JENA. (hpd) Die gbs-Hochschulgruppe Jena hatte einen Tag nach dem schrecklichen Attentat von Paris zu einer Gedenkminute aufgerufen. Die in einer Rede des Autors vorgetragene Islamkritik verbrämten manche Zuhörer als “Pegida soft” – Nach einem kurzen Veranstaltungsbericht soll hierzu Stellung bezogen werden.
Der Terroranschlag von Paris war zu allererst ein Angriff auf das Leben und die Gesundheit der Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo. Aber eben nicht nur. Er war vielmehr auch ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Kunstfreiheit! Diese Rechte wurden in einem Jahrhunderte währenden Kampf unter großen Opfern – auch gegen die christlichen Kirchen – erstritten. Sie müssen nun erneut verteidigt werden und dürfen in einem säkularen Staat nicht zugunsten religiöser Gefühle geopfert werden.
Mit diesen Worten eröffnete ich als Sprecher der gbs-Hochschulgruppe Jena die Gedenkveranstaltung zugunsten der Opfer und Hinterbliebenen des Anschlags vom 7. Januar 2015. Sie geben auch die Motivation der Gruppe wieder, zu dieser Versammlung einzuladen.
Kurz nach Mitternacht wurde die Facebook-Veranstaltung erstellt und binnen weniger als 18 Stunden erklärten über 250 Personen ihre Teilnahme. Noch in der Nacht wurden Einladungen verschickt, u.a. an den Jenaer Oberbürgermeister, den Präsidenten der Universität sowie die Rektorin der Fachhochschule, und bewusst auch an die Medien, Parteien und Gewerkschaften – sprich alle Institutionen, die Pegida als Lügner ablehnt. Schon deshalb weisen wir den Vorwurf strickt von uns.
Jenaer Muslime haben Angst
Darüber hinaus haben wir auch explizit das Islamische Zentrum Jena e.V. sowie den Islamischen Kulturverein Jena e.V. eingeladen. Eine Reaktion hierauf haben wir leider nicht erhalten. Doch im Interview mit der TLZ verurteilten mehrere Mitglieder des Islamischen Zentrums, in dem regelmäßig etwa 150 Muslime beten, den Anschlag. Gegenüber der Zeitung bekundeten sie ihre “Angst vor der Reaktion der Gesellschaft, Angst davor, dass in den nächsten Tagen und Wochen die Pegida-Bewegung viel Zulauf erfahren wird.” Omar Nassimi, der stellvertretende Vorsitzende des Islamischen Kulturvereins in Jena, erklärte: “Diese Furcht ist das beherrschende Gefühl. Ich weiß, dass ich in erster Linie Mitleid mit den Opfern des Anschlags empfinden sollte, doch die Angst vor dem, was jetzt kommt, ist stärker.” Die gbs-Hochschulgruppe Jena bedauert dies sehr und hofft, durch ihr Wirken vor Ort und die Differenzierung zwischen Muslimen und der Ideologiekritik am Islam zur Entschärfung der Situation einen Beitrag leisten zu können.
Die Flamme der Aufklärung muss in uns allen brennen
Gegen 18 Uhr hatten sich auf dem Universitätscampus zwischen 150 und 200 Menschen versammelt, um mit Kerzen und einer Schweigeminute ihre Anteilnahme zu erklären. Darunter war auch der Jenaer Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter (SPD). Gegenüber dem MDR drückte er seine tiefe Anteilnahme aus und sprach von einem “Angriff auf die Demokratie und Europa”.
Mit Kerzen hatte die gbs Jena den Schriftzug “Charlie” nachgebildet. Doch Regen und ein aufziehender Sturm machten uns einen Strich durch die Rechnung. “Auch wenn die Kerzen nicht brennen: Die Flamme der Aufklärung muss in uns allen brennen um Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit weiter zu verteidigen.” Stein des Anstoßes waren dann meine sich hieran anschließenden Worte: So wie es falsch ist, alle Muslime über einen Kamm zu scheren – genauso falsch ist es zu behaupten, dies alles hätte mit dem Islam nichts zu tun. Nach den Medienberichten schrieen die Mörder nach Ihrer Tat “Allahu Akbar” (Gott ist groß) und es wird von einem islamistischen Hintergrund ausgegangen. In der Debatte wird nun stets zwischen Islam und Islamismus unterschieden. Doch dies ist nicht ausreichend. Auch der Islam muss endlich durch die Schule der Aufklärung gehen, die das Christentum bereits absolvieren musste.
“Gut gegen Böse”-Denken hilft nicht weiter
“Sind wir hier bei Pegida, oder was?” fragte daraufhin eine Teilnehmerin, die auch durch spätere Facebook-Kommentare Unterstützung fand.
Mein Versuch, dies abzuwehren, empörte manche scheinbar nur noch mehr: “Wir sind weder hier, um gegen Muslime zu hetzen, noch um Pegida als gut oder böse zu bewerten. Diskutiert werden muss weniger über die Bewegung, sondern mehr über die dort angesprochenen Themen.” Dies wurde uns als eine nicht hinreichende Abgrenzung von Pegida ausgelegt.
Die gleichen Kritiker, denen die Gedenkveranstaltung zu politisch war, fordern also andererseits eine intensivere politische Auseinandersetzung.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass auch einige Mitglieder unserer Gruppe hinterher meinten, wir hätten uns deutlicher von Pegida und ihren kruden populistischen Parolen distanzieren sollen – dies sei hiermit ausdrücklich nachgeholt. Nichtsdestotrotz stimmt die Gruppe mit dem Redner überein, dass die bloße Ablehnung von Pegida nicht weiterhilft. Da die gesellschaftliche Debatte diesbezüglich weitgehend in einer “Gut gegen Böse”-Dämonisierung verhaftet bleibt, war es dem Redner ein Anliegen, die Notwendigkeit der Suche nach Lösungen zu betonen. Mit dieser Forderung stehen wir auch keineswegs alleine da: Ralf Leifer, Geschäftsführer des Landesverbandes Thüringen des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV), fordert in einem zweiten MDR-Bericht über unsere Gedenkveranstaltung von der Presse ein Umdenken: “Wir müssen auf ihre Themen eingehen, die sie bewegen, und wir müssen in unserer Berichterstattung das entsprechend aufgreifen und Lösungen aufzeigen und auch Prozesse, die zu Lösungen führen.”
6 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Alle sind Charlie, doch wo bleibt: „Ich bin Palästina“, „Ich bin Ukraine“, „Ich bin Syrien“?
Willie am Permanenter Link
schade dass sie die Aussage eines so langen Textes nicht verstanden haben.
Mit einem "Ich bin Palästina", "Ich bin Syrien" oder auch einem "jesuisjuif" kann ich nichts anfangen, da es zu speziell ist und ich die damit transportierten Aussagen (egal ob positiv oder negativ) nicht mittragen kann. Ich bin ein Allerweltsmensch der sich solidarisch mit all den Charlies auf der Welt erklärt, der für eine andere, friedvollere Zukunft streitet und aufsteht.
Nicht jeder mag diese Art der Metapher, aber auch das kann ich ertragen, solange ich auch Charlie sein darf.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ein sehr guter und wichtiger Kommentar.
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Steinhaus, mit dieser Erklärung können Sie nicht mehr aus der Welt schaffen, dass eine Trauerveranstaltung so kurz nach dem Tod der Betrauerten der falsche Ort zum falschen Zeitpunkt ist, dem Islam
Nein, das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo ist nicht Teil eines "Kampfes der Kulturen", es war die Tat von 2 Brüdern, welche einer menschen- und lebensverachtenden, politischen Ideologie mit religiöser Verbrämung verfallen waren. Es ging ihnen sehr wahrscheinlich um die "gerechte" Bestrafung der Blasphemiker. Aktive Jugendarbeit durch Sozialarbeiter, bessere Schulen, gute Arbeitsplätze halte ich für das beste Mittel gegen den djihadistischen Terrorismus. Leider wurden und werden immer noch die schon immer knappen Mittel hierfür noch weiter zusammengestrichen im Namen der "Sparpolitik". Sicherheitspolitik geschieht eben nicht nur durch Militär, Geheimdienst und Polizei. Mit dieser Meinung stehe ich und die meisten meiner Freunde und Bekannten nicht allein.
Maximilian Steinhaus am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Linnhoff,
sie schreiben, es sei so kurz nach dem Tod der Betrauerten der falsche Ort zum falschen Zeitpunkt, dem Islam die Verantwortung für diese Mordtaten zu zuschieben. Wenn Sie nur Zeit und Ort der Islamkritik für unangebracht halten, dann widerspreche ich Ihnen und verweise auf den Teil am Ende des Artikels: Wann will man Islamkritik üben, wenn nicht nach so einem Terrorakt?
Aber ich vermute, Sie wollten eher sagen, dass diese Morde überhaupt nicht dem Islam "in die Schuhe zu schieben" seien. Dann verweise ich auf das, was ich in einem Interview gegenüber dem MDR bereits sagte (wurde aber, glaube ich, herausgeschnitten): Natürlich führt nicht der Islam allein zur Radikalisierung. Hierbei spielen viele andere Faktoren (Bildung, Umfeld, Armut, Ausgrenzung, Hoffnungslosigkeit, etc.) auch eine Rolle. Doch solange wie sich der Islam nicht von den Dornen der Intoleranz befreit, wird er für radikalisierungsgefährdete Menschen einen Nährboden zur Gewalt bieten.
Ein schlichter Verweis auf das Zahlenverhältnis von gemäßigten und gewaltbereiten Muslimen ist da zu oberflächlich. Wenn Sie darauf entgegen möchten, dass ja bei allen Religionen die Gefahr des Missbrauchs / der Radikalisierung bestünde, dann will ich Ihnen gar nicht widersprechen – aber genau deshalb wäre es gut, wenn die menschliche Gesellschaft ihre Regeln für ein gemeinsames Miteinander nicht mehr versucht aus überholten "heiligen Büchern" abzuleiten, sondern sich selbst eine humanistische Ethik gibt, die hinter das Recht auf Meinungsfreiheit etc. nicht immer ein interpretationsbedürftiges „aber“ setzt.
Schauen Sie sich doch mal auf unserem Blog am Ende der Seite die Zusammenstellung von Artikeln an, die ebenfalls eine Reform des Islams fordern. Insbesondere das Interview mit Ahmad Mansour in der Berner Zeitung möchte ich empfehlen:
"Leider haben die etablierten muslimischen Verbände keine Antwort auf diese Entwicklung. Sie bieten keine Jugendarbeit an, die die Jugendlichen erreicht. Wir brauchen aber muslimische Jugendliche, die aufstehen und sagen: Ich bin religiös, aber das rechtfertigt nie, meine Schwester einzusperren, Menschen umzubringen oder sich einer Terrorgruppe anzuschliessen. Es gibt kaum muslimische Verbände und Vertreter, die hinstehen und sagen: Es kann nicht sein, dass das normale Islamverständnis eine Basis schafft für Radikalismus. Es darf nicht sein, dass Junge mit einem strafenden Gott aufwachsen, der klar sagt, was richtig und was falsch ist. Wenn nun eine Organisation wie die Salafisten solche Prinzipien verficht, beissen 5 Prozent der Jugendlichen an. Das sind 5 Prozent zu viel."
Olaf Sander am Permanenter Link
Darf man eine Trauerveranstaltung nutzen und sich kritisch mit den Ursachen für die Trauerveranstaltung auseinandersetzen?
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Wenn ich mir diese ganze Diskussion, vor allem auch bei Facebook, durchlese, dann frage ich mich, ob sich die Kritiker dieser Trauerveranstaltung für "Charlie Hebdo" im Klaren darüber sind, was das für Menschen waren, die sie da betrauern wollten?
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Diese Leute waren Karikaturisten, die mit viel Kritik und noch mehr Enthusiasmus mehr schlecht als recht ihre Brötchen verdienten. Bis zum Terroranschlag war "Charlie Hebdo" ein bettelarmes Satiremagazin mit einer Auflage von 60.000 und ohne Reklame. Die Ermordeten haben nicht gezeichnet, weil das so gut bezahlt war, sondern weil sie mit ihren Zeichnungen ihre Kritik ausdrücken und die von unseren Ahnen hart erkämpften Freiheiten verteidigen wollten.
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Auch das die wenigen Überlebenden von "Charlie Hebdo" nur eine Woche später eine (endlich) viel beachtete Ausgabe mit eben jenen kritischen Karikaturen in Millionenauflage heraus brachte, spricht dafür, sich kritisch mit dem Tod der Karikaturisten, und deshalb auch mit den Ursachen dafür, auseinanderzusetzen. (Auch wenn das zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch keiner wissen konnte)
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Dennoch - so einen Bias muss man sich erstmal zulegen können; dass man kritische Gedanken auf einer Gedenkfeier für die wegen ihrer Kritik ermordeten Kritiker als unzulässig empfindet.
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Aber was, außer dem Unverständnis für die Ermordeten und ihr Erbe, sind denn nun die Ursachen für die Kritik an der Kritik?
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Mutmaßlich ist es nicht nur eine merkwürdige und vom Betroffenheitsjournalismus angeheizte Pietät, sondern auch noch falsch verstandene Solidarität mit den hier lebenden Muslimen, die jetzt wieder generalisiert dem Terrorverdacht ausgesetzt sind - was im Übrigen die andere Seite dieser irrationalen Medaille ist.
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Solidarisch zu sein heisst nicht, nicht zu hinterfragen und zu kritisieren, egal wie erschüttert, angetan oder sonst wie berührt man von jemanden oder etwas ist. Wenn keine Kritik am Islam (und jeder anderen Religion auch) geübt werden darf und somit auch die Sorgen, Nöte und Zwänge, die man mit diesen Religionen hat, unausgesprochen bleiben, ist ein Fortschritt beim Ausbau der Beziehungen zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen, und natürlich auch jenen, die nicht glauben, nicht möglich. Den Redner der "gbs" wegen einer kritischen Rede auf der Gedenkfeier mit PEGIDA gleichzusetzen, oder ihn gar dort einzuordnen, ist unredlich, feige und wird dem Ansinnen der "gbs" und dem der ermordeten Karikaturisten nicht gerecht.
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So ist das nunmal in einer freiheitlichen Gesellschaft. Da muss man Kritik aushalten, weil es sonst vorbei ist mit der Freiheit. Das sollten gerade auch wir Bürger aus Neufünfland wissen. Unsere Zeit mit dem Verbot zur Kritik, ist doch noch gar nicht so lange her.