Zum neuen Buch von Horst Groschopp

Pro Humanismus!

Horst Groschopps neues Buch, "Pro Humanismus. Eine Zeitgeschichtliche Kulturstudie" mit einer Dokumentation, ist allen organisierten Humanisten, insbesondere denen, die die Geschichte ihres Verbandes nicht aus eigener Erfahrung seit den 90ziger Jahren des letzten Jahrhunderts kennen, sehr zu empfehlen. Groschopp zeichnet detailliert die Entstehung der humanistischen Verbände nach.

Von Anfang an bestand ein schwieriges Verhältnis zum freidenkerischen Erbe sowie zu den Verbänden, mit denen man sich zwar im säkularen Spektrum vereint sieht, die aber im Gegensatz zu den Humanisten das Programm einer Säkularisierung als Verstaatlichung verfolgen.

Während die humanistischen Verbände begannen eine positive humanistische Weltanschauung zu entwickeln und dementsprechend zum Teil selber, analog zu den Religionsgemeinschaften in Kooperation mit dem Staat traten, sei es als Anbieter von Lebenskunde an den Schulen, sei es als staatlicher geförderter Sozialträger, vertreten andere Verbände des säkularen Spektrums, u.a. die 2004 neu gegründete Giordano Bruno Stiftung, lediglich eine negative Weltanschauung, also ein Konzept, welches sich darin erschöpft, eine völlige Trennung von Staat und Religionen/positiven Weltanschauungen zu fordern und alle von den Religionen/Weltanschauungen bislang erbrachten sozialen Aufgaben dem Staat zu übertragen.

Es ist klar, dass hier innerhalb des säkularen Spektrums ein erhebliches Konfliktpotential liegt, zum Teil auch zwischen den Humanistischen Verbänden selber, da es auf die Frage inwieweit man Kooperationen mit dem Staat für richtig hält, auch unter den Humanisten bis heute keine einheitliche Antwort gibt. Auch über die Frage, inwieweit der Humanismus ein Bekenntnis ist, gab es von Anfang an keinen Konsens. Hier stehen die Humanisten vor der Aufgabe alte Begrifflichkeiten aus dem Gebiet der Religion aus ihrem anders gearteten weltanschaulichen Verständnis heraus, mit einem neuen Inhalt zu füllen. Auch an solchen Punkten gilt es, die Dominanz eines kirchlich geprägten Denkens zu überwinden.

Je mehr die Humanisten begannen selber zivilgesellschaftlich und mit Unterstützung des Staates praktischen Humanismus zu verwirklichen, desto mehr wurde die Forderung nach einer radikalen Säkularisierung auch zu einer Forderung gegen den Humanismus.

Dies führt zu erheblichen Spannungen innerhalb gemeinsamer Dachverbandsstrukturen, was auch von außen wahrgenommen wird (Vgl. z. B. das Kapitel 11, Atheistische und humanistische Organisationen, im Handbuch Weltanschauungen der VELKD). Groschopp wirft aus humanistischer Perspektive die Frage auf, was bei dieser Lage getan werden muss, damit die bestehenden Organisationsstrukturen auf Bundesebene nicht handlungsunfähig werden.

Um diese wichtige Frage zu beantworten, muss man sich meines Erachtens der Grundfrage, was Trennung von Religionen/Weltanschauungen und Staat heißt, neu stellen.

Bei der Debatte um die Abschaffung des Staatskirchentums 1918 hat der Staatskirchenrechtler Wilhelm Kahl ausgeführt, dass Trennung von Staat und Kirche nichts anders heißen könne, als das "Mindestmaß der an sich unvermeidlichen Rechtsbeziehungen zwischen beiden ermitteln". Abgesehen von der Beschränkung auf die Kirchen, kann diesem Grundsatz bis heute nur zugestimmt werden. Die Religionen und Weltanschauungen sind Teile der Zivilgesellschaft im Staat, sie haben politische Forderungen und sie agieren im Rahmen des jeweiligen politischen Systems gemäß ihren Überzeugungen. Damit müssen Politik und Staat umgehen. Auch in einem formal laizistischen Staat wie den USA, entfalten die Religionen einen erheblichen politischen Einfluss und sind aktiv wie passiv Teil gesellschaftlicher Debatten. Trennung von Staat und Religionen/Weltanschauungen kann daher faktisch nie heißen, dass Staat und Religionen/Weltanschauungen keinen Kontakt miteinander haben. Vielmehr geht es darum zu bestimmen, wo eine Zusammenarbeit sinnvoll ist und welches eine dem Einzelfall angemessene Form der Kooperation zwischen Staat und Religionen/Weltanschauungen ist.

Ich habe hierzu in meinem Aufsatz "So wenig wie möglich und soviel wie nötig" (in: Groschopp (Hrsg.), Humanismus – Laizismus – Geschichtskultur, Aschaffenburg 2013, S. 34-58) Überlegungen angestellt. So sind z. B. der Kirchensteuereinzug und die Militärseelsorge abzuschaffen, dagegen sind z. B. der Religions-/Lebenskundeunterricht als freiwilliges Fach an den Schulen und Institute für Religion und Weltanschauungen an den Universitäten beizubehalten bzw. zu gründen (zur Begründung siehe die Ausführungen im genannten Text).

Zu einem anderen Ergebnis auf die Frage, was Trennung genau heißt, kann man nur dann kommen, wenn man einen verabsolutierten Staatsbegriff vertritt und den bürgerlich-kapitalistischen Staat in dem wir leben, für die Beste aller Welten hält und daher der Auffassung ist, dass der Staat selber alles am besten machen wird und zivilgesellschaftliche Aktereue, insbesondere die Religionen/Weltanschauungen nichts zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen könnten.

Dies ist jedoch ein Fehleinschätzung. Ohne zivilgesellschaftliche Akteure ist ein demokratischer Staat nicht möglich. Parteien, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Sozialträger, Berufs- und Interessenverbände, Sport- und sonstige Vereine und eben auch die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind für eine demokratische Gesellschaft absolut nötig. Nur wenn das Spektrum der vielfältigen sozialen, politischen und weltanschaulichen Positionen, die die Menschen nun einmal haben, zivilgesellschaftlich repräsentiert wird, gibt es die Möglichkeit darauf aufbauend politische Entscheidungen in demokratischen Prozessen zu finden.

Die in der säkularen Szene immer noch anzutreffenden radikalen Säkularisierer haben sich meines Erachtens die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, dass der Staat alles macht, nie gestellt. In ihrer generellen Feindschaft gegen die Kirchen sind sie vielmehr quasi automatisch dazu gekommen, den Staat nur positiv zu sehen. Es ist aber keineswegs so, dass der Staat immer gut und die Kirchen – Religionen/Weltanschauungen – immer schlechter sind.

Wie gut der Staat immer war, zeigt ein kurzer Blick zurück ins 20. Jh. Der faschistische Staat hat nach der Machteinsetzung der NSDAP alle zivilgesellschaftlichen Organisationen mit brutaler Gewalt zerschlagen oder gleichgeschaltet – mit Ausnahme der Kirchen. Die Kirchen waren im Dritten Reich die einzige verbliebene zivilgesellschaftliche Organisation in der ansatzweise eine Opposition möglich war. Bei aller gegebenen großen Anpassung der Kirchen an und Unterstützung für die Diktatur der NSDAP gab es von einzelnen Personen Widerstand, z. B. gegen die Euthanasie, auch wenn diese Personen häufig nicht von der Amtskirche unterstützt oder geschützt wurden. In der DDR war es ähnlich, auch hier waren die Kirchen die einzigen verbliebenen zivilgesellschaftlichen Organisationen in denen außerhalb von Partei und Staat Opposition möglich war. Daher haben sich in der DDR viele oppositionelle Gruppen unter dem Dach der evangelischen Kirche gesammelt.

Dass die Kirchen nicht zerschlagen oder gleichgeschaltet wurden, lag nicht nur an der Größe dieser Organisationen und ihrer politischen Anpassungswilligkeit, sondern auch daran, dass Menschen nicht nur aus zweckrationalen Überlegungen Mitglieder von Religionen und Weltanschauungen sind, sondern dass eine enge emotionale, bekenntnishafte Verbundenheit der Mitglieder zu ihren Organisationen besteht, die in Krisenlagen hohe Identifikations- und Solidaritätseffekte erzeugt, aus denen ein erhebliches Widerstandspotential erwächst.

Um Missverständnissen entgegenzutreten: Ich mache hier keine Werbung für die Kirchen. Ich mache Werbung für einen gesellschaftlich aktiven weltanschaulichen Humanismus. Wenn wir uns fragen, wie wir uns als Humanisten im Staat aufstellen sollen, dann müssen wir uns Fragen, wie Gesellschaft überhaupt organisiert werden soll, wie generell das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat sein soll und ob nicht eine humanistische Weltanschauung eine positive Funktion in Gesellschaft und Staat haben kann, die völlig unabhängig von der Frage ist, wie man den kirchlichen Einflusses auf Politik und Staat beschränken kann. Diese Fragen sind m.E. in den Debatten um Säkularisierung und Trennung von Staat und Kirche bislang untergegangen und bedürfen dringend der Klärung. (Auch das Humanistische Selbstverständnis 2015 thematisiert die Stellung des Humanismus zum Staat nicht.) Ein organisierter weltanschaulicher Humanismus ist die beste und sicherste Art und Weise Humanismus und Humanität nachhaltig in der Gesellschaft zu verankern, weil er als Weltanschauung nicht eine oberflächliche Mode, eine zweckrationale Nützlichkeitserwägung, sondern ein Teil der Identität der Personen ist. Dieses gilt es herzustellen.

Staatliche Strukturen beeinflussen die Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure. Man sollte solche Handlungsmöglichkeiten für das eigene weltanschaulichen Programm nutzen, solange in diesen Strukturen ein ausreichender eigener Handlungsspielraum existiert und Religionen und Weltanschauungen nicht wie z. B. beim jetzigen Modell der Militärseelsorge nur Handlanger des Staates sind. Wenn wir als Humanisten der Meinung sind, dass eine nach humanistischen Grundsätzen organisierte Gesellschaft eine für alle Menschen gute Gesellschaft ist, warum wollen wir nicht alle vorhandenen Möglichkeiten ausnützen um aktiv an ihrer Verwirklichung zu arbeiten, warum sollten wir darauf warten, dass der Staat dies eventuell für uns tut? Wenn in den aus humanistischer Perspektive sinnvollen Kooperationen der Religionen und Weltanschauungen mit dem Staat die Pluralität der Religionen und Weltanschauungen in unserer Gesellschaft adäquat abgebildet wird, dann gibt es aus humanistischer Perspektive gegen solche Kooperationen nichts einzuwenden.

Weltanschauung ist nichts theoretisches, eine Weltanschauungsgemeinschaft kein philosophischer Debattierklub. Die humanistischen Verbänden sind nicht im Sozialbereich tätig geworden, weil da viel Geld zu verdienen wäre, sondern weil sie sich entschieden haben, nicht länger auf den Staat zu warten, sondern, wie dies für eine Weltanschauung üblich ist, ihre zivilgesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und ihren Humanismus praktisch werden zu lassen – in Konkurrenz zu den anderen Religionen und Weltanschauungen. Eine Weltanschauungsgemeinschaft ist aber auch nicht nur irgendein Sozialträger. Es ist gerade die Verbindung eines umfassenden, die Identität der Mitglieder prägenden Weltbildes und eines darauf beruhenden sozialen Engagements, was diesem eine besondere Qualität gibt, weil sich darin eine humanistische Haltung ausdrückt, die vorbildlich sein kann. Daher ist die AWO oder der paritätische Verband kein adäquater Ersatz für den Humanismus. Ich weiß, dass dies angesichts der Realität der Verbände ein Idealbild ist, aber auch Humanisten sollten sich Ideale setzen.

Was heißt dies nun für die organisierten Humanisten? Wir sollten offensiv für unser Modell weltanschaulicher Praxis werben, wir sollten klar festlegen, wo wir mit dem Staat kooperieren wollen, warum wir dies wollen und in welcher Form wir dies wollen.

Wenn man diese Position vertritt, muss man sich darüber im klaren sein, dass eine Zusammenarbeit mit radikal säkularen Gruppen nur punktuell möglich ist. Einen gemeinsamen Grundkonsens gibt es nicht. Daher ist es nötig, gerade in solchen Kooperationen die eigene Position klar zum Ausdruck zu bringen. Konsens und Dissens sollten klar definiert werden, damit überhaupt Kooperationen sinnvoll möglich sind. Das sollten beide Seite aushalten können. – Und im übrigen: auch Trennungen sind Lösungen die Handlungsfähigkeit herstellen können.