Neues Wunder in Lourdes: Zwischen Gott und den Frauen bleibt es schwierig

ER will euch leiden sehen

Neues Wunder in Lourdes - Nummer siebzig an der Zahl! Teilt stolz die Kirche mit. Sie braucht diese Geschichten. Mit ihnen zementiert sie ihre antiaufklärerische Macht - und die Rolle der Frau als unterwürfiges Wesen. 

Gott hat, in seinem vollen Terminplaner, wieder einmal Zeit für Lourdes gefunden, und sein siebzigstes dortiges Wunder bewirkt. So oder ähnlich hat es jetzt die katholische Kirche verkündet. Glückliche Gewinnerin der göttlichen Gnade ist die heute 79-jährige Bernadette Moriau, von Beruf Nonne, die vor zehn Jahren von all ihren Lähmungen erlöst wurde (zu denen leider keine klare Diagnose mitgeteilt worden ist). Plötzlich war da eine Wärme in ihrem Körper, sie hörte eine Stimme im Kopf, und dann konnte sie pötzlich wieder gehen, nach all den Jahren.

Gott ist groß, und ein scheuer Charakter ist er irgendwie auch, denn er lässt seine famose Allmächtigkeit immer nur arg punktuell, wie eine zarte Andeutung, aufscheinen. Vielleicht schämt er sich ja noch dafür, dass jahrtausendelang Intoleranz, Sadismus, Sexismus, Mord, Wahn, Aberglaube und Gewaltherrschaft in seinem Zeichen blühten und bis heute hin blühen. Vielleicht deswegen hält Gott mal lieber den Ball flach und greift nur dann und wann, in besonderen Einzelfällen, ins Weltgeschehen ein, weil er seiner eigenen Potenz nicht recht über den Weg traut - oder seiner eigenen so genannten Moral.

Vielleicht ist er aber auch zu beschäftigt damit, all die Gebete zu bearbeiten, die ihn aufgrund akuter Notlagen seiner Schöpfung erreichen, etwa nach den nahezu täglichen Schulmassakern aus den Vereinigten Staaten. Vielleicht erscheint es ihm auch als diffizile Denkaufgabe, ob man lieber dutzende junger Menschen durch irgendeinen göttlichen Zaubertrick vor den tödlichen Kugeln retten – oder eine knittrige Nonne aus ihrem Rollstuhl erheben sollte. Nun, die Entscheidung scheint gefallen zu sein. Halleluja!

Das Tollste am jüngsten, von der Kirche "untersuchten" und "anerkannten" Lourdes-Wunder ist ja, dass es nicht nur die mysteriösen Leiden der Nonne, sondern sogar auch Zeit und Raum überwunden hat. Denn die göttliche Heilung fand weder zum Zeitpunkt ihres Lourdesaufenthaltes statt, noch überhaupt in Lourdes. Die Nonne war wieder heimgekehrt, Lourdes lag hinter ihr, und als Herrgott ihr plötzlich mit dem warmen Gefühl im Körper kam, ihr nahelegte, das Morphium abzusetzen und loszulaufen, wusste sie ganz sicher: Das liegt jetzt an Lourdes, jenem Wallfahrtsort, den eine andere Bernadette im 19. Jahrhundert ihrer Heimat erschloss, indem sie eine der für solche Gelegenheiten üblichen Gespenstergeschichten zu erzählen begann. Sie habe, an einem Ort abseits der Zivilisation, eine Frau getroffen (genaue Beschreibung der Klamotten der Frau), die dann irgendwann als die Jungfrau Maria identifiziert wurde. Seither pilgern die Menschen in hellen Scharen und versuchen, sich vom dortigen Wasser heilen zu lassen. Es ist ja aber auch eine schöne Gegend.

Abgesehen von der Vernunftzumutung, solche Geistergeschichten glauben zu sollen oder die Gläubigen und einen Gott, der auf diese Weise operiert, ernst nehmen zu sollen, abgesehen also von dem Umstand, dass der Glaube hier einmal mehr die Verabschiedung von Sinn und Verstand verlangt: Was für eine Rolle der Frau wird in all diesen Legenden und auch in den Heilungsgeschichten propagiert? Das Weibliche ist prototypisch von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen. Üblicherweise sind es arme, einsame Mädchen, denen die unglaubliche Gnade widerfährt. Lange erdulden sie ihr eher karges Schicksal, dann begeben sie sich eines Tages, wie im Märchen, in einen Raum, der klassischerweise "das Weibliche" repräsentiert, die wilde Natur, vorzugsweise den Wald. Dort finden sie dann, nicht durch eigenes Zutun, sondern offenbar durch himmlische Zufallswahl, ihre Berufung: Gott scheint hier Wert darauf zu legen, dass er sich nicht etwa den Gebildeten und Arrivierten offenbart. Die jungen Frauen verkünden dann die Begegnung mit dem Göttlichen, worauf die Gesellschaft auf zwei Weisen reagieren kann: Entweder sie hält sie für überspannt und hysterisch – was Frauen sich halt seit Jahrtausenden anhören müssen. Oder aber: Das Männliche tritt auf den Plan. In Gestalt der katholischen Kirche. Ein Ortspastor wird eingeschaltet, oder der Bürgermeister, oder der Vatikan lässt die Wunder untersuchen: Ob das Mädchen mit seinen Visionen irre ist oder göttlich erleuchtet, das zu entscheiden, obliegt den Theologen, und ihre große Kunst ist es, das partielle Irresein von der göttlichen Erleuchtung scheiden zu können – diese Fähigkeit ist ja nicht jedem gegeben.

Die Frauen selber haben da mal gar nichts zu melden. Ihnen ist vom ersten Moment an eine Aufgabe zugedacht: Die Rolle der Bescheidenen, Wartenden, Leidenden. Frauen streben in diesen Geschichten nichts an, sie erreichen nichts, sie sind nur die Gefäße der göttlichen Eingriffe in die Welt. Gott verstreut Metastasen, Gott macht blind, er lähmt Leute und drückt sie in ihre Rollstühle. Dann können sie nach Lourdes rollern. Beten. Und abwarten. Die ganze Beterei ist dabei so wie der Einkauf von Lotterielosen, niemals kann man sich allzu viel Hoffnung machen, dass der Gott nun wirklich helfe, ein bisschen bitten lassen will er sich ja schon, nach all dem, was unsere Urgroßeletern da im Paradies veranstaltet haben und was ihm, Gott, wirklich, wirklich weh getan hat. Der gute Apfel!

Um zu zeigen, dass er ja gar nicht so ist, greift er hier und dort bei einzelnen der Millionen Pilger offensichtlich in den Krankheitsverlauf ein, indem er hier und dort spontane Heilungen erfolgen lässt – und niemand kann sagen, ob die nicht auch daheim vorm Fernseher passiert wäre. Denn spontane Heilungen kommen ja auch ohne Heiligwasser vor.

Bernadette jedenfalls, die nette Nonne, kann nun seit zehn Jahren wieder hin- und herlaufen, und es sei ihr von Herzen gegönnt. Gegönnt sei auch jedem Menschen das wohltuende Gefühl, im Kosmos irgendwie aufgehoben zu sein. Warum der Firlefanz der derzeitigen Religionen aber einer modernen Gesellschaft entgegensteht, wird durch ihren Fall einmal mehr belegt: Sie verweisen die Frau auf einen Platz, der mittelalterlichem Denken entspricht. Sie ist die Passive, die Leidende, etwas zu sagen oder zu erreichen hat sie nicht. Sie darf dankbar sein, wenn sie vom Patriarchat auch nur die geringste Anerkennung bekommt und einfach weiterleben darf. In der Bibel kommen Frauen ja durchaus noch schlechter davon: Sie werden von ihrem gläubigen Vater zur Vergewaltigung freigegeben, erstarren zur Salzsäule, wenn sie des Mannes Befehl nicht gehorchen, oder sie bringen, indem sie einen Apfel pflücken, alles Unheil über die Welt. Ganz schlechtes Karma! Recht betrachtet: Es wird Zeit für einen feministischen, egalitären Relaunch des Christentums sowie sämtlicher anderer Religionen, in denen dem Mann eine Führungsrolle herbeigeschwafelt und herbeigejodelt wird. Bis es soweit ist, werden sicher noch einige Wunder im Lourdes-Style geschehen, dazu: Schulschießereien, Selbstmordattentate, Kriege, Hungersnöte, Epidemien. Just Sayin'.