"Das Bundesverfassungsgericht hat sich vor einer Entscheidung gedrückt"

Mit der Vorführung des Films "Das Leben des Brian" am Karfreitag protestiert die Bochumer Initiative "Religionsfrei im Revier" seit Jahren gegen das Feiertagsgesetz in NRW, das öffentliche Vergnügungsveranstaltungen an hohen christlichen Feiertagen verbietet. Nachdem die Initiative gegen ein Bußgeldverfahren geklagt hatte, lag der Fall seit dem vergangen Jahr beim Bundesverfassungsgericht. Dieses hat es nun abgelehnt, in der Sache zu entscheiden. Martin Budich von der Initiative "Religionsfrei im Revier" und Beschwerdeführer der Verfassungsklage findet hierzu im hpd-Interview klare Worte.

hpd: Was genau hat denn das Bundesverfassungsgericht da eigentlich entschieden? Es hat ja kein Urteil zum Feiertagsgesetz in NRW gefällt …

Martin Budich: Das Bundesverfassungsgericht hat sich vor einer Entscheidung gedrückt. Es hat eine abenteuerliche Konstruktion dafür entwickelt, wie es einer Entscheidung ausweichen kann. Es hat die Auseinandersetzung zu einem Ordnungswidrigkeits-, bzw einem Bußgeldverfahren degradiert, wo der Bestrafte es versäumt hat, eine Ausnahmeregelung für sein Handeln zu beantragen.

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich aber dagegen, dass das Feiertagsgesetz Menschen massiv in ihren Grundrechten einschränkt. Wir akzeptieren diese Grundrechtseinschränkung nicht. Das Verfassungsgericht argumentiert: Ihr könnt ja eine Ausnahmegenehmigung beantragen, nicht mehr durch klerikale Normen in Euren Grundrechten eingeschränkt zu werden. Ihr habt gute Chancen, diese Genehmigung zu bekommen.

Wir sagen: Es ist diskriminierend, wenn wir eine Ausnahmegenehmigung benötigen, um uns nicht durch klerikale Normen gängeln zu lassen. Nur religiös-fundamentalistische Staaten erklären klerikale Normen als allgemein verbindlich. Nur in solchen klerikal-totalitären Staaten wäre es begründbar, warum Ungläubige eine Ausnahmegenehmigung brauchen, um auf die Wahrnehmung von allgemein gültigen Menschenrechten zu bestehen.

Wie kommt es Deiner/Eurer Ansicht nach zu dieser erstaunlich schnellen und - sagen wir mal - juristisch kreativen Verweigerung einer Entscheidung in der Sache durch das Bundesverfassungsgericht?

Berichterstatter (also federführend verantwortlich) für die Verfassungsbeschwerde war der Bundesverfassungsrichter Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier – ein äußerst konservatives CDU-Mitglied, das u. a. unter Helmut Kohl im Bundeskanzleramt gearbeitet hat. Am 30.11. ging er in Ruhestand. Es war klar, dass er auf keinem Fall der Verfassungsbeschwerde statt geben würde. Er hat tatsächlich eine ganze Reihe von unbearbeiteten Fällen zurückgelassen und unsere Entscheidung vorgezogen. Er schaffte es als Abschluss seiner Tätigkeit beim obersten deutschen Gericht, die Verfassungsbeschwerde verfahrenstechnisch auszuhebeln. Der Kompromiss mit seinen KollegInnen: Grundsätzlich darf auch am Karfreitag etwas Unterhaltsames stattfinden – dies aber nur als beantragungspflichtige Ausnahme.

"Karfreitag wird in Bochum kein stiller Feiertag sein."

Selbst bei dieser rechtlichen Einschätzung wäre in einem normalen Verfahren juristisch abzuwägen, ob ein Bußgeld angemessen ist, wenn keine Ausnahmegenehmigung beantragt wird. Im Eifer der Abwicklung des Verfahrens wurde das vernachlässigt.

Gab es einen Grund, warum Ihr das mit der Ausnahmegenehmigung nicht weiter verfolgt hattet?

Wir sind damals gar nicht auf die Idee gekommen. Diese Ausnahmeregelungslösung hat das Bundesverfassungsgericht erst im letzten Jahr mit der Entscheidung zum bayrischen Feiertagsgesetz entwickelt. Es geht uns überhaupt nicht um kleine Freiräume im klerikal normierten Staat. Wir wollen kurzfristig die klerikale Zensur skandalisieren und langfristig eine Gesellschaft anstreben, in der niemand in seinen Menschenrechten durch klerikale Vorschriften diskriminiert wird

Wie geht es jetzt weiter bei Euch?

Wir werden alle Möglichkeiten prüfen, wie wir den europäischen Gerichtshof dazu bringen können, sich damit zu beschäftigen, wie im 21. Jahrhundert Menschen in Europa durch klerikale Normen eines Gesetzes in der Wahrnehmung elementarer Menschenrechte behindert werden.

Vor allem werden wir am nächsten Karfreitag nicht nur den Film "Das Leben des Brian" zeigen. Der großartige österreichische Kabarettist Günther Paal alias Gunkl wird in Bochum auftreten. Karfreitag wird in Bochum kein stiller Feiertag sein. Das ist das wichtigste Signal: Auch 2018 werden mehrere Hundert Menschen in Bochum und hoffentlich ganz viele Menschen an anderen Orten gemeinsam gegen klerikale Bevormundung protestieren und gemeinsam fröhlich sein. Wir werden dabei wie in den vergangenen Jahren darauf aufmerksam machen, dass das Feiertagsgesetz nur die winzige Spitze eines Eisberges ist. Dieser Eisberg mit seinen eingefrorenen Kirchenprivilegien und Diskriminierungen von Menschen, die denken und nicht glauben wollen, ist durch das Zugeständnis des Bundesverfassungsgerichtes, dass es relevante Ausnahmegenehmigungen im Feiertagsgesetz geben soll, ein winziges Stückchen abgeschmolzen. Mit Höllenspaß wollen wir diesen Prozess weiter anheizen.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns ja quasi aufgefordert, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen, die uns von den Beschränkungen des Feiertagsgesetzes befreit. Politisch kann dies als Akzeptieren der klerikalen Verfasstheit unserer Gesellschaft verstanden werden. Das wollen wir natürlich nicht. Anderseits: Wenn die Veranstaltung provokant genug ist, kann es juristisch auch ein erfolgreicher Anlauf sein, das Bundesverfassungsgericht zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Grundrechtsverletzungen des Feiertagsgesetzes zu zwingen. Bei der normalen Dauer von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes könnte das dann in etwa zu dem Zeitpunkt sein, an dem die beiden großen christlichen Organisationen in unserer Gesellschaft nur noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung in unserem Land zu ihren Mitgliedern zählen können.