Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn geht in seinem Buch "Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten" der Entwicklung einschlägiger Intellektuellenströmungen nach. Der Autor erweist sich als guter und kritischer Kenner der Materie, stellt aber hier meist frühere Aufsätze zu einem Buch zusammen, wodurch es nicht immer als geschlossen und rund erscheint.
Mit einem politischen "Rechtsruck" in Deutschland, der an den Wahlerfolgen der AfD und den Mobilisierungserfolgen von Pegida ablesbar ist, ging auch die Renaissance der Neuen Rechten einher. Die damit gemeinte Intellektuellenströmung orientiert sich an den Ideen der Konservativen Revolution der Weimarer Republik und will über eine "Kulturrevolution von rechts" politische Veränderungen umsetzen. Wie es darum gegenwärtig steht, erörtert der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn in seinem Buch "Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten". Bereits in der Einleitung macht er auf deren Strategie aufmerksam: "Begriffe völkisch umzudeuten, antiaufklärerische Forderungen öffentlich zu verankern und so Affekte gegen den Verstand zu mobilisieren mit dem Ziel, die Demokratie von innen heraus zu zerstören" (S. 11). Es gehe in einem ersten Schritt darum, die öffentliche Sagbarkeitsgrenze zu verschieben. Man wolle die kulturelle Hegemonie darüber erlangen, was in einer Demokratie als diskutabel erscheine.
Salzborns Buch ist in zehn Kapitel gegliedert: Zunächst geht er auf die undemokratische und völkische Umdeutung des "Demokratie"-Verständnisses sowohl bei der Konservativen Revolution wie bei der Neuen Rechten ein. Dem folgt eine Betrachtung zur Entstehung und Entwicklung der Neuen Rechten, die in den 1980er und 1990er Jahren ihren bislang größten Aufschwung nehmen konnte und jetzt eine Renaissance unter anderen politischen Rahmenbedingungen erlebt. Dem folgt eine Abhandlung zu Carl Schmitt, der als der politische Klassiker der Neuen Rechten gelten kann. Seine Beschwörung der Homogenität und Negierung des Pluralismus findet man in der Tat immer wieder in deren Schriften. Und dann widmet sich der Autor einem eher randständigen Thema: der Auffassung der Neuen Rechten zu Religionen. Man habe eine Umdeutung in Richtung eines "völkischen Katholizismus" vorgenommen, der mit einer Fremderklärung an das Judentum einhergehe. Salzborn erkennt in dieser Deutung auch den Antisemitismus der Neuen Rechten.
Die Judenfeindschaft in der AfD und in der Neuen Rechten wird anschließend noch einmal gesondert aufgegriffen, wobei der Fall Gedeon nur die Spitze vieler Eisberge sei. Danach geht es um die Affektmobilisierung durch Verschwörungsvorstellungen und die dabei auszumachende Verstärkerfunktion sozialer Medien. Und dann fragt der Autor auch noch nach dem sozialen Bodensatz für die gemeinte politische Entwicklung, um dem folgend nach Russland zu springen. Dabei findet Aleksandr Dugin als einflussreicher rechtsextremistischer Intellektueller, der eben auch in den westeuropäischen Ländern stark rezipiert wird, kritische Aufmerksamkeit. Salzborn wendet sich danach wieder Deutschland zu, sieht er doch in der AfD den parteipolitischen Arm der völkischen Rebellion. Dabei präsentiert der Autor eine kurze, aber prägnante Analyse des Parteiprogramms, das von einem völkischen Autoritarismus durchzogen sei. Und abschließend werden Gegenstrategien thematisiert, wobei Salzborn einen Demokratieschutz durch Ausgrenzung rechter Parolen plädiert.
Auch in diesem Band erweist er sich als guter Kenner der Entwicklung in dem gemeinten politischen Bereich. Mitunter findet man daher auch detaillierte Analysen von Texten, sei es von der AfD, sei es aus der "Sezession". Der Autor neigt mitunter zu einer scharfen Wortwahl, die nicht immer angemessen sein muss. Aber das kann man sicherlich unter Stilfragen kontrovers diskutieren. In der Gesamtschau irritiert aber ein wenig die Themenauswahl. So wird dem Antisemitismus und dem Religionsverständnis gesonderte Aufmerksamkeit gewidmet, während die "Bürgerkrieg"- und "Widerstand"-Beschwörungen keine nähere Beachtung finden. Der Grund dafür ist wohl darin zu sehen, dass der Autor mehrere Aufsätze in überarbeiteter Form in das Buch integriert hat. Insofern wirkt es auch mehr wie ein eigener Sammelband und weniger wie ein geschlossenes Werk. Das mindert verständlicherweise nicht die Qualität der einzelnen Beiträge, welche die kritische Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten intellektuell befruchten.
Samuel Salzborn, Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten, Weinheim 2017 (Beltz Juventa), 223 S., ISBN 978-3-7799-3674-9, 14,95 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Ulf am Permanenter Link
Ich zitiere: Behauptung eins:
Angriff der Antidemokraten...
Satz zwo:
Aha, Ausgrenzung...Was "Rechts" ist oder zu den "Neuen Rechten" zählt, wer Antidemokrat ist, bestimmen natürlich die Ideologieträger des Gegenpols recht flexibel, wie in diesem Falle eben der Herr Salzborn.
Da kann es dann schon passieren, dass die Rechten leider bis weit in die Mitte der Gesellschaft verortet werden müssen, um letztlich das betreute Denken bei der eigenen Gefolgsschar in enge Bahnen zu betonieren und die mediale Deutungs-und Meinungshoheit mit Klauen und Zähnen zu verteidigen...
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-11/politische-einstellung-rechtsruck-deutschland-friedrich-ebert-stiftung
Sehr geehrte hier lesende Humanisten, die sich kritisch-rationalem Denken und einer offenen Gesellschaft im Sinne grundlegender Gedanken dazu von Karl Popper verbunden fühlen, dass was in dieser Lektüre offensichtlich propagiert wird, ist in Konsequenz eine Sackgasse, die jede demokratische, aufgeklärte Gesellschaft ad absurdum führt!
Rechtsradikale im Sinne faschistoider Denkweisen spielen gesamtgesellschaftlich doch überhaupt keine Rolle und liegt im niedrigen zehntausender Personenbereich, die natürlich bei Straftaten juristisch, aber auch als Zivilgesellschaft argumentiert und bekämpft werden müssen! Das Aufblasen aber eines völkischen (um das neue Modewort zuerst zu nennen) nazistischen, rassistischen, rechtpopulistischen und was weiß ich noch, Popanzes zu größter Gefahr, die Schaffung einer völlig überzogenen und damit lächerlichen Chimäre diesbezüglich, dient doch zu nichts weiter, als der Verschleierung eines eigenen recht radikalen Standpunktes und das Abwürgen jedweden gesellschaftlichen Diskurses über die möglichen Auswirkungen dazu.
Dieser, wirklich autoritäre Ansatz funktioniert nicht, sein Motiv ist letztlich Klassenkampf von oben. In unvergleichlicher Hybris meinen eben wieder einmal einige wenige zu wissen, was gut für alle ist.
Mich wundert jedenfalls nicht mehr, dass ein nicht unerheblicher Prozentsatz an Wählern der AfD aus dem arbeitenden Bereich oder dem der Selbstständigen kommt (Arbeiter stellen den höchsten Anteil der AfD Wähler im Vergleich auch zu anderen Parteien wie der SPD und erst recht den Linken) Und wer diese Wähler, diese vielfältigen Menschen und ihre Lebenserfahrungen als dumm bezeichnet, als faschistoid oder sogar als rassistisch-antisemitisch lebt offensichtlich in einer finanziell gut gesicherten Filterblase samt eigener Agenda. Ob aber, wie bereits gesagt, letztere notwendigerweise richtig und positiv für die überwiegende Anzahl der Gesellschaftszugehörigen ist wird nicht ansatzweise ehrlich und offen evaluiert, denn der Austausch der Argumente, der Abgleich an Realitäten, der offene Diskurs, wird auf vielfältige Art unterbunden. Und das Schlimmste daran, viele dieser Arten erinnern wirklich und real an dunkelste Zeiten: Denunziationen bei Behörden oder Lehreinrichtungen, mediale Hexenjagden, Bedrohungen von Raumvermietern, Sachbeschädigungen, gewalttätige Störungen oder Verhinderungen von Podiumsdiskussionen, Ausladungen, nein, man muss leider nicht mal mehr suchen, um solcherlei zu finden.
Kehrt um, reflektiert den Weg, den diese Gesellschaft in den letzten rund zwanzig Jahren nimmt. Schaut man klaren Auges, sind doch die Verwerfungen unübersehbar. Religionen gefeiert auf dem Vormarsch, zunehmende Unsicherheit, dramatischer Verlust an Aufklärung, Einschränkung an Meinungsfreiheit, Beschneidungsgesetz, Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Sterbehilfeverbot, Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam in Kunst und Medien, stark gestiegene Terrorgefahren. ( In der Schule meiner Tochter wurden die Sprachreisen nach Frankreich und England deshalb eingestellt) Renteneintrittsalter nach oben, Industriearbeitsplätze nach unten, Privatisierung der Daseinsfürsorge/Infrastruktur, Bestreben der Bargeldabschaffung usw, usf.
Dieses Buch und da reicht mir der Titel und die interessante Rezension, ist nicht Teil der Lösung, es ist Teil des Problems.
malte am Permanenter Link
"Dieses Buch und da reicht mir der Titel und die interessante Rezension, ist nicht Teil der Lösung, es ist Teil des Problems."
Mit Verlaub - das ist auch nicht gerade Ausdruck "kritisch-rationalen" Denkens. Ich möchte nun nicht den selben Fehler machen und das Buch ungelesen verteidigen. Aber der Begriff "Neue Rechte" ist ziemlich klar definiert und keinesfalls beliebig, wie sie behaupten. Und ihre Behauptung, die rechtspopulistische und völkische Gefahr sei ein "Popanz", widerlegen sie selbst durch ihren Hinweis auf die Erfolge der AfD.
Wie gesagt: Ich habe Salzborns Buch nicht gelesen, daher kann ich zu dessen Qualität nichts sagen. Aber es gibt ein anderes Buch, das praktisch das selbe Thema behandelt, und das ich sehr wohl gelesen habe: "Die autoritäre Revolte" von Volker Weiß. Und ich möchte ihnen empfehlen, von diesem Buch mehr als nur den Titel zu lesen - dann werden sie verstehen, was es mit der Neuen Rechten auf sich hat, und dass sie alles andere als ein "Popanz" ist.
Ulf am Permanenter Link
Sehr geehrte/r Malte,
wir haben zu wahrer liberaler Demokratie, den benötigten Voraussetzungen und auch zu ihren bereits realen Bedrohungen eine offensichtlich stark unterschiedliche Auffassung. Dennoch danke ich ihnen für ihren Buchtip, ich revanchiere mich ebenfalls mit einem:
"Die Niederlage der politischen Vernunft: Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen"
Der Autor ist Egon Flaig
Mit freundlichen Grüßen
Kay Krause am Permanenter Link
Ob und wie und was in einer Demokratie diskussionswürdig ist, haben nicht Einzelpersonen oder Meinungsgruppen zu entscheiden. In der Demokratie sowie in der Philosophie ist ALLES diskutabel!
Um diesen Konsens zu umgehen, arbeiten die Konservativen sowie deren Rechts-Außen Brüder und Schwestern mal wieder -wie gewohnt - engstens mit den Vertretern Gottes auf Erden zusammen. Das hatten wir doch alles schon mal, oder?