichen Atheismus" – und verliert sich im eigenen Labyrinth

slavoj_zizek_2015.jpg

Slavoj Žižek (2015)
Slavoj Žižek

Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek ist für provokative Thesen und Auftritte bekannt, so im Herbst 2023 auf der Frankfurter Buchmesse, als er mit seiner Eröffnungsrede zu Israel und Palästina für Tumulte im Saal sorgte. Auch in seinem neuen Buch "Christlicher Atheismus – Wie man ein wahrer Materialist wird" bleibt Žižek seinem Stil treu: intellektuell überfrachtet, bewusst widersprüchlich und mit einem Hang zum Furor. Wer klare Argumentationslinien oder systematische Gedankenführung sucht, wird allerdings enttäuscht.

Der Kulturtheoretiker Žižek, der zu den einflussreichsten Vertretern des Poststrukturalismus gehört, schielt – ähnlich wie Peter Sloterdijk – immer auf den großen Auftritt, wobei er seine Thesen oft unklar und wabernd formuliert, um dann oft zu schwer nachvollziehbaren Schlussfolgerungen zu gelangen. Und so lässt den Leser allein der Titel "Christlicher Atheismus" stutzen. Überraschenderweise streift Žižek sein eigentliches Thema nur in wenigen Kapiteln. Stattdessen mäandert er zwischen Lacan und Hegel und serviert ein wildes Ideenspektrum. Es geht dann munter weiter über kirchliche Missbrauchsfälle, Julian Assange und den Ukrainekrieg bis zu Donald Trump, Žižek schwadroniert über Gendern und KI sowie sein Lieblingsthema Quantenphysik.

Der Begriff "christlicher Atheismus" erscheint auf den ersten Blick paradox, da er zwei scheinbar widersprüchliche Konzepte verbindet: das Christentum, das an einen persönlichen Gott glaubt, und den Atheismus, der die Existenz eines Gottes leugnet. Man könnte ihn als Versuch interpretieren, die Werte und Traditionen des Christentums zu bewahren und zu schätzen, ohne an einen persönlichen Gott zu glauben. Es verwundert daher nicht, dass es Žižek schwer fällt, zu erklären, was er darunter versteht.

Die wenigen konkreten Aussagen zu seinem Begriff des "christlichen Atheismus" wirken kryptisch bis esoterisch. So bezeichnet Žižek etwa den Heiligen Geist als "atheistische Kategorie", eine "Idee einer emanzipatorischen Gemeinschaft ohne Unterstützung im großen Anderen", gleichzeitig als eine Gemeinschaft, "die in den Abgrund der Freiheit geworfen wird, ohne wesentliche Unterstützung durch eine feministische Gottheit". Solche Formulierungen stehen symptomatisch für das Buch: ambitioniert, aber nebulös; anspruchsvoll, aber oft unverständlich.

Wenn Žižek schreibt, Gott werde durch Quantenexperimente "getäuscht" und sei daher "nicht allwissend", dann klingt das zwar spektakulär – ist aber kaum mehr als ein kühner rhetorischer Taschenspielertrick. Dass die Quantenphysik "zutiefst atheistisch" sei, bleibt eine These ohne argumentative Herleitung. Und wenn Žižek schließlich behauptet, Gott sei "eine Fiktion, die unsere Realität ausmacht" – und dass mit seinem Verschwinden ein "furchterregender Abgrund" bleibe –, ist das bestenfalls ein poetischer Befund, aber keine kohärente Philosophie.

"Christlicher Atheismus" ist weniger ein Buch mit greifbarem, methodischem Inhalt als ein ideologisches Panoptikum: wild, widersprüchlich, intellektuell überladen. Žižek wirft mit Assoziationen, radikalen Behauptungen und philosophischen Volten um sich. Doch gerade darin liegt auch die Schwäche dieses Werks: Der Autor stapelt Konzepte übereinander, ohne sie konsequent zu entfalten, er inszeniert sich als intellektueller Sprengmeister, aber verweigert oft jede argumentative Klarheit. Die philosophische Substanz bleibt dabei erstaunlich dünn. Wer Slavoj Žižeks Schreibweise mag, wird sich erneut an der Denkspektakel-Lektüre erfreuen. Wer jedoch nach einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Glauben, Atheismus und Christentum sucht, wird enttäuscht. "Christlicher Atheismus" ist ein Buch über alles – und deshalb über fast nichts.

Slavoj Žižek, Christlicher Atheismus, Frankfurt 2025, S. Fischer Verlag, 409 Seiten, 32 Euro

Unterstützen Sie uns bei Steady!