Umfrage zu "Frau S. will sterben", 2.10., 21.45 Uhr im Ersten

Mehrheit würde leidendem Angehörigen beim Suizid helfen

Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap antworteten 53 Prozent, dass sie persönlich einem schwerstkranken Angehörigen zu einem freiverantwortlichen Suizid helfen würden – die Frage ist nur: wie soll das ohne die verbotene ärztliche Hilfe gehen? Anlass für die vom SWR in Auftrag gegebene Umfrage ist der Themenabend "Selbstbestimmtes Sterben" im Ersten am Montag, 2. Oktober 2017.

Zunächst wird um 20.15 Uhr der Spielfilm gezeigt "Die letzte Reise" – eine Familie in der Zerreißprobe, als die (von Christiane Hörbiger gespielte) lebensmüde Protagonistin zur Suizidhife in die Schweiz fährt.

Im Anschluss geht SWR-Dokumentation "Frau S. will sterben" der Frage nach, wer Hilfe leisten darf, wenn Schwerstkranke mit einem Suizid ihr Leiden verkürzen möchten. Dabei werden die Auswirkungen des Strafgesetzes zur "organisierten Förderung" der Suizidhilfe (§ 217 StGB) aufgezeigt, das Ende 2015 im Bundestag beschlossen wurde. Dieses Gesetz bedroht jeden mit Strafe bis zu drei Jahren, der "geschäftsmäßig", d.h. allein nur mit Wiederholungsabsicht, Hilfe zu einem Suizid oder Suizidversuch leistet. Betroffen sind davon v.a. Ärzte, die entsprechende Medikamente verschreiben. Die ARD-Dokumentation thematisiert Folgen des Gesetzes und zeigt am Beispiel der schwerstkranken Ingrid S., welche Folgen es hat. Frau S. ist 78 Jahre alt und multimorbid, wie Ärzte sie mit dem jahrzehntelang "tapfer" ertragenen Leiden nennen. Zeit ihres Lebens litt sie unter den Folgen einer früher noch nicht behandelbaren Kinderlähmung.

Furchtlos, vergnüglich und kämpferisch im Rollstuhl

Sie war acht oder neun, ein neugieriges, furchtloses Mädchen, trotz der schlimmen Krankheit, trotz des Virus, das ihre Arme und Beine lähmte. Und die Erfurterin - der Autorin bekannt als eine hellwache, kämpferische und auch vergnügliche Frau im Rollstuhl – hatte später schon lange Vorkehrungen für ein selbstbestimmtes Ende getroffen. Jetzt im Alter, auf die 80 zugehend, wird ihr das Leben mehr und mehr zur Qual – die sie nicht mehr jeden Tag bis zum "natürlichen" Tod auf sich nehmen will.

Der Arzt ihres Vertrauens, mit dem sie jahrelangen Kontakt pflegte, darf im Dezember 2016 sein Versprechen, ihr einmal bei einem Sterbewunsch zu helfen, wenn es noch immer schlimmer wird, nicht mehr einlösen. Denn er macht sich dann der organisierten Suizidförderung strafbar, sowohl aufgrund der fachkundigen Beratung als auch einer Verschreibung von Suizidmedikamenten (die allenfalls heimlich erfolgen könnte). Da er als Professioneller - seit dem Gesetz - nicht mehr anwesend sein darf, übernimmt der Sohn von Frau S. stattdessen die Suizid- bzw. Sterbebegleitung seiner Mutter (was in einer eindrucksvollen Szene detailliert gezeigt wird). Diese seine Beihilfe zu einer - kompromisslos harten - Strafbarkeit ärztlicher Suizidförderung ist im 2. Absatz von § 217 StGB für Angehörige und Nahestehende (wie Ehegatten) von Strafbarkeit verschont geblieben. Dies gilt auch, wenn sie zur Suizidbegleitung mit in die Schweiz fahren.

Palliativmedizin will zum Leben helfen

Wie die Autorin aus gut informierten Kreisen erfuhr, wurde bei einer Vorab-Vorführung der Dokumentation über Frau Sander durch einen Vertreter der Palliativmedizin Anstoß daran genommen, dass die Patientin einen Suizid vorgezogen und dafür Palliativmedizin nicht in Anspruch genommen habe. Wer ihr Schicksal jedoch kennt, hat sie als jahrelange Kämpferin für ihr Recht auf lindernde und schmerzreduzierende Medikamente erlebt. So heißt es in einer Todesmitteilung des Selbsthilfenetzwerks Cannabis in der Medizin:

"Unser langjähriges Mitglied INGRID SANDER ist im Dezember 2016 verstorben. Sie hat sich seit vielen Jahren für die Verwendung von Cannabis als Medizin und für das Recht auf Sterbehilfe eingesetzt."

Ingrid Sander hat es sich bestimmt nicht leicht gemacht oder "vorschnell" aufgegeben. Allerdings war sie keine Sterbende oder Todkranke, für die sich ja die Palliativ- und Hospizversorgung allein zuständig erklärt. Wie also hätte sie ein Palliativmediziner vor den durch Kinderlähmung hervorgerufen chronischen Spätfolgen bewahren können? Wer hätte ihr zumuten wollen, mit ihren unerträglichen Leiden noch jahrelang weiterleben zu müssen?

Politik hat noch nicht verstanden

Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) hatte gemeinsam mit seiner Bundestagskollegin Kerstin Griese (SPD) den fraktionsübergreifenden Antrag für den § 217 StGB in den Bundestag eingebracht. Michael Brand im Film: "Das Gesetz wirkt sehr zielgenau und präventiv. ...Wir haben die klare Grenze gezogen mit Absicht gegen den ärztlich assistierten Suizid."

Der Film von Ulrich Neumann und Sebastian Bösel "Frau S. will sterben" zeigt, dass damit viele Fragen nicht geregelt, Patienten mit ihren Angehörigen entwürdigend allein gelassen sind und Rechtsunklarheit geschaffen wurde. Die Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB wird derzeit noch vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Unabhängig davon bewertet die Mehrheit der Bundesbürger den nunmehr fast zwei Jahre alten Strafrechtsparagraphen als negativ. Die Umfrage von Infratest dimap ergab auch: Auf die Frage "Wie finden Sie das Gesetz, das auch Ärzten enge Grenzen setzt, die wiederholt Schwerstkranken beim Suizid helfen wollen?" antworten 57 Prozent, dass sie das schlecht (34 Prozent) bzw. sehr schlecht (23 Prozent) fänden.