In einem Gutachten stellt der ehemalige Bundesrichter Udo di Fabio fest, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts in Leipzig vom März vorigen Jahres verfassungsgemäß nicht haltbar sei. Es gäbe auch keine Schutzpflicht gegenüber Sterbenden. Das dürfte ein schwerer Schlag für die verzweifelten Menschen sein, die sich Hoffnungen auf eine Umsetzung des Leipziger Richterspruchs gewünscht hatten.
Kurze Erinnerung: Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig (BVG) hatte in einem Urteil vom März letzten Jahres das BfArM (Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte) verurteilt, in besonders schweren Fällen Medikamente aus dem Betäubungsmittelbereich zur Selbsttötung abzugeben.
Wer ist nun dieser Scharfrichter, der sich anmaßt, einen höchtsrichterlichen Spruch beiseite zu fegen und seine Kollegen zu kritisieren: "Das BVG schaffe sich seinen eigenen rechtpolitischen Willen."
Herr di Fabio hat zeitlebens sehr konservative und kirchennahe Positionen eingenommen. Er ist bekennender Euro-Gegner und steht der Einwanderungspolitik der Regierung feindlich gegenüber. In Letzterer hat er dem Freistaat Bayern empfohlen, die Bundesregierung zu verklagen. Auch diesmal empfiehlt er dem Gesundheitsminister, wie der Richterspruch zu unterlaufen sei. Mit einem "Nichtanwendungserlass" und einem Normenkontrollverfahren könne man etwaige Gesetzesänderung unterlaufen.
Gebetsmühlenartig werden von den bekannten "Experten" Gröhe, Montgomery, Broich (Präsident des BfArM), sogenannten "Lebensschützern" sowie Kirchenvertretern die allbekannten Horrorvisionen in die Diskussion eingebracht: "Schwellenüberschreitung", "Ärzte könnten in staatlichen und kirchlichen Krankenhäusern verpflichtet werden, die Hand zur Selbsttötung zu reichen", "Das Tor zum Suizid der Leidenden könne geöffnet werden, weil ein soziales Umfeld das so erwartet."
Alle diese feinen Herren kennen die Sorgen und Nöte schwerkranker Patienten nicht. Hilfswillige Ärzte werden kriminalisiert, Patienten landen in der Psychiatrie. Ein ganz anderes Tor wird hier offengehalten: Leiden bis zum Schluss, Opfer der Medizin und der Pharmaindustrie so lange wie möglich zu bleiben. Als Ausweg bleibt nur Erhängen, der Sprung vom Hochhaus, sich von einem Zug überrollen zu lassen u. a., alles dann zwar erlaubt, aber schwer praktizierbar und vor allem in höchstem Maße unwürdig.
Das Gutachten ist auch deshalb zynisch, weil der Autor und die anderen genannten Herren sicherlich längst einen Arzt an ihrer Seite haben, der ihnen im Ernstfall, den man ihnen nicht wünschen mag, hilft.
Interessanterweise beschreibt di Fabio einen Weg, wie man aus der zweifelsohne schwierigen Situation herauskommen könnte. Gutachterstellen sollten eingerichtet werden, die nicht bei der Behörde angesiedelt sein bräuchten; also Gesetze und Kommissionen wie in der Schweiz und den Beneluxländern, und die mit Ethikern besetzt sein müssten. Selbstverständlich müssten in solchen Einrichtung auch mindestens 2 Ärzte und der Patient angehört werden.
Noch ist das Selbstbestimmungsrecht ein hohes Gut in unserem Land. Es wird spannend werden, wie die hohen Richter in Karlsruhe auf die Verfassungsbeschwerden gegen den § 217, die Rechtsprechung von Leipzig einerseits, und andererseits auf die – in meinen Augen – unverschämte Einmischung des Herrn di Fabio reagieren.
16 Kommentare
Kommentare
Helmut Lambert am Permanenter Link
Bei einem gewissen Verständnis für die Empörung erscheint mir der Ton der Kommentierung überzogen.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Wollen Sie damit sagen, dass man nicht der Meinung sein darf, die Position der (so)genannten "Lebensschützer" sei eine unverschämte Einmischung ?
Helmut Lambert am Permanenter Link
Meinung ist immer Einmischung. Unverschämt ist sie selten, eher unqualifiziert. Dagegen kann man argumentieren. Aber nicht indem man sie als unverschämt bezeichnet.
U.-C. Arnold am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Lambert!
Gabriele Röwer am Permanenter Link
„Heuchelei im Heiligenschein“
In Ländern, welche den – sanften – assistierten Suizid legalisierten (6 US-Bundesstaaten, BeNeLuxäLänder, Schweiz, wenn „nonprofit“), gelten die Menschenrechte wohl kaum weniger als in Deutschland, wo auch sie, klerikal flankiert, als Bastion gegen den assistierten Suizid herhalten müssen. Eine unerträgliche Heuchelei angesichts der Fakten:
Laut Statistik-Portal liegen die aktuellen Fallzahlen zur Selbsttötung in Deutschland bei rund 10.000 Todesfällen im Jahr (2015). Damit sterben bei uns deutlich mehr Menschen durch Suizid als zum Beispiel aufgrund von Verkehrsunfällen, Drogen und HIV zusammen (nicht einbezogen die ca. 100.000 misslungenen „harten“ Suizidversuche jährlich) . Auch daraus erhellt die Heuchelei von Kritikern wie di Fabio am Urteil des BVG Leipzig vom März 2017: Wer autark für sich entscheidet, sein Leben sei nicht mehr lebenswert, findet, ob verboten oder nicht, immer einen Weg zur Selbsttötung, bis jetzt freilich mangels schmerzfreier legalisierter Alternativen nur auf brutalste, auch für die Umwelt entsetzlichste Weise, voran durch Sturz und Strang, Schiene und Schuss. Di Fabio & Co – Menschenfreunde? Wohl kaum! Heuchler? In der Tat!
Roland Weber am Permanenter Link
Es ist schlichtweg unerträglich, wenn ein selbsternannter Weisheitslehrer anderen Menschen vorschreiben will, was diese unter ihrer (!) Menschenwürde zu verstehen hätten!
Agnosius am Permanenter Link
Bitte teilen Sie mit, wo das Gutachten zu finden ist, das Sie als zynisch und dessen Verfasser Sie als unverschämt bezeichnen.
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Zur kritischen Urteilsbildung über das Gutachten von di Fabio finden Sie eine Zusammenfassung mit Auszügen u.a. in der "Ärztezeitung online" vom 15. Januar 2018.
Olaf Sander am Permanenter Link
Das ist eines der großen Probleme bei der Sterbehilfe. Dass sich relativ viele Leute anmaßen, über das Leben und Sterben von relativ wenigen Leuten entscheiden zu wollen.
Das sinngemäße Argument di Fabios, die Genehmigung für die Herausgabe eines tödlich wirkenden Medikamentes machte den Staat zum Sterbehelfer, ist für mich nicht nachvollziehbar. Es ist technisch nicht nachvollziehbar, weil der Staat das Medikament weder selbst verabreicht (das muss der Sterbewillige selbst einnehmen (können)), noch weil er jemanden dazu zwingt es einzunehmen. Es ist nicht nachvollziehbar, weil der Staat beim Suizid nicht dabei ist. Es ist nicht nachvollziehbar, weil der Staat die Kontrolle über die Herausgabe des Medikamentes behält und nur nach ausführlicher Prüfung frei gibt. Vor allem aber ist es nicht nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass der Staat für alle im Staat da zu sein hat. Und das schließt die Interessen und Umstände der Sterbewilligen und ihrer Angehörigen nun mal mit ein.
Was es stattdessen gibt ist ein Gesetz (§ 217 StGB), was die Sterbehilfe zwar juristisch in engsten Grenzen erlaubt, in der Realität aber in den allermeisten Fällen für beide, den Sterbewilligen und seinen Sterbehelfer, unmöglich auszuführen ist. Faktisch bleiben den meisten Sterbwilligen nur einsame und brutalen Suizide als Option.
Was di Fabio, die politischen und institutionellen Entscheider nicht sehen können, oder nicht sehen wollen, oder es gar ganz bewusst als Hindernis vor der legalen Sterbehilfe betrachten, ist die Tatsache, dass der Ottonormalsterbewillige und sein Ottonormalangehöriger keinen Zugang zu einem solchermaßen wirksamen Medikament haben. Und da stellt sich mir die Frage, wie viele Kilogramm Aspirin ein Mensch schlucken muss, damit das tödlich wirkt?
Aber nicht nur der fehlende Zugang zu den richtigen pharmazeutischen Mitteln ist eines der großen Probleme, vor denen Menschen in einer solchen Situation stehen. Den allermeisten dürfte es schlicht an medizinischer und pharmazeutischer Kompetenz fehlen, um sich selbst human das Leben zu nehmen oder jemanden dabei zu helfen, dies zu tun. Denn auch die größte mentale Stärke nützt nichts, wenn einem das Werk- und Rüstzeug fehlt, um eine solche Aufgabe zu meistern.
Ohne Zweifel braucht es Kontrolle, Prüfung und einen sicheren Prozess, also Regeln, für die Sterbehilfe. Und es braucht Professionalität. Weil Sterben ein Teil der Medizin ist (sein sollte?) und in Sachen Medizin vor allem die Mediziner professionell sind, müssen es auch Mediziner sein, die diese, in meiner Welt äußerst ehrenvolle Aufgabe, erfüllen.
Weil es aber wahrscheinlich unmöglich ist professionelle Hilfe zu verbieten, unterstellt man den ärztlichen Sterbehelfern gewerbliche Interessen, sogar auch dann, wenn die gar kein Geld dafür nehmen.
Meinem Empfinden nach ist das nicht nur nicht fair. Es ist vor allem unredlich. Ich hoffe sehr, dass das BVerfG die gesamte Problematik sehen und verstehen kann.
A.S. am Permanenter Link
Religionen sind Herrschaftsinstrumente. Es geht bei der Sterbehilfediskussion darum, ob die Menschen bis zum Tod beherrscht werden oder ob man ihnen die Freiheit lässt, den Todeszeitpunkt selbst zu wählen.
Matthias Krause am Permanenter Link
Wie ernst ist jemand (di Fabio) zu nehmen, der sich für einen Gottesbezug in der Verfassung ausspricht – mit dem Argument, damit sei auch "der Gott der Atheisten" gemeint?
Leider werden solche Leute immer noch viel zu ernst genommen, deshalb Danke, Christian Arnold und hpd, für diesen Beitrag!
Dieter Bauer am Permanenter Link
Danke, Herr Matthias Krause, dass hier das Grundproblem angesprochen ist.
Und seit wann haben Atheisten eine Gott? (:<"der Gott der Atheisten">:)Zumal der Begriff Gott nur in einem Fantastengehirn Wertigkeit erlangen kann.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„Das Gutachten ist auch deshalb zynisch, weil der Autor und die anderen genannten Herren sicherlich längst einen Arzt an ihrer Seite haben, der ihnen im Ernstfall, den man ihnen nicht wünschen mag, hilft.“
Um nichts anderes geht es doch auch, wenn die Abtreibung ganz verboten oder nur in „Extremfällen“ erlaubt werden soll. Lieschen Müller von der Aldi-Kasse soll das – angefangen beim Zugang zur Pille danach – so schwer wie möglich gemacht werden. Während die oberen sozialen Schichten natürlich einen Arzt kennen – ohne im Internet nachsehen zu müssen -, der Abtreibungen – noch – legal durchführt oder ihnen die Pille danach besorgen kann, ist sie dann auf den Schwarzmarkt – im Internet oder beim Kurpfuscher – angewiesen. Diejenigen, die nicht über einen solchen Arzt verfügen, schicken ihre Anwälte in die peinlichen Befragungen der Ethikkommissionen.
Und wer drängt sich schon danach, in solchen Ethikkommissionen zu sitzen ? Kleriker und ihre Helfershelfer, denen es doch garnicht um die realen Menschen geht, sondern, darum, der Gesellschaft die theologisch-esoterischen Konzepte ihrer Pokemon-Welt vom „Menschen“, vom „Leben“ und der „Menschheit“ aufzuzwingen.
Edith Backes am Permanenter Link
Ihrem Kommentar stimme ich voll und ganz zu. Ich gehöre zu dem betroffenen Personenkreis, da ich eine seit 2017 schwerstkranke sterbewillige zum "LEBEN" verdammte 97jährige Mutter im Seniorenheim habe!
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Das Gutachten liegt weit unter DiFabios sonstigem Niveau, das ich als sehr, sehr hoch einschätze.
Der große "Irrtum" DiFabios besteht schlicht darin, dass er nicht realisiert, dass es nicht um eine "Schutzpflicht gegenüber Sterbenden" (was für ein Zynismus...), sondern um die Lockerung einer Verbotsregelung geht. Die Betrachtung muss also "spiegelverkehrt" vorgenommen werden. Nicht das "Recht" des Einzelnen auf Zugang zu Pentobarbital steht zur Debatte, sondern das "Recht" des Staates, ihm diesen zu verwehren. Es gibt keinen Anspruch des Staates, den Bürger zu bevormunden, aber es gibt einen Anspruch des Bürgers darauf, dass der Staat seine Freiheit nur soweit einschränkt, wie es zum Schutze Dritter notwendig und verhältnismäßig ist. Da hier kein Dritter benannt werden kann (außer der Schimäre des von den bösen Nachkommen zum Selbstmord gedrängten Opas), fällt diese Rechtfertigung aus. Es bleibt - moralisch-religiöses Sendungsbewusstsein.
Eine Einschränkung in Freiheitsrechte im Sinne einer Menschenwürdeverletzung ist IMMER verfassungswidrig, wenn sie den Menschen zum "Objekt" degradiert. Das BVerfG hat beispielsweise eine solche Degradierung bejaht, wenn das Existenzminimum versagt wird. Man möge dies einmal im Hinblick auf einen entscheidungsfähigen schwerkranken Menschen überdenken, der zur Selbsttötung entschlossen ist, sich aber einer staatlich errichteten faktischen Verbotsmauer gegenübersieht. Wenn das keine Degradierung zum Objekt ist...
DiFabio weiß das ganz genau, da bin ich sicher, das ist eine verfassungsrechtliche Binsenweisheit. Aber eben dies ist die offenbar abgesprochene Argumentationslinie der Hardliner.
Alfons Pfender am Permanenter Link
Herr Arnold hat voll umfänglich recht!!