Interview mit Philipp Möller

"Religion begegnet einem ständig an Orten, wo sie nicht hingehört"

Bestseller-Autor Philipp Möller arbeitet derzeit an einem neuen Buch. Es trägt den Titel "Gottlos glücklich". Im Rahmen der hpd Themenwoche Nicht-Glauben sprach er mit hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg über sein gottlos glückliches Buch-Projekt und das Kreuz mit den Religionen.

hpd: Philipp, die ARD veranstaltet ab dem 11. Juni eine Themenwoche unter dem Motto "Woran glaubst du?" …

Philipp Möller: … was mir momentan einige Interviewtermine beschert und dabei lautet die Argumentation immer wieder: ‚… denn wir wollen natürlich auch mit den Menschen sprechen, die explizit nicht glauben.‘

Um genau die geht es ja diese Woche auch bei uns in der hpd-Themenwoche Nicht-Glauben. Also: Woran glaubst du denn nicht, Philipp?

Beispielbild

Puh! Damit könnte man wohl eine ganze Bibliothek voll heiliger Schriften und esoterischem Wunschdenken füllen, aber auch mit politischen Heilslehren und den Verheißungen des ungebremsten Konsums: mehr, mehr, mehr, ist zwar alles Schrott, aber Hauptsache viel davon - danke, nein! In meinem Umgang mit Gläubigen fällt mir aber immer wieder auf, dass sie die Frage, woran sie denn glauben, hauptsächlich mit Hoffnungen beantworten: einen liebenden und gerechten Gott, das "Gute im Menschen", den Weltfrieden und so weiter. Auf mich macht das ehrlich gesagt einen naiven Eindruck, und auch wenn ich diese Naivität in schwachen Momenten ein wenig beneide, finde ich mit Blick auf die Welt einfach keinen Anlass für Naivität - ganz im Gegenteil! Um deine Frage also ganz kurz zu beantworten: Mein kommendes Buch trägt zwar den Titel "Gottlos Glücklich", aber genau so glaube ich einfach nicht, dass wir die Probleme dieser Welt auch nur ansatzweise lösen können, solange Religion ein politisches Machtinstrument ist - und das frustriert mich ungemein.

Hast du einen Lösungsvorschlag dafür?

Du meinst einen, der über die von Humanisten immer wieder geforderte Bildung hinausgeht?

Genau.

Nein, sorry. Ich könnte jetzt große Reden schwingen über die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten, die bei den Abgehängten dieser Welt zu Frustration und damit zur Anfälligkeit für Extremismus führen, aber letztlich muss Bildung wie eine flächendeckende Impfung gegen Unsinn verstanden werden, zu dem nicht nur Religion gehört. Außerdem wissen wir das längst, und als Humanist brauche ich Humanisten wohl kaum etwas über Humanismus erzählen.

Du klingst pessimistisch.

Mag sein, ist vielleicht eine Laune, die damit zusammenhängt, dass ich mich so machtlos fühle - und das, obwohl ich meinen Drang zur Aufklärung ja schon zu meinem Beruf gemacht habe! Michael Schmidt-Salomon hat in dem Kontinuum zwischen Fassungslosigkeit und Zuversicht ja zwei Bücher geschrieben, "Keine Macht den Doofen" und "Hoffnung Mensch" - ich bin momentan ganz klar im Keine-Macht-den-Doofen-Modus: Angesichts der Trumps und Putins und Erdogans und Kims und LePens und Orbans und vor allem der Dschihadisten, zu deren Gräueltaten dann auch noch der Papst befragt wird - als hätten wir nicht schon genug zweckloses Gerede auf dem Schirm!-, schmilzt meine Hoffnung auf kluge und friedliche Lösungen wie Schnee in der Frühlingssonne. Und wenn ich dann auch noch bei Facebook lese: "Aber so einfach ist das alles nicht, Philipp, du darfst nicht alles glauben, was in den Medien behauptet wird", dann möchte ich manchmal einfach den Laptop zuklappen und ihn zusammen mit meinem Smartphone dem Sondermüll übergeben, um dann mit meiner Familie in die Berge oder ans Meer zu fahren und dort einfach so zu tun, als sei alles in Ordnung.

Was hält dich davon ab?

Dass eben nicht alles in Ordnung ist! Die massive Unterdrückung von Frauen nicht nur im Islam, die heftige arbeitsrechtliche Diskriminierung durch die katholische und die evangelische Kirche, die Kriminalisierung der Sterbehilfe, die Legalisierung ritueller Genitalbeschneidungen, nicht enden wollende Missbrauchsskandale, die gezielte Radikalisierung von jungen Männern durch Organisationen, mit denen unsere Regierung Staatsverträge schließt – das alles sind Ergebnisse der Narrenfreiheit, die Religionsgemeinschaften durch das Grundgesetz unserer Gottesrepublik genießen. Religion begegnet einem ständig an Orten, wo sie nicht hingehört. Bei uns nebenan im Kindergarten, der zu 99 Prozent vom Land finanziert wird, dessen offizielle Aufgabe aber darin besteht, Kinder zu Christen zu erziehen – von Erzieherinnen, die fristlos entlassen werden können, wenn sie ein zweites Mal heiraten oder eine homosexuelle Beziehung führen. Weil alle 50.000 kirchlichen Betriebe bundesweit vom Betriebsverfassungsgesetz ausgenommen sind, können fast 1,5 Millionen Deutsche auf diese Weise diskriminiert werden – mit dem Segen des christlichen Gesetzgebers. Dann laufe ich durch unseren bunten Kiez, begegne dort Patchworkfamilien und homosexuellen Paaren und treffe dort Bekannte, die ihrem dreijährigen Sohn den sensibelsten Teil seines Geschlechtsorgans haben amputieren lassen – nur bei Jungen legal, weil unsere Bundesregierung religiöse Rituale höher bewertet als Kinderrechte. Dann besuche ich einen unheilbar kranken Freund, der höllische Angst vor einem langen und qualvollen Tod hat – weil unsere Bundesregierung gegen den Willen von fast 90 Prozent der Bevölkerung und gegen sämtliche ethischen Argumente die Sterbehilfe kriminalisiert hat. Dann fahre ich an einer Moschee vorbei, in der gezielte Desintegration stattfindet – obwohl bekannt ist, dass dort Hasspredigten gehalten werden.

Ich sehe schon, dein Buch wird ein Rundumschlag …

Wohl wahr. Und nachdem der Fischer Verlag eine Leseprobe an Journalisten verschickt hat, gibt es jetzt zur ARD-Themenwoche tatsächlich rege Nachfrage. Ich hoffe natürlich auch, mit dem Buch einen gesellschaftlichen Nerv zu treffen, und angesichts der Tatsache, dass tatsächlich satte 79% der jungen Deutschen sich laut der repräsentativen Befragung "Generation What?" als gottlos glücklich bezeichnen, gibt es darauf zumindest eine ganz gute Chance. Im Idealfall muss ich mich also ab September, wenn "Gottlos glücklich" erscheint, wieder auf nervenaufreibende öffentliche Diskussionen einstellen, bei denen ich äußerlich auch noch so tun muss, als sei ich total cool und sachlich und verständnisvoll.

Und wie bist du innerlich?

Na, was denkst du denn? Natürlich total cool und sachlich und verständnisvoll.

Klar! Aber gab es denn in letzter Zeit einen Moment, in dem du im Zusammenhang mit dem Glauben auch mal die Fassung verloren hast?

Ja, und zwar beim Anblick der gigantischen Bühne des evangelischen Kirchentages direkt vor dem Bundestag - das war einfach krass! Auf dem Foto, das ich bei Facebook gepostet habe, kann man die Ausmaße nur erahnen, aber als wir mit David Faragos Lutherfigur auf dem Platz der Republik ankamen, wurden die Machtverhältnisse noch einmal deutlich: Wer die Menschen mit nackten Tatsachen wie Luthers Antisemitismus irritiert, wird in der Gottesrepublik Deutschland mit hanebüchenen Argumenten des Platzes verwiesen. Wer hingegen einen total abstrusen Hirtenkult professionalisiert, der bekommt vor dem Regierungssitz unseres Rechtsstaates eine mit Steuergeldern finanzierte Werbeveranstaltung zugesagt. Dazu fällt mir nichts mehr ein!

Ehrlich?

Doch, und zwar hier - Achtung! - mein ganz offizielles Bekenntnis: Ich glaube fest daran, dass die jetzt nachwachsende Generation so selbstverständlich und explizit unreligiös ist, dass der politische Budenzauber unserer Haus- und Hofreligion bald ein Ende haben wird. Spätestens, wenn der Islam immer lautstärker die gleichen Privilegien einfordert, die wir den Großkirchen momentan noch gewähren, wird sich eine glasklare Haltung herauskristallisieren: Alle Religionen müssen Privatsache sein, sonst lässt sich dieses großartige, freie und selbstbestimmte Leben in einer solidarischen und vielfältigen Gesellschaft nicht mehr aufrecht erhalten.

Zum Ende also doch ein wenig Zuversicht?

Ja, von mir aus, aber bis dahin schimpfe ich weiter wie ein Rohrspatz über den organisierten Aberglauben und seine Integration in unsere Gottesrepublik!