Rezension

Karl war weder groß noch Vorbild

Rolf Bergmeier legt in seinem jüngsten Buch keine weitere Karl-Biografie vor, sondern versucht vielmehr, dem Historiker-Mainstream, der den Regenten zum "Vater Europas" hochstilisiert und entsprechend lobhudelt, entgegenzutreten. Zu Recht, meint Hans Trutnau.

Das Buch wurde hier bereits 2 mal im April dieses Jahres besprochen; ich strauchelte anfangs zwischen Gerfried Pongratz und Ingo Wulf – bis ich es selber las. Es gibt in der Tat ein paar Negativa, dazu aber am Ende mehr.

"Eine objektive Darstellung des großen Karolingers ist nicht möglich", zitiert Bergmeier (der dies m.E. ebenfalls nicht vor hat) den Historiker J. Fried.

Bergmeier nimmt in bewährter Manier, teils salopp, forsch und auch polemisch formuliert, mit über 400 Anmerkungen / Verweisen und über 20 S. Bibliografie den vorherrschenden Mainstream über Karl auseinander.

Einleitende knapp 50 Seiten sind Antike, Spätantike, beginnendem Mittelalter und der grundsätzlichen Etablierung des Katholizismus mit dem Cunctos populos ab dem Jahr 380 gewidmet, was innerhalb weniger Generationen zur Schließung fast sämtlicher öffentlicher Schulen und Bibliotheken führte – und für rund 1000 (!) Jahre der Fall bleiben sollte.

Foto 1
Foto 1

In den folgenden ca. 10 Kapiteln (denen ich allen eine Zusammenfassung gewünscht hätte) einschl. Epilog und Anlagen wird der o.g. Mainstream (kurz formuliert:) demontiert, zerstört.

Über die Ausbreitung der islamisch-arabischen Kultur (S. 220 ff) kann man geteilter Meinung sein; ich will hier den geneigten Lesern (die ich dem Buch ausdrücklich wünsche!) nicht vorgreifen. Nur so viel in meinen Worten:

Wenn es mit der 'Hofakademie' bzw. der vom Mainstream gehuldigten Gelehrsamkeit Karls in seiner Zeit um 800 so weit her war – was hat deren nachhaltigen Durchbruch verhindert? Denn ein solcher Durchbruch ist vor Renaissance und Aufklärung nicht zu verzeichnen.

"Klosterschulen sind keine Volkshochschulen (und) Klosterbibliotheken" – sie sind im Vergleich mit denen der Antike armselig und vor allem nicht öffentlich.

Was bleibt von ihm, dem vermeintlich 'Großen'? Noch nicht einmal die Minuskelschrift, die er mitnichten geschaffen, allenfalls begleitet hat.

Was wäre auch von einem Latein-, quasi Lese- und Schreib-Unkundigen sonst zu erwarten gewesen? Fast nichts. Woraus hätte der Fast-Analphabet Karl auch schöpfen können?

Foto 2
Foto 2

Was bleibt also von ihm?

Ein verwaister leerer Sperrholzkokon (Foto 1), der bis vor ca. 1 Monat (am 1. Okt.) die Replik der Karls-Statue auf der Alten Brücke in Frankfurt a.M. verhüllte? Eine fein ziselierte Statue mit gleich drei Insignien der Macht (Schwert sowie Kreuze auf Krone und Reichsapfel, Foto 2), deren Apfel aber alsbald mit einem Antifa-Aufkleber 'verziert' wurde (Foto 3)? Gar nur ein SCHLVSSTEIN (Titelbild) ohne sonstige Statuenaufschrift?

Im Klartext – nein: Was bleibt, ist einer, der fast zeitlebens kriegerisch als Reisekaiser von Pfalz zu Pfalz zog, um 'sein' Reich mit Feuer, Schwert und Apfel unter der Kronen-Knute eines erzkatholischen Feudalismus' zu 'vereinen'.

Nein, nicht jemand, der vereinen, sondern der knechten, unterwerfen wollte.
Nein, noch weniger:
Was nach meinem Dafürhalten bleibt, ist der Sachsenschlächter.
Nichts weiter.
Und das soll ein Beispiel, gar Vorbild, für Europa sein???

Foto 3
Foto 3

Kritik am Buch:

Dem Autor wünsche ich für weitere Buchvorhaben ein besseres Lektorat.
Ich stolperte z.B. rein zufällig über die Endnote 396 (über ein Demandt-Zitat) im Anmerkungsapparat, die im Text auf S. 227 jedoch fehlt, aber auf S. 68 als kürzere Endnote 75 angemerkt ist.
Neben ein paar Textwiederholungen und Druckfehlern gibt es außer den Endnoten etliche Fußnoten (auch mit Quellenverweisen), was den Lesefluss unnötig erschwert, aber den Wert des Buches nicht wesentlich mindert.
Ich habe aber auch noch nie ein 3-400-Seitenbuch mit 100en Anmerkungen geschrieben…

Rolf Bergmeier, "Karl der Große. Die Korrektur eines Mythos", 311 Seiten. Tectum Verlag Marburg 2016, 19,95 Euro, ISBN 978-3-8288-3661-7