Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hat 2012 mit "We should all be feminists" einen fulminanten Aufruf für eine Gleichheit der Geschlechter verfasst. Mit einem Brief an ihre Freundin Ijeawele legt sie nun einen konzentrierten Leitfaden für eine feministische Erziehung vor.
Chimada Ngozi Adichie hat für außenstehende zwei Identitäten. Auf der einen Seite verkörpert sie die seriöse literarische Figur, die man zu den wichtigsten afropolitan writers zählen muss, auf der anderen Seite die ehrgeizige Feministin mit Modeaffinität, die sich für gleiche Rechte von Männern und Frauen stark macht.
Die Betonung liegt gleiche Rechte, denn wir sollten den "selektiven Gebrauch von Biologie als »Begründung« für soziale Normen in unserer Kultur ablehnen", wie sie in ihrem Brief an ihre "Liebe (Freundin) Ijeawele" schreibt, in dem sie erklärt, "wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden"
Der Anlass des Briefes ist die Geburt von Chizalum Adaora, die Tochter ihrer Freundin Ijeawele. Diese Freundin hatte die Autorin gebeten, ihr zu sagen, "wie man ein neugeborenes Mädchen feministisch erzieht". Nach anfänglichem Zögern, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein, setzt sich die nigerianische Autorin hin und formuliert 15 goldene Regeln, um durch die Erziehung "eine gerechtere Welt für Frauen und Männer schaffen kann".
Der Kerngedanke, der dem Brief zugrunde liegt, ist einer, der bei der Empfängerin des Schreibens (und den Leserinnen und Lesern) selbst ansetzt. "Ich bin gleich wichtig. Punkt." Ohne diesen Grundsatz ist jedes Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Danach folgen 15 als Erziehungsvorschläge formulierte Leitsätze, die vom selbst weg hin zum Kind und von dort zur Gesellschaft führen. "Sei eine vollständige Person" und definiere dich nicht nur über die Mutterrolle, lautet Regel eins, um deutlich zu machen, das Frauen mehr sind als Mütter und Hausarbeit sowie Kindererziehung geschlechtsneutrale Aufgaben sind. "Erkläre ihr, dass »Geschlechterrollen« absoluter Blödsinn sind" lautet eine andere Maßgabe, unter der sie erklärt, dass "Weil Du ein Mädchen bist" nie ein Grund für irgendwas ist. "Die Fähigkeit zu kochen ist nicht vorinstalliert in einer Vagina."
Bildung und Kritik sind etwas, dass Adichie ihrer Freundin ans Herz legt, vor allem, wenn es darum geht, ihrer Tochter einen Weg in die Zukunft zu ebnen. Sie soll mit ihrer Tochter über Sexualität und Verhütung sprechen und dafür sorgen, dass das Mädchen keinen gesteigerten Wert darauf legt, zu gefallen. Zugleich rät sie aber auch, das Aussehen niemals mit Moral in Verbindung zu bringen, "denn Kleidung hat absolut nichts mit Moral zu tun.
In einem Gespräch mit der britischen Autorin Zadie Smith hat Adichie einmal gesagt, dass es sehr wichtig sei, dass brillante Frauen sich trauen, auch heiße Feger zu sein. Sie selbst hält sich daran. In der Modeszene gilt sie längst als stilsichere Ikone, die Modebewusstsein und Feminismus in Einklang zu bringen versteht. Entsprechend verurteilt sie auch einen zurückgehaltenen oder moralisierenden Feminismus. Denn "entweder glaubt man an die vollständige Gleichheit der Geschlechter, oder man glaubt nicht daran."
Die in den USA und in Nigeria lebende Autorin plädiert auch dafür, Feminismus nicht mit Humanismus oder demokratischem Bewusstsein zu verwechseln. Wer dies tue, der streite ab, dass viele Probleme mit Gender beziehungsweise dem Geschlecht begründet werden.
Es sind keine in Stein gemeißelten Regeln, die Adichie hier aufstellt, und nur vereinzelt sind sie direkt auf die nigerianischen Kulturkreise zugeschnitten. Entsprechend empfiehlt sich eine andere Lektüre, denn der simplen Zusammenstellung dieser wohlbegründeten Empfehlungen entsteht zwar kein vollumfängliches, aber ein scharfes Bild zur Gleichstellung von Mann und Frau in der Gegenwart.
"Nur eine Person ist notwendig, damit sich etwas ändert", schreibt Adichie an ihre Freundin und ergänzt, dass es keine soziale Norm gebe, "die nicht verändert werden könnte." Vor allem aber braucht es Bewusstsein, um Veränderung anzustoßen. Adichie schafft genau das mit diesem Büchlein, dass nicht nur Väter und Mütter von Töchtern, sondern alle Väter und Mütter lesen sollten, um es dann an ihre Kinder weiterzureichen. Denn Bewusstsein, erst recht das für soziale Ungerechtigkeiten, wird nicht vererbt, sondern muss immer wieder neu erworben werden.
Chimamanda Ngozi Adichie: Liebe Ijeawele Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden, Fischerverlage 2017, 80 Seiten. 8,00 Euro - Aus dem Englischen von Anette Grube
4 Kommentare
Kommentare
David Z am Permanenter Link
"Denn entweder glaubt man an die vollständige Gleichheit der Geschlechter, oder man glaubt nicht daran."
Ich halte es dann doch lieber mit Wissen. Und ich weiss, wie jeder halbwegs Gebildete, dass sich die Geschlechter biologisch unterscheiden und damit eine "vollständige Gleichheit" ins Reich der Fantasie gehört.
"Die in den USA und in Nigeria lebende Autorin plädiert auch dafür, Feminismus nicht mit Humanismus oder demokratischem Bewusstsein zu verwechseln"
Warum? Ist das nicht die Basis? Was gibt es mehr, als auf humanistischer und demokratischer Basis festzuhalten, dass beide Geschlechter die gleichen Rechte und Pflichten haben. Braucht man für diese Erkenntnis noch eine Feminismus-Ideologie?
Martin Mair am Permanenter Link
Seltsam, wie sich da alles zum x-ten Male wiederholt und das Rad neu erfunden.
Die Gleichheit aller Menschen und auch der Geschlechter, das war schon ein Programm der Aufklärung, des Sozialismus und des Anarchismus ... (wenngleich die Praxis mitunter recht hinkte).
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Herzlichen Dank an den Autor für diesen großartigen Artikel und Vortrag über und von Chimamanda Ngozi Adichie.
Stefan Wagner am Permanenter Link
Erfreulich am Video ist, dass sie die Geschlechtsunterschiede nicht einseitig als Frauenunterdrückung beschreibt, etwa wenn es darum geht, dass erwartet wird, dass die Jungs, wenn sie mit Mädchen ausgehen, zahlen, und
Im Video behauptet sie, dass Rollen nicht angeboren sind, sondern sich als selffulfilling Prophecy vererben.
Das ist m.E. viel zu einfach gedacht. Es erklärt nicht, wieso sich in allen Kulturen Geschlechterrollen entwickelt haben, teils konträre, teils aber auch mit großen Übereinstimmungen.
Sie selbst erklärt, dass Körperkraft als materielle Indeterminante in der Geschichte - noch vor 1000 Jahren (das würde ich auf maximal 150 Jahre ansetzen) eine viel größere Rolle gespielt habe. Solche rationalen Überlegungen werden ja nicht von allen Feministinnen geteilt und müssen gelobt werden.
Dass sie High-Heels und Lippgloss benutzt, nicht um Männern zu gefallen, sondern für sich selbst, da sitzt sie m.E. einem verbreiteten, antipsychologischem Selbstbetrug auf, der notwendig mit der Ablehnung aller sozialen Rollen, die mit dem Geschlecht verknüpft sind, einhergeht.
Kindern und Jugendlichen zu erklären, dass Geschlechterrollen per se absoluter Blödsinn seien wird auch nicht funktionieren, wenn man selbst offensichtlich Geschlechterrollen reproduziert und ich behaupte, dass man das gar nicht anders kann. Zum Beispiel Kleidung - wir tragen Kleidung in gesellschaftlichen Kontexten und drücken mit Kleidung vieles aus, was unsere Rolle in diesen Kontexten betrifft. Auch Kleidung, die Ablehnung gegenüber der Gesellschaft ausdrückt bildet wieder eine Kultur (Punk, Burka) und neue, alternative Rollen.
Eine dezidiert humanistisch-aufklärerische Position darf m.E. die Widersprüche nicht verleugnen, die sich aus einer möglichst fairen, genauen und aufrichtigen Beobachtung der Realität ergeben. Freilich kann man dann die eigenen Ziele nicht mehr auf einfache Parolen ("keine Geschlechterrollen") mehr runterbrechen. Man erreicht dafür aber sicher eher kritische Gemüter, denen die Welterklärungen des Feminismus zu grobschlächtig sind.
Auf Strohmänner wie das Frauen-müssen-Kochen-Gen muss dann auch nicht weiter eingedroschen werden.