Warum die wissenschaftliche Evolutionstheorie die Annahme eines theistischen Gottes doch unplausibler macht

Allah und Darwin

Nicht nur evangelikale Christen, sondern auch sehr viele Muslime – wahrscheinlich die Mehrheit – lehnen die biologische Evolutionstheorie ab. Eine solche Geisteshaltung mutet im 21. Jahrhundert in etwa wie die Behauptung an, die Erde sei eine Scheibe. Ernsthafte Bemühungen, die Religion mit der Evolutionstheorie unter einen Hut zu bringen und die religiös bedingten Barrieren abzubauen, verdienen daher Unterstützung.

Als Naturalist kann man dadurch aber in eine Zwickmühle geraten: Einerseits möchte man, dass auch Gläubige, die sich dem Evolutionsgedanken bislang verschließen, für die wertvollen Erkenntnisse der Evolutionsbiologie zugänglich werden. Andererseits kann man den eigenen Standpunkt nicht verschweigen, dass die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie den Glauben an den theistischen Gott deutlich unplausibler machen. Selbstverständlich gibt es sowohl Theisten, die ausgezeichnete Evolutionsbiologen sind, als auch atheistische und agnostische Biologen, die explizit die Meinung vertreten, die Evolutionstheorie habe mit der Glaubwürdigkeit eines Gottesglaubens nichts zu tun. Das allein entkräftet aber noch nicht die Argumente, die weiter unten zu besprechen sein werden.

Eine meines Erachtens ernsthafte und beachtenswerte Bemühung, die Evolutionstheorie aus gläubiger Perspektive mit dem Islam zu vereinbaren, stammt von meinem Freund, dem islamischen Religionspädagogen Turgut Demirci, dessen Arbeit ich kürzlich auf Facebook gepostet habe. Jori Wehner hat in einem Kommentar zu diesem Posting die besagte Arbeit in einem entscheidenden Punkt kritisiert (was zu einer langen, streckenweise sehr interessanten Facebook-Diskussion führte).

Ich stimme Jori Wehners Kritik vollumfänglich zu, die wie folgt zusammengefasst werden kann:    

  1. Die Evolution verläuft, nach allem was wir wissen, nicht zielgerichtet, nicht zweckgebunden.    
  2. Dies ist keine a priori-Schlussfolgerung, auch nicht das Ergebnis eines voreingenommenen naturalistischen Paradigmas, sondern das Resultat empirischer Forschung. Rein logisch wäre es durchaus möglich gewesen, dass die Forschung eine Zielgerichtetheit nahegelegt hätte.    
  3. Dadurch wird die Annahme eines theistischen Gottes deutlich unplausibler.

Natürlich gilt diese Kritik nicht nur für den muslimischen, sondern allgemein für den abrahimitischen Gottesglauben. Jori Wehner hat in seinem ersten Kommentar exakt die entscheidenden Stellen aus der Arbeit von Turgut Demirci zitiert, in denen einerseits die Nicht-Zielgerichtetheit der Evolution korrekt beschrieben wird, andererseits die Vorstellung des abrahimitischen Gottes, der das gesamte Naturgeschehen lenkt und leitet (oder wahlweise: der in seiner Unendlichkeit außerhalb von Raumzeit das gesamte Naturgeschehen erschafft). 

So schreibt Turgut Demirci im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen:

"Von entscheidender Wichtigkeit ist hierbei: Es ist nicht der Fall, dass eine Mutation für einen längeren Hals entsteht, weil die Population dies gerade braucht. Mutationen sind 'zufällig' in dem Sinne, dass sie nicht zweckgerichtet auf die Bedürfnisse einer Population entstehen. Vielmehr könnten grundsätzlich ebenso gut auch Mutationen für einen kürzeren Hals entstehen, diese werden aber unter den konkreten Bedingungen des behandelten Szenarios von der Natur 'aussortiert', weil die Individuen mit dieser Mutation keine (oder niedrigere) Überlebenschancen haben und damit auch das besagte mutierte Gen nicht (oder weniger oft) weiter vererben können. Auch wenn in unserem Szenario eine extreme Nahrungsknappheit es unbedingt erfordern würde, dass Mutationen für einen längeren Hals entstehen, da andernfalls die gesamte Population, ja sogar die gesamte Art aussterben würde, hat dies nichts mit der Frage zu tun, ob die 'erforderliche' (bzw. eine sonst 'arterhaltende') Mutation auch tatsächlich entsteht. Tut sie es nicht, stirbt die Population aus. Schließlich ist die übergroße Mehrheit aller Arten, die auf unserem Planeten je existiert haben, (bereits vor der Episode des homo sapiens) ausgestorben." (S.18)  

"Gemeint ist vor allem, dass Mutationen nicht im Hinblick auf eine Verbesserung der Überlebens- und Reproduktionschancen entstehen, dass also die Entstehung einer bestimmten Mutation in Relation zu den aktuellen Bedürfnissen in der Population zufällig, d.h. ungerichtet ist". (S.26)

Andererseits schreibt Demirci:

"In dieser abrahamitischen Tradition ist Gott nicht ein willenloses Wesen, eine Art Energie oder einfach nur die Gesamtheit der Seienden ohne eigenes Bewusstsein. Er ist vielmehr der personale Gott mit eigenem Willen (fa'il muhtar), der das Universum nach einem Plan erschaffen hat. Im Unterschied zum deistischen Gott, der die Schöpfung in einem Urakt vollzogen, sich dann aber 'zurückgezogen' hat und in das Weltgeschehen nicht eingreift, herrscht und wacht der abrahimitische Gott über die Welt. Darüber hinaus hat das Menschengeschlecht in diesem göttlichen Plan eine besondere Rolle." (S.31)

Auf dieses offenkundige – nennen wir es – "Spannungsverhältnis" geht Turgut Demirci zwar durchaus ein, auch meines Erachtens fehlt aber eine intellektuell zufriedenstellende Lösung.

Die Nicht-Zielgerichtetheit der Evolution

Was genau ist gemeint, wenn gesagt wird, die Evolution verlaufe nicht zielgerichtet und nicht zweckgebunden? Natürlich hat die Evolution Lebewesen hervorgebracht, die eigene Zwecke haben und verfolgen können – wie uns! Offensichtlich hat das aber nichts mit der besagten Behauptung zu tun. Außerdem haben die meisten Organe und Körperteile von Lebewesen (übrigens nicht alle!) selbstverständlich einen "Zweck", d.h. eine Funktion. Das Herz ist eine Pumpe, die den Zweck bzw. die Funktion hat, Blut in den Körper zu pumpen. Die Evolutionstheorie beschreibt und erklärt aber gerade, dass dieses Herz durch ungerichtete Mutationen und blinde Selektion sich entwickelt hat, und eben nicht in einem zielgerichteten Prozess auf einen bestimmten Zweck hin entstanden ist. Die durchaus vorhandene "Zweckmäßigkeit", d.h. Funktionalität des Aufbaus von Organismen entsteht also in einem zweckfreien, blinden Prozess aus Zufall und Notwendigkeit. Genau das besagt die Evolutionstheorie.

Wie Diskussionen immer wieder zeigen, sind sich aber viele Menschen, die die Evolutionstheorie grundsätzlich akzeptieren, über diese Erkenntnisse gar nicht bewusst. Oder sie nehmen an, die Nicht-Zielgerichtetheit sei keine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern bloß die subjektive Interpretation einiger Biologen, die ihr Fach für "atheistische Propaganda" nutzen wollen, wobei natürlich vor allem der Name Dawkins als ein vermeintlich böses Beispiel fällt. Daher nun einige Stimmen aus der übrigen Fachwelt:

"Unter Finalismus, Finalität oder auch Teleologie versteht man die unangemessene Vorstellung einer 'Ziel-' beziehungsweise 'Zweckgerichtetheit' der Entwicklung von Populationen. Danach entstehen Eigenschaften, weil sie bestimmte Funktionen ermöglichen. Ihre Entwicklung ist also nicht vom Zufall abhängig, sondern gerichtet und erfolgt durch eine höhere Instanz oder durch die Steuerung der Lebewesen selbst. Ein Beispiel wäre: Der Vogel hat Flügel entwickelt, damit er fliegen kann.

Nach Darwin sind Anpassungen nicht auf einen Zweck hin gerichtet entstanden, sondern durch zufällige Variation und darauf folgende Selektion. Anpassungen können aber durchaus 'zweckmäßig' sein, im Sinne von sinnvoll unter herrschenden Umweltbedingungen.

In Untersuchungen wird immer wieder deutlich, dass viele Menschen lamarckistische und finalistische Anschauungen zur evolutionären Entwicklung besitzen […]. Besonders weit verbreitet sind finalistische Erklärungen. Dies gilt selbst für Personen, die in ihrer Schulzeit Biologie als Leistungskurs hatten […]. Nur vergleichsweise wenige Menschen haben Vorstellungen, die mit der Selektionstheorie übereinstimmen.

Hinter finalistischem beziehungsweise teleologischem Denken stecken in vielen Fällen Glaubensüberzeugungen, wonach der Mensch Ziel und Zweck der Evolution sei. Unabhängig von den Zufällen der historischen Ereignisse würde sich dieser Auffassung zufolge die Entwicklung zielgerichtet vollziehen. […]

In mehreren eigenen Untersuchungen mit Studierenden und Schülern stellte sich heraus, dass manche Vorstellungen zu Evolutionsmechanismen trotz vordergründig korrekter Angaben im Grunde genommen fehlerhaft geblieben sind – ein Konzeptwechsel also nur bedingt erfolgt ist." 

– Prof Dr. Daniel Dreesmann / Prof. Dr. Dittmar Graf / Prof. Dr. Klaudia Witte: Evolutionsbiologie - Moderne Themen für den Unterricht, 2011, S. 34 f.

"Mehr als jeder andere hat Darwin dafür gesorgt, dass die Vorstellung von der Veränderung der biologischen Arten zur allgemeinen Überzeugung wurde. Und er zeigte, dass es nicht nötig ist, von außen gesetzte Zwecke als Ursache für die Zweckmäßigkeit der Organismen anzunehmen. Indem er ungerichtete, zufällige Variationen mit dem blinden Mechanismus der natürlichen Auslese verband, machte er teleologische (und theologische) Erklärungen des Lebens überflüssig. Innerhalb weniger Jahre wurde die Idee der Evolution von einer Phantasie zu einer wissenschaftlichen Tatsache, die nur noch von wenigen Biologen bestritten wurde."

– Prof. Dr. Uwe Hoßfeld / Prof. Dr. Lennart Olsson: Charles Darwin Zur Evolution der Arten und zur Entwicklung der Erde, 2014, S. 99.

"Darwin hat uns von der Pflicht befreit, zu jeder zweckmäßigen Erscheinung jemanden zu suchen, der sich dieser Zweckmäßigkeit bewusst ist und sie absichtsvoll herstellt."

– Prof. Dr. Jan Zrzavý / Prof. Dr. Hynek Burda / Prof. Dr. David Storch / Prof. Dr. Sabine Begall / Prof. Dr. Stanislav Mihulka: Evolution - Ein Lese-Lehrbuch, 2013,S. 13.

"Das Entstehen neuer Arten – wie schnell oder langsam sich die Evolution jeweils auch vollziehen mag – erfolgt jedenfalls planlos. Die philosophisch bedeutungsvollste Schlussfolgerung in Darwins Buch 'On the Origin of Species' war (und ist nach wie vor) die Verabschiedung der Teleologie, der Vorstellung von einem universellen (Welten-)Zweck. Die Selektion operiert gewissermaßen opportunistisch und nimmt nicht die Zukunft vorweg. Die Evolution insgesamt ist mit einem Bastler ohne vorgefassten Plan vergleichbar, sodass uns schludrige Arbeit nicht verwundern darf."

– Prof. Dr. Franz M. Wuketits:  Evolution: Treibende Kräfte in Natur und Kultur, in: Prof. Dr. Jochen Oehler: Der Mensch – Evolution, Natur und Kultur, 2010, S. 30.

"Die falsche Annahme, die Evolution könne bei der Begründung von Werten und Normen hilfreich sein, geht sicher einher mit der Sicht, die natürliche Auslese arbeite intentional oder zielgerichtet, hin zum Besseren. Dies ist nicht der Fall. Die Selektion wirkt lediglich auf existierende Varianten. Die Evolution arbeitet dabei weder intentional noch kann sie in die Zukunft sehen, um anstehenden Herausforderungen zu begegnen […]. Sie bemüht sich auch nicht um eine "Verbesserung" der Organismen. Sie eignet sich deshalb in keinster Weise als moralisches Argument."

– Prof. Dr. Frank Schwab: Darwin als Sehhilfe für die Psychologie – Evolutionspsychologie, in: Prof. Dr. Jochen Oehler: Der Mensch – Evolution, Natur und Kultur, 2010, S. 86.

"Auch diese Überzeugungen [Konstanz der Welt, Teleologie, d.h. Zweckgerichtetheit etc.] geraten ins Wanken. Die Evolutionstheorie kommt ohne diese Annahmen aus oder widerspricht ihnen sogar. Für die Zweckmäßigkeit der organismischen Strukturen bietet Darwin, der selbst Theologie studiert hat, nun eine Alternativerklärung an: Sie ist durch Variation und natürliche Auslese entstanden. Gott ist damit nicht widerlegt; eine solche Existenzbehauptung ist auch gar nicht widerlegbar. Paleys Argument verliert jedoch seine Überzeugungskraft; denn nun hat man eine natürliche Erklärung. Die Evolutionstheorie bietet deshalb eine starke Stütze für ein naturalistisches Weltbild."

– Prof. Dr. Gerhard Vollmer: Wie wissenschaftlich ist der Evolutionsgedanke?, in: Prof. Dr. Dittmar Graf: Evolutionstheorie – Akzeptanz und Vermittlung im europäischen Vergleich, 2011, S. 55.

"Eine teleologische Sicht auf das Leben ist nicht neu. Sie ist schon in den Werken des Aristoteles (384–322 v. u. Z.) zu finden. Eine der größten Leistungen Charles Darwins besteht gerade darin, die Ungerichtetheit kleiner phänotypischer Veränderungen sowie die Bedeutung ihrer Selektion (durch Mensch oder Natur) für die Veränderung der Lebewesen erkannt zu haben. So wurde die bis dahin oft unterstellte Formung der Eigenschaften lebender Organismen durch von innen oder außen (Gott) gesetzte Zwecke durch eine weniger voreingenommene Hypothese ersetzt. Denn wenn ein wie auch immer geartetes Ziel für die Evolution lebender Organismen als gegeben anerkannt wird, wird damit eine zusätzliche, formende Kraft angenommen, die bisher niemals belegt werden konnte. Evolution ist – nach allem, was wir wissen – genauso ziellos wie endlos. Die Annahme, dass Mutationen zufällig im Hinblick auf ihren Wert für den Organismus erfolgen, führt keinen zusätzlichen Faktor in die Analyse der Evolution ein. Allein die Kombination unabweisbar existenter Faktoren der Evolution wie Mutation, Selektion und Drift führt zu einer Evolution, die dem äußeren Anschein nach durchaus gerichtet sein kann, jedoch nicht auf die Erreichung eines Zieles oder Zweckes, sondern weil sich manchmal Organismen mit nicht durchschnittlichen Eigenschaften besser als solche mit durchschnittlichen Eigenschaften fortpflanzen können."

– Dr. Veiko Krauß: Gene, Zufall, Selektion - Populäre Vorstellungen zur Evolution und der Stand des Wissens, 2014, S. 76.

"Evolution als natürlicher Prozess arbeitet aber grundlegend anders. Evolution ist nicht zielgerichtet. Sie muss keine bestimmte Funktion 'anvisieren', sondern kann in der 'Fitnesslandschaft' irgendeinen benachbarten Hügel erklimmen, also irgendeinen Vorteil erbringen."

– Martin Neukamm / PD Dr. Stefan Schneckenberger / Dr. Johannes Sikorski: Was die Selektion angeblich nicht leisten kann, in: Martin Neukamm (Hrsg.): Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus, 2009, S. 286.

"Die Rede von 'Zwecken' und 'Zielen' ist in der Biologie jedoch zunächst nur eine metaphorische Sprechweise, die deshalb verführerisch ist, weil wir aufgrund unserer anthropomorphen Denkweise mit intentionalen Begriffen vertraut sind. Wenn z.B. gesagt wird, dass eine Blüte einer Biene Nektar anbiete, handelt es sich um ein rhetorisches Stilmittel und nicht etwa um die Beschreibung einer echten zweckgerichteten Handlung, weil Blumen mangels kognitiver Fähigkeiten weder Ziele verfolgen noch in der Zukunft liegende Entwicklungen antizipieren können. Folglich ist der Schluss auf eine echte Planmäßigkeit ebenso unzulässig wie der Schluss auf einen Planer. […] Anders ausgedrückt: Dass biologische Funktionen und Selektionsvorteile tatsächlich echte Zwecke sind, die auf einen Plan zurückgehen, müsste unabhängig von rhetorischen Sprachspielen belegt werden."

– a.a.o., S. 307.

Der empirische Charakter der Nicht-Zielgerichtetheit der Evolution

Nun könnten Theisten dem entgegenhalten, dass diese scheinbare "Nichtgerichtetheit der Evolution" allein daraus resultiere, dass Wissenschaftler teleologische Erklärungen von vornherein ausschließen und sich methodisch auf rein natürlich-kausale Erklärungen festlegen. Damit würde die Wissenschaft am Ende das "rausholen", was sie schon zu Beginn "reingelegt" hätte.

Dieser Einwand verkennt aber die Sachlage. Naturalisten können durchaus Szenarien benennen, bei deren Eintreten sie eine Zielgerichtetheit der Evolution naheliegender gefunden hätten:

Zum Beispiel hätte die empirische Forschung ja zeigen können, dass Mutationen immer, zumindest meistens genau dann und genau in der Weise entstehen, wie es dem Fortbestand der jeweiligen Population unter den aktuellen Umständen zugutekommen würde. Dies ist aber mitnichten der Fall. Vielmehr ist die übergroße Mehrzahl aller Mutationen frei von Vorteilen oder sogar schädlich. Nichts deutet darauf hin, dass beim Entstehen der Mutationen eine lenkende, vorausschauende Hand im Spiel ist, alles deutet auf das Gegenteil hin. Das hat nichts mit einer dogmatischen Vorentscheidung zu tun. Es ist das Ergebnis unvoreingenommener empirischer Forschung.

Die Forschung hätte auch ergeben können, dass alle Organismen in einer Weise evolviert sind, dass der jeweils aktuelle Zustand als eine völlig stimmige Folge eines von vornherein geplanten und gelenkten Prozesses erscheint, nämlich so, dass der jeweilige Organismus nicht hätte besser entworfen werden können, selbst wenn man es von Null auf kreieren würde. Auch das ist mitnichten der Fall. Viele Arten haben Körperteile (Rudimente und Atavismen), die aktuell keine Funktion mehr erfüllen und daher eben als Folge eines ungeplanten Evolutionsprozesses erscheinen. Ebenso haben viele Arten vergleichsweise unzweckmäßig, mitunter sogar abstrus konstruierte Organe. Wir können zwar evolutionsgeschichtlich nachvollziehen, warum es zu solch einem widersinnigen Aufbau gekommen ist. Dass aber eine Überintelligenz, die die Evolution plant und lenkt, absichtlich genau diesen Weg gewählt hat, um ein solches Resultat zu erzielen, erscheint nicht mehr plausibel (für zahlreiche Beispiele solcher "Design-Fehler", vgl. z.B. Richard Dawkins, Die Schöpfungslüge – Warum Darwin recht hat, Kapitel 11: Geschichte, in uns verewigt).

Eine weitere Erkenntnis der Forschung ist: Unsere Spezies konnte nur deshalb entstehen, weil zuvor andere Arten, die die Erde bevölkerten, etwa durch globale Naturkatastrophen ausgestorben sind. Ist es wirklich naheliegend, dass eine übergeordnete Intelligenz von Anfang an genau diesen Weg geplant haben soll? Wo liegt der Sinn darin, durch geplante oder gelenkte Evolution zum Beispiel so viele Arten von Dinosauriern in Jahrmillionen entstehen zu lassen, nur damit sie auf einen Schlag aussterben, sodass dann Säugetiere – wieder in Jahrmillionen – die freigewordenen Nischen "übernehmen" können? 

Es gibt viele Szenarien, die eine ziel- und zweckgerichtete Evolution von Lebewesen nahegelegt hätten. Alles, was die Wissenschaft wirklich herausgefunden hat, deutet aber genau auf das Gegenteil hin.

Die Unplausibilität des theistischen Gottesglaubens durch die Erkenntnisse der Evolutionstheorie

Ein Theist könnte hier einwenden, dass unser Wissen zu lückenhaft und unsere Erkenntnismöglichkeiten zu unvollständig sind, als dass wir mit Gewissheit irgendetwas ausschließen könnten. Das ist richtig, aber kein Argument. Denn mit demselben Einwand könnte man jede erdenkliche These gegen Kritik immunisieren. Wir können immer nur auf Grundlage dessen, was wir bislang mit guten Gründen zu wissen glauben, versuchen vernünftige Erwägungen anzustellen.

Weiter könnte man einwerfen, dies alles widerlege doch nicht die Existenz eines personalen und alles planenden Gottes. Natürlich nicht! Widerlegen im strengsten Sinne kann man nahezu keine Behauptung. Wir müssen, wenn wir Überzeugungen haben wollen, die wir vor unserer eigenen Vernunft verantworten können, (a) auf Grundlage des jeweils aktuellen Erkenntnisstandes alle alternativen Antworten kritisch vergleichen, (b) die vergleichsweise beste Antwort vorläufig auswählen und (c) für neue Antworten, neue Argumente und Perspektiven, für Revisionen und Änderungen unseres Standpunktes stets offen bleiben.

Warum ist die Annahme des personalen und alles planenden Gottes im Lichte unserer bisherigen Erkenntnisse vernünftiger als zum Beispiel die Annahme eines deistischen Gottes, der nur die Anfangsbedingungen des Universums erschaffen hat, ohne alles vorauszuplanen oder vorauszusehen? Warum sollte ein Gott die gesamte Evolution (einschließlich die Entstehung des Menschen) ausgerechnet in einer Weise geplant und gesteuert haben, dass der Mensch am Ende (aus den oben dargelegten Gründen) keine planvolle Steuerung zu erkennen vermag? Ist das göttlicher Humor?

Oder denken Sie an die vielen schrecklichen genetischen (und zwar nicht menschengemachten) Krankheiten, unter denen unschuldige Säuglinge ein qualvolles und kurzes Leben fristen. Gibt es wirklich gute Gründe anzunehmen, dass Gott genau vorausgeplant und/oder gewollt hat, dass exakt die betreffenden Säuglinge mit genau diesen Mutationen auf die Welt kommen? Wäre das dann immer noch göttlicher Humor?