Ausweichmanöver statt Antworten

Margot Käßmann hat vor geraumer Zeit ein Buch geschrieben: "Im Zweifel glauben: Worauf wir uns verlassen können". Wer die ehemalige evangelische Bischöfin kennt, weiß, dass er sich auf viele schöne Worte und wenig Inhalt gefasst machen muss. Matthias Krause hat das Buch jetzt gelesen.

Margot Käßmann macht in ihrem Buch zwar viel Aufhebens davon, Zweifeln und Fragen nicht auszuweichen, und sie beschreibt die Zweifel und Widersprüche auch schonungslos. Umso enttäuschender ist, dass sie anschließend den Antworten ausweicht. Hierfür bedient sie sich der kompletten apologetischen Trickkiste: "Das ist ein Geheimnis", "Das ist nicht so wichtig", "Gott kennt die Antwort", "Darüber will ich nicht spekulieren", "Eigentlich kommt es doch auf etwas ganz Anderes an" oder auch "Manches muss man einfach stehen lassen" sind nur einige Beispiele für ihre Ausweichmanöver. ("Zitate" in Anführungszeichen sind hier sinngemäß gemeint. Ich habe den exakten Wortlaut nicht extra nachgeschaut.)

Darüber hinaus führen Käßmanns Antworten zu weiteren Widersprüchen: So schreibt sie z.B., ohne Leid gäbe es kein richtiges Menschsein, und das Leben wäre bloß ein Barbie-Puppenhaus. Aber wie hat man sich dann das Gottesreich vorzustellen, indem Gott Käßmann zufolge "alle Tränen abwischen wird"? Handelt es sich dabei dann auch um ein Puppenhaus ohne Menschsein? (Abgesehen davon bezweifele ich, dass solche Aussagen tröstlich für jemanden sind, der z.B. den Verlust eines Kindes zu beklagen hat.)

Potenzielle LeserInnen dieses Buches sollten sich auch darüber im Klaren sein, dass Käßmann hier nicht mehr das klassische Christentum verteidigt, sondern eine Art Light-Version, für die Gott überhaupt nicht mehr benötigt wird: Käßmanns Gott ist ein Gott, der von einem nicht-existenten Gott nicht mehr zu unterscheiden ist. Gott quasi als Vater – allerdings als ein Vater, der sich nie blicken lässt. Die Gottessohnschaft Jesu bedeutet für Käßmann nur noch, dass Jesus den Weg zur Wahrheit und zum Leben GEZEIGT hat. Das Wirken des Heiligen Geistes zeigt sich bei Käßmann nur noch in banalen Dingen, wie z.B. wenn jemand in einer wichtigen Situation die richtigen Worte findet.

Frau Käßmann glaubt offenbar auch nicht an die leibhaftige Auferstehung Jesu. Auferstehung ist für sie "ein Prozess, der etwas mit Menschen macht". Ausschlaggebend für den Beginn des Christentums war dem Buch zufolge nicht der auferstandene Jesus, sondern Pfingsten, wo die Jünger eine Erfahrung gemacht haben sollen.

Käßmanns Glaube lässt sich wie folgt zusammenfassen: Dinge, die Käßmann gut findet, werden als Wirken des Heiligen Geistes interpretiert. Bei Dingen, die Käßmann nicht gut findet, freut sich Käßmann darüber, dass Gott mit leidet. Kopf: Ich gewinne, Zahl: Du verlierst. Diese Interpretation funktioniert immer, und mit dieser Einstellung dürfte Frau Käßmann in der Tat kaum von Glaubenszweifeln geplagt werden. Wer intellektuell etwas höhere Ansprüchen an seinen Glauben hat als Käßmann, dem wird dieses Buch allerdings wenig helfen.

Ein wichtiger Aspekt des Christentums sind für Käßmann die biblischen Texte – "tiefe Texte, die zu uns sprechen". Solche Texte machen ja das "Handgepäck des Glaubens" aus, das Käßmann hier packt. Bei näherer Betrachtung stellt sich auch hier heraus, dass es nicht die Texte sind, die zu uns sprechen, sondern Frau Käßmann, die immer wieder auf geradezu bizarre Weise und Teufel komm’ raus versucht, den alten Texten eine akzeptable Bedeutung zu verpassen. Dass Lots Frau zur Salzsäule erstarrt, deutet Frau Käßmann z.B. nicht etwa als Strafe dafür, dass sie Gottes kleinliches und willkürliches Verbot nicht beachtet hat, sondern (wörtliches Zitat) als "Sinnbild dafür, dass wir manchmal Mühe haben, Vergangenes loszulassen und neue Aufbrüche zu wagen". Wenn man so vorgeht, lässt sich freilich in jedem beliebigen Text etwas "Erbauliches" finden – warum sollte man dann gerade in der Bibel danach suchen?

Wer die Dinge so wenig durchdenkt wie Frau Käßmann, für den ist natürlich auch die historisch-kritische Methode zur Bibelinterpretation unproblematisch. Im Buch wird deutlich, dass Frau Käßmann weiß, dass die Evangelisten Jesus Jahrzehnte später Worte in den Mund gelegt haben, um aktuelle Probleme der Christen wie das Ausbleiben des Gottesreiches anzusprechen. Das geht soweit, dass Käßmann bei einem Gleichnis mehrfach davon spricht, dass der EVANGELIST LUKAS damit etwas sagen wollte – nicht, dass JESUS damit etwas sagen wollte. Das Problem dabei: Für fast alles, was Jesus gesagt und getan haben soll, lässt sich nachweisen oder zumindest vermuten, dass es sich um spätere Zuschreibungen handelt. Aber was bleibt von Jesus übrig, wenn die Geschichten über ihn als Erfindungen betrachtet werden müssen? Und warum wurde nicht mehr davon überliefert, was Jesus tatsächlich gesagt und getan hat? War es nicht so erbaulich?

Mehrfach habe ich mich auch über theologische Fehler gewundert, die in so einem Buch einfach nicht vorkommen dürfen. Als promovierte Theologin und Professorin sollte Frau Käßmann z.B. wissen, dass mit der "unbefleckten Empfängnis" nicht die Jungfrauengeburt gemeint ist, und dass die Seligpreisungen nicht dasselbe sind wie die Bergpredigt.

Auf die Probleme, die sich aus dem von Käßmann propagierten Weltbild ergeben, kann ich hier nicht groß weiter eingehen. Nur zwei Punkte: Da Käßmann sich nicht für logische Stimmigkeit interessiert, ist sie auch außerstande, andere Positionen (speziell die von bibeltreuen Christen) nachzuvollziehen. Sie sagt selbst, dass sie solche Positionen nicht versteht. Das mag Frau Käßmann zwar einige Zweifel vom Leib halten, trägt aber nichts zu einer sachlichen Diskussion bei. (Ich will damit nicht sagen, dass bibeltreue Positionen stimmig sind. Sie sind aber auf jeden Fall stimmiger als Käßmanns Position und nehmen die Bibel ernster.)

An einer Stelle bezieht Käßmann sich auf das Gleichnis vom ungerechten Richter und schreibt (wörtliches Zitat): "Jener Richter ist ja ungerecht und willkürlich, eben weil er Gott nicht fürchtet. Hier besteht ganz offensichtlich ein kausaler Zusammenhang." Kausale Zusammenhänge lassen sich nicht aus erfundenen Geschichten ableiten! Käßmann benutzt hier einen Text, von dem sie selbst weiß, dass er erfunden ist, um sich und ihre LeserInnen in ihren eigenen Vorbehalten zu bestärken.

Es mag ja sein, dass manche Menschen dieses Buch für erbaulich halten. Es ist aber intellektuell dermaßen unredlich und nimmt auch den Glauben, den es zu verteidigen vorgibt, so wenig ernst, dass ich nicht mehr als einen Stern dafür vergeben kann.

PS: Die Hörbuch-Version ist erstklassig produziert und Frau Käßmann trägt hervorragend vor. Allerdings handelt es sich nicht, wie angegeben, um eine ungekürzte Version des Buches. Bei der Kindle-Version fehlt mindestens an einer Stelle eine Textpassage.

Margot Käßmann, Im Zweifel glauben: Worauf wir uns verlassen können, Herder 2015, ISBN 978-3-451-32832-9, 208 Seiten, 19,99 Euro (eBook 14,99 Euro)