Seit zwei Monaten staunt das Land über die Hitlerglocke von Herxheim. Jetzt hat sich auch die Landeskonservatorin zu Wort gemeldet. Sie findet: Hängen lassen! Auch wenn es weh tut! Dabei schmerzt hier vor allem eines - die hanebüchene Schlichtheit ihrer Argumente.
In Herxheim am Berg hängen drei Glocken im Kirchturm, die schön aufeinander abgestimmt sind. Im trauten Einklang sorgen sie dafür, dass die Schäfchen zu ihrer Kirche finden, und verbreiten überhaupt Ruhm und Ehre des Herrn. Glockengebimmel und Gott, in ihrer Aufdringlichkeit und Wolkigkeit haben sie schon immer eine starke Gemeinschaft gebildet. Im Herxheimer Geläut findet sich sogar, Klarheit zu schaffen, ein Name: Adolf Hitler. Sowie ein Hakenkreuz. Beide prangen gusseisern auf einer der drei Glocken, seit über achtzig Jahren tut sie unbehelligt ihren Dienst. Lange Zeit wusste man nicht viel darüber, nun hat eine pensionierte Musiklehrerin das Thema an die große Medienglocke gehängt.
In Herxheim ist mancher eher traurig darüber. Die Automatismen der Kritikabweisung greifen auch hier. Die Berichterstattung sei "reißerisch" gewesen, dringt's aus dem Gemeinderat, der Zugang zur Glocke ist bis auf Weiteres gesperrt. Wegen brütender Vögel, die sich wohl an gelegentlichen Turmbesuchern mehr stören als am regelmäßigen Glockenlärm. Im Übrigen wartet man auf das Gutachten einer Sachverständigen, ehe man sich zu einer Meinung durchringt: Wie man es denn finde, dass über der Stadt eine Glocke bimmelt, von der mittlerweile ganz Deutschland weiß, dass sie Werbung für Hass und Massenmord macht.
Immerhin hat sich jetzt auch die Landeskonservatorin Roswitha Kaiser zu Wort gemeldet. Ihr Job ist, altes Gemäuer zu erhalten. Sie weiß vermutlich auch, was das wieder kosten würde: Ran an die Kirche mit dem Kran, Hitlerglocke bergen, die heiße Kartoffel. Hitler selbst hatte da ja weniger Bedenken: Für ihn wurden solche Glocken im Kriegsverlauf eingeschmolzen, um sich am Morden nicht nur als Werbemittel, sondern auch als aktive Waffe zu beteiligen. Diese hier ist aber übrig geblieben. Wohin mit dem Brummer? Und wer zahlt eine neue?
Die Landeskonservatorin hat nachgedacht und aus ihrem, der Konservierung geneigten Gehirn drang nach nur zwei Monaten Debatte: Man solle die Glocke hängen lassen und auch weiter benutzen – als mahnendes Andenken an etwas, "was man lieber vergessen möchte". Auch wenn es schmerzlich sei. Puh! Ähnlich wie bei der Debatte um Wehrmachtsdevotionalien in Kasernen wird also der Spieß umgedreht: Kritiker würden die Historie auslöschen wollen.
In dieser verzerrten Logik gilt: Wer die Verwendung der Glocke kritisiert, ist nicht gegen den Nationalsozialismus. Sondern gegen dessen Aufarbeitung. Allerdings findet genau die ja nicht statt. Die Glocke ist nie abgehängt, nie einsortiert, nie musealisiert worden, seit Führers Zeiten hängt sie halt da und dröhnt vor sich hin, und jetzt, da jeder Mensch um das Hakenkreuz weiß, muss die Frage erlaubt sein: Ob die Kirche sich nicht mit jedem Läuten strafbar macht? Immerhin gibt es ja noch einen § 86a StGB "Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen". Worunter auch akustische Verbreitung zu zählen ist.
Die Hitlerglocke von Herxheim ist jedenfalls gut hörbar. Sie hat keinerlei Historisierungsprozess durchlaufen. Wenn man sie einfach immer weiter scheppern lässt und das als "mahnendes Andenken" verkauft, dann könnte man mit demselben Recht in braunen Uniformen durch die Straßen laufen und das Horst-Wessel-Lied singen. Da hätte man nach dem Krieg alle Hakenkreuze und alle Hitlerporträts hängen lassen können. Da könnten die Protestanten in ihren Kirchen die geifernden Judenhasstexte Martin Luthers zum Vortrag bringen, und die Katholiken ihren Hexenhammer.
Mahnendes Andenken ist das genaue Gegenteil von angelegentlichem Achselzucken, es erfordert Klugheit, Wachheit, Bildung, Engagement - und vor allem zunächst einen Zugriff aufs zu Bedenkende. Man muss schon sehr lange in einer Behörde tätig sein, um hier das Nichtstun mit einem Tun zu verwechseln. Die Hitlerglocke von Herxheim, sie döngelt weiter, über die Felder und Flure, und wer weiß, was für Geschmeiß sie anziehen mag.
15 Kommentare
Kommentare
Frohmut Menze am Permanenter Link
Ich würde sie auch hängen lassen und zur Besichtigung freigeben und an geeigneter Stelle einen Hinweis aufhängen und dort erwähnen, was die Bürger von Herxheim zur Demokratieförderung beigetragen haben.
Haben wir nicht Wichtigeres zu tun?
Kay Krause am Permanenter Link
Wenn Adolfs alte Glocke klingt,
der Chor der Nazis dazu singt,
dann läßt Horst Wessel grüßen:
es tönen die Glocken, die süssen.
Kirchen und Nazis, das ist 'ne alte Verbindung,
nicht erst durch die Glocke 'ne neue Erfindung!
Ganz weit rechts zu stehen, ist modern,
ein neuer Staat ist nicht mehr fern!
Nichts habt ihr gelernt aus der Geschichte.
Umsonst sind meine Reime und Gedichte!
Frank Richter am Permanenter Link
Die Forderung nach einer Verfolgung §86a StGB ist doch hoffentlich als Satire gemeint. Das ist irrwitzig, zunächst müsste im Ton ja eine Propaganda erkennbar sein.
Manfred H. am Permanenter Link
Eine Glocke kann nicht Werbung "machen".
Sie kann bestenfalls Werbeträger sein. Jetzt ist eine Glocke innerhalb eines Turmes aber gut versteckt und keine Litfaßsäule.
Wie kann also eine Glocke durch einfaches Läuten Werbung für Hass und Massenmord machen? Vielleicht gehen ja esoterische Schwingungen von ihr aus, die Klaus Ungerer wahrzunehmen imstande ist. Daher schlage ich dem Autor einen Selbsttest vor: Man spiele ihm das Geläute von 20 verschiedenen Glocken vor. Anschließend benenne er diejenigen, bei denen er eindeutig Nazi-Werbung im Geläute erkennen konnte.
Wolfgang Graff am Permanenter Link
Wie hört man denn ein Hakenkreuz?
Meine Sorgen möchte ich haben!
Agnosius am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Ungerer, Sie meinen doch hoffentlich nicht im Ernst, dass Sie einer guten Sache mit der Einstreuung bemerkenswert flacher polemischer Formulierungen dienen können?
Nehmen wir aus Ihren Ausführungen also mit, dass man die Glocke weiter scheppern lässt und dass sie weiter döngelt und hoffen wir, dass sie weder Geschmeiß der einen Art anzieht noch Geschmeiß einer anderen Art abstößt.
pavlovic am Permanenter Link
Nun ja, wenn man darauf hinweist dass Glockenläuten eine Ruhestörung ist und ein vordemokratisches Privileg (das abgeschaft gehört) und eine Werbemaßnahme für die Kirchen darstellt die nicht mehr zeitgemäss sei, bekom
Achim Horn am Permanenter Link
Die Landeskonservatorin hat vollkommen Recht!
Diese in Bronze gegossene Manifestierung der Zusammenarbeit der Kirche mit Hitler ist erhaltenswert.
Frederic am Permanenter Link
Dies ist der konstruktivste Kommentar bisher.
Stier am Permanenter Link
"Zitat: Diese in Bronze gegossene Manifestierung der Zusammenarbeit der Kirche mit Hitler ist erhaltenswert"
und uns die willfährige Weiterführung des Konkordates zwischen Hitler und Kirche durch Adenauer und Globke noch heute wie ein Mühlstein am Hals hängt!
Andreas Lichte am Permanenter Link
Hey! Dass das noch mal passiert: ich gehöre zur "Mehrheitsmeinung"!
Natürlich darf die Glocke weiter läuten! Weil, Zitat "Wolfgang Graff":
"Wie hört man denn ein Hakenkreuz?"
Wolfgang am Permanenter Link
Übrigens, das Reichskonkordat von 1933 hat immer noch seine volle Gültigkeit, mir einer Ausnahme, das Sonntags nicht mehr zu Ehren des Führers läuten. Sie läuten trotzdem, aber zu wessen Ehre???
Eberhard am Permanenter Link
Lasst sie hängen, Jesus hängt ja auch schon 2000 Jahre am Kreuz. Allerdings bimmelt er nicht.
agender am Permanenter Link
Eignen sich Standort und Gebäude als Museum?
Thema: von Hexenverbrennung zum Nationalsozialismus.
Und der Paragraf 86a - können auch Institutionen damit belangt werden?
David Z am Permanenter Link
"...dass sie Werbung für Hass und Massenmord macht."
Wie können kirchenūbliche Glockenklänge Werbung fūr "Hass und Massenmord" machen?
"Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen". Worunter auch akustische Verbreitung zu zählen ist."
Wie können kirchenūbliche Glockenklänge "nationalsozialistisch" sein ?
Aber vielleicht ist der Artikel ja als Satire gemeint, grade in Hinblick auf die Vorfälle in Hamburg.