Der Philosoph Peter Singer plädiert in seinem Buch "Linke, hört die Signale! Vorschläge zu einem notwendigen Umdenken" für die Versöhnung von Darwinismus und Linken. Sein Plädoyer für eine darwinistische Linke bleibt gleichwohl auf der philosophischen Ebene stehen, plädiert aber reflexionswürdig für einen neuen Realismus.
Die aktuelle Krise der politischen Linken ist ein wichtiges Thema. Wenn da ein Buch mit dem Titel "Linke, hört die Signale! Vorschläge zu einem notwendigen Umdenken" erscheint, klingt dies wie ein Beitrag zu einschlägigen Kontroversen. Autor ist der bekannte Philosoph Peter Singer, der indessen nicht nur wegen seiner utilitaristischen Auffassungen immer wieder Kritik auslöst. Gleichwohl lohnt die Auseinandersetzung mit seinen Thesen. Dies gilt auch für die genannte Neuerscheinung. Doch bezieht sie sich inhaltlich gerade nicht auf die aktuelle Diskussion, etwa hinsichtlich der Frage, ob eine "Identitätslinke" eine "Soziallinke" erdrückte und dadurch erst den politischen Aufstieg von "rechts" möglich gemacht hat. Das wäre auch gar nicht möglich, denn Singers Text stammt aus dem Jahr 2000. Der englischsprachige Originaltitel lautete: "A Darwinian Left. Politics, Evolution and Cooperation" (Yale University Press, New Haven). Darin ist auch schon das eigentliche Anliegen des Autors enthalten, plädiert er doch für eine "darwinistische Linke".
Als Anliegen wird in der Einleitung formuliert: "Ich möchte dafür argumentieren, dass eine Quelle für neue Ideen, die zur Wiederbelebung der Linken führen könnten, in einer Herangehensweise an das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Verhalten von Menschen besteht, die fest auf einem modernen Verständnis der menschlichen Natur gründet" (S. 10). Eine damit einhergehende naturalistische Auffassung habe die Linke immer abgelehnt, da der Darwinismus häufig genug als Sozialdarwinismus falsch verstanden wurde. Aus der Beschreibung der Evolution als Prozess könnten keine Grundprinzipien für die Gestaltung der Gesellschaft verbindlich abgeleitet werden. Darüber hinaus meint Singer, dass die Ablehnung des Darwinismus durch den "Glaube(n) an die Formbarkeit der menschlichen Natur" erklärbar sei, wobei falsche Prämissen zu einem "Traum von Vervollkommnung" (S. 31) geführt hätten. Demgegenüber plädiert er dafür, dass die Linke eine darwinistische Auffassung von der menschlichen Natur akzeptiere und sich damit neu orientiere:
Ein erster Ansatzpunkt dafür sei die Differenzierung von unveränderlichen und wandelbaren Bestandteilen der menschlichen Natur, wobei auch die unterschiedlichen Dispositionen stärker berücksichtigt werden müssten: Konkurrenz wie Kooperation seien dem Menschen eigen. Für den Aufbau einer auch von Singer angestrebten kooperativeren Gesellschaft müsse die letztgenannte Komponente verstärkt werden. Dies sei durchaus möglich, da derartige Anlagen eben auch in der menschlichen Natur angelegt seien. Der Altruismus gegenüber Fremden, der beispielsweise bei Blutspenden festgestellt werden kann, stehe für derartige Prägungen. "Eine darwinistische Linke würde" für ihn "akzeptieren, dass es so etwas wie eine menschliche Natur gibt … erwarten, dass sich viele Menschen wettbewerbsorientiert verhalten werden" und "die meisten Menschen positiv auf ernsthafte Möglichkeiten reagieren würden, in wechselseitig vorteilhafte Formen der Kooperation einzutreten" (S. 70 f.). Realistische Auffassungen von dem Erreichbaren sollten utopische Ideen ersetzen.
Singer macht überzeugend deutlich, dass der Darwinismus und die Linke keinen Widerspruch bilden müssen. Bereits Peter Kropotkin bezog sich 1902 auf die Evolutionstheorie, um eine Gesellschaftsordnung der "gegenseitigen Hilfe" zu legitimieren. Auch erklärt sein Blick das Scheitern vieler linker Experimente, die sich offenbar gegen die menschliche Natur richteten. Insofern ist das Denken des Autors in mehrfacher Hinsicht von einem ausgeprägten Realismus durchdrungen. Deutlich macht er einige Grenzen durch die Natur, betont aber auch die Möglichkeit zu deren Überschreiten. Demnach wird nicht die eine Einseitigkeit durch die andere Einseitigkeit ausgetauscht. Gerade in dieser Differenzierung liegt neben dem Realismus der Vorzug. Dass der Philosoph nur selten die abstrakte Ebene der Argumentation verlässt und sich kaum an konkreten politischen Fragen abarbeitet, ist bedauerlich. Gleichwohl entspricht dies wohl nicht seiner Denkperspektive. Er liefert auch keinen Beitrag zur aktuellen Kontroverse, aber Erneuerung kann auch von solchen Positionen ausgehen.
Peter Singer, Linke, hört die Signale! Vorschläge zu einem notwendigen Umdenken, Stuttgart 2018 (Reclam-Verlag), 95 S.,ISBN: 978-3-15-019555-0, 6,00 Euro
5 Kommentare
Kommentare
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
"Der Altruismus gegenüber Fremden, der beispielsweise bei Blutspenden festgestellt werden kann, stehe für derartige Prägungen."
Ich denke es gibt keinen Altruismus, da mit dem Altruismus immer Gewisse Vorteile verbunden sind. Etwa indem man es Publik macht oder gesehen wird ein Gewinn an Reputation. Oder der Glaube, dass man mit positivem Beispiel irgendwann selbst Nutznießer einer prosozialen Handlung werden kann.
Beim Blutspenden geht es sicherlich auch vielen darum gesehen zu werden - was die hohe Brereitschaft gerade im ländlichen Raum Blut zu spenden erklärt. Während man sich in der großen Stadt eben nicht sicher sein kann, dass man von relevanten Anderen bei der Blutspende gesehen wird. Dazu kommt, dass Blutspende mitunter auch einen Gesundheitsgewinn nach sich ziehen kann. So hatte die Charitee in einer explorativen Studie bereits vor Jahren festgestellt, dass sich der Blutduck durch regelmässige Blutspende langfristig etwas senke.
Um zum eigentlichen Thema zurück zu kommen, so muss ich Singer insofern zustimmen, dass der Sozialismus meiner Meinung nach daran scheiterte, das man sich die Leute mit denen man ihn versuchte nicht aussuchen konnte bzw. von der Möglichkeit einer Umerziehung ausging und nicht in Rechnung stellte, dass Eigennutz für Menschen ein wichtiges Motiv ist. Zwar sollte im Sowjet Sozialismus gelten "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung". Aber ob es so war... fraglich. Zumal die Leistungsgerechtigkeit ja ein Slogan ist mit dem nicht die Linke, sondern die FDP auf Bauernfängerei geht, kommt sie doch als Interessenvertretung der Kapital- (Geld- und Boden-) eigentümer nicht umhin sich für den Erhalt von Arbeitslosen Einkommen* einzusetzen.
* Arbeitsloses Einkommen im Sinne von Sylvio Gesell, also Rendite für die keine Leistung erbracht wurde - während etwa bei eigener Verwaltertätigkeit für sein eigenen Vermögens ein Einkommen das dem eines angestellten Verwalters entspricht legitim wäre.
Markus Schiele am Permanenter Link
"Autor ist der bekannte Philosoph Peter Singer, der indessen nicht nur wegen seinen utilitaristischen Auffassungen immer wieder Kritik auslöst. Gleichwohl lohnt die Auseinandersetzung mit seinen Thesen."
Warum "gleichwohl"? Man zeige mir erstmal eine Ethik, die einem undogmatischen (!), menschenfreundlichen (oder fühlenden-Lebewesen-freundlich-gesonnenen) Utilitarismus überlegen ist ...
malte am Permanenter Link
Hier zeigt sich wieder einmal ein grundlegendes Missverständnis, auf das ich schon häufiger gestoßen bin.
little Louis am Permanenter Link
Nur mal kurz: Stimme den Vorkommentatoren und insb. ""malte" weitgehend zu.
Es gibt nämlich durchaus eine Tendenz nahezu alles, was mit "Evolution" zu tun hat dogmatisch als quasi "unantastbar" vor Kritik zu immunisieren.(Oft auch politisch- weltanschaulich bedingt)
Und natürchlich ist linkshumanistische Skepsis auch heute noch (wenn auch weniger) berechtigt, da auch aktuell sozialdarwinistisch argumentierende "Brutalkapitalisten" mir darwinistisch klingenden Argumenten bei nicht wenigen Menschen (gerade auch Intelllektuellen) Zustimmung oder wenigstens Aufmerksamkeit finden.
Martin Mair am Permanenter Link
Warum soll Konkurrenz dem Menschen eigen sein? Das zwanghafte gegenseitig Niederkonkurrenzieren ist doch wahnsinnig anstrengend und destruktiv !!!!