Papst Franziskus

Besser ein Atheist als ein heuchlerischer Katholik?

Mag Papst Franziskus Atheisten wirklich lieber als heuchlerische Katholiken? So jedenfalls ist es derzeit überall zu lesen. Ein genauerer Blick auf die Predigt des Papstes zeigt jedoch, dass Franziskus von seiner negativen Sicht auf Atheisten nicht abgerückt ist.

Oops, he did it again! Wieder mal hat Papst Franziskus ein paar Dinge von sich gegeben, die Schlagzeilen machen. Die internationale Presse verkündete am Wochenende, Papst Franziskus habe gesagt, es sei besser, ein Atheist zu sein als ein heuchlerischer Katholik. Und wieder mal überschlagen sich die Franziskus-Fan-Groups - selbst jene unter den Kirchenfernen: "Ei, so ein fortschrittlicher Papst – der findet Atheisten besser als heuchlerische Katholiken, schau so schlimm ist der gar nicht zu uns Ungläubigen!"

Doch genau das hat er eben nicht gesagt. Bei Jorge Bergoglio alias Papst Franziskus lohnt sich stets ein genauer Blick zwischen die Zeilen. Aber was hat er denn nun genau gesagt? Laut der englischsprachigen Seite von Radio Vatikan, dem hauseigenen Rundfunkkanal des Heiligen Stuhls in Rom, hielt Papst Franziskus am 23. Februar eine Morgenmesse in der Casa Santa Marta, seinem aktuellen Wohnquartier im Vatikan. In der Predigt ging es um Katholiken, die nicht nach katholischen Grundsätzen leben. Diese, so der Papst, werde Jesus an der Himmelpforte auch trotz regelmäßiger Gottesdienstbesuche und Großspenden an die Kirche nicht ins Paradies lassen. Insbesondere hatte es Papst Franziskus in seiner Predigt offenbar auf reiche und mächtige Katholiken abgesehen. Explizit benennt er sogar den Fall eines Firmenchefs, der seinen Urlaub genoss, während die Angestellten vergeblich auf ihre Gehälter warteten. Durch solche Skandale würde der Glaube "der Kleinen", die einfach auf Gott vertrauten, erschüttert. In der Predigt findet sich folgende Passage:

Es ist ein Skandal, das eine zu sagen und etwas anderes zu tun; es ist ein Doppelleben, ein Doppelleben. Ein totales Doppelleben: "Ich bin sehr katholisch, ich gehe immer in die Messe, ich gehöre dieser Vereinigung an und jener; aber mein Leben ist nicht christlich, ich bezahle meinen Arbeitern keinen gerechten Lohn, ich beute Menschen aus, ich mache schmutzige Geschäfte, ich wasche mein Geld ..." Ein Doppelleben. Und es gibt viele Christen, die genauso sind. (…) Wie oft haben wir – und zwar alle von uns - schon in der Nachbarschaft oder sonst wo gehört - "statt so ein Katholik zu sein, ist es besser ein Atheist zu sein". Und das ist ein Skandal. Ihr zerstört. Ihr brennt etwas nieder. Und das passiert jeden Tag, man muss sich nur die Nachrichten im Fernsehen anschauen oder die Zeitung lesen. In den Zeitungen stehen so viele Skandale und es gibt diese große öffentliche Aufmerksamkeit für diese Skandale. Und mit den Skandalen kommt die Zerstörung.

Bereits der erste Blick auf die für Atheisten interessante Passage der Predigt verrät, dass Franziskus mit den entscheidenden Worten überhaupt nicht seine eigene Meinung zum Ausdruck bringt, sondern lediglich einen imaginären Nachbarn zitiert, der vom Verhalten der Katholiken in seinem Bekanntenkreis so sehr enttäuscht ist, dass er es für besser hält, ein Atheist als ein solcher Katholik zu sein.

Aber natürlich steckt noch eine ganze Menge mehr hinter dem, was der imaginäre Nachbar durch den Mund des Papstes spricht. Vordergründig bringen die Worte natürlich Franziskus Empörung darüber zum Ausdruck, dass das weitverbreitete moralische Doppelleben unter Katholiken nicht nur dem Einzelnen an der Himmelspforte schadet, wie er glaubt, sondern dem Katholizismus insgesamt. Ein Katholik, der ein solch skandalöses Leben führt, erschüttert eben auch den naiven Glauben des kleines Mannes – bzw. des imaginären Nachbarn - an Gottvater und Mutter Kirche. Und zwar so sehr, dass der es nicht mehr für erstrebenswert hält, ein Katholik zu sein. Da kann man dann auch gleich Atheist sein, findet der Nachbar im Munde des Papstes.

Was für ein Bild von Atheisten hier gezeichnet wird, erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Der vom Papst erfundene imaginäre Nachbar hält Atheisten aus moralischer Perspektive nur für geringfügig besser als heuchlerische Katholiken, die permanent gegen ihre eigenen moralischen Prinzipien verstoßen und Menschen ausbeuten. Nicht-heuchlerische Katholiken – das impliziert das Zitat – sind in den Augen des imaginären Nachbarn natürlich moralisch wesentlich hochwertiger als heuchlerische Katholiken – und selbstverständlich auch als Atheisten. Das Zitat in der Predigt des Papstes zementiert so einerseits das verbreitete Vorurteil vom unmoralischen Atheisten und verrät andererseits etwas über die Sicht, die Franziskus von Atheisten hat. Beides selbstverständlich in vollkommen unangreifbarer Weise, denn Franziskus spricht in diesem Zitat ja vorgeblich nicht für sich selbst, sondern zitiert nur den von ihm erfundenen imaginären Nachbarn.

Dass sich dennoch in der Presse immer wieder die Auffassung findet, dass Papst Franziskus Atheisten gegenüber positiv eingestellt sei, basiert auf einer Predigt des Papstes vom 22. Mai 2013. Er hatte darin verkündet, dass auch Atheisten Gutes tun könnten und dass Jesus auch für sie sein Blut vergossen habe. Übersehen wird jedoch häufig, dass der Vatikan in den Tagen nach der Predigt hektisch darum bemüht war klarzustellen, dass Atheisten noch immer in die Hölle kommen. Eine Lehre der katholischen Kirche, die auch Franziskus nicht anzweifeln dürfte. Während seiner geistlichen Antrittsrede als Papst am 14. März 2013 in der Sixtinischen Kapelle hatte Franziskus für Nicht-Christen jedenfalls deutliche Worte gefunden: "Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, bekennt man die Weltlichkeit des Teufels, die Weltlichkeit des Bösen."

"Aber was er da über heuchlerische Katholiken sagt, ist doch trotzdem toll und richtig!", werden nun wieder die Franziskus-Fans rufen – auch jene unter den Ungläubigen. Ja sicher: Das ist ein höchst sympathisches Statement des Papstes. Noch sympathischer wäre es allerdings gewesen, wenn er bei der katholischen Nabelschau nicht nur auf das moralische Doppelleben weltlicher katholischer Firmenbosse geschaut hätte, sondern auch auf den Laden, deren Boss er selbst ist: Der Reichtum der katholischen Kirche fußt auf der Ausbeutung, mit der armen Leuten über Jahrhunderte der Kirchenzehnt abgepresst wurde. Und auch heute noch sind die gigantisch reiche katholische Kirche und ihre Funktionsträger bekanntlich in finanzielle und zwischenmenschliche Machenschaften verwickelt, die mitunter eher fragwürdig zu nennen sind.