Rezension

Jesus von Nazareth war kein Friedensfürst

Jesusbücher schaffen es immer wieder in die Bestsellerlisten. Die Figur des umherwandernden und zu Unrecht verfolgten Propheten mit seiner Liebesbotschaft fasziniert bis heute selbst Menschen, die eigentlich nichts mit der angeblich von ihm gegründeten Kirche zu tun haben wollen. Sicherlich 99 Prozent der Jesusbücher jedoch sind religiöser Kitsch, sind fromme Elaborate, entstanden mehr aus Gefühl statt aus Nachdenken, gefertigt von Gläubigen, denen jegliche Kritik an ihrem "Heiland" abgeht. Das restliche 1 Prozent sind Bücher mit einem gewissen Anspruch, geschrieben von Menschen, die sich bewusst wissenschaftlich und auch kritisch mit dieser antiken Person beschäftigen wollen. Reza Aslan ist solch ein Ausnahmeautor.

Einst Moslem, wurde er evangelikaler Christ, studierte dann in universitärem Rahmen die Überlieferung zu Jesus, um dann wieder Moslem zu werden. Über Letzteres mag man mit Recht den Kopf schütteln, aber es muss uns hier nicht weiter kümmern. Denn sein Buch mit dem Titel "Zelot. Jesus von Nazareth und seine Zeit" ist es auf Grund des Wissens seines Autors und seiner Sichtweise durchaus würdig, gelesen zu werden. Es ist ein kenntnisreiches und ansprechendes Buch, fesselnd geschrieben und mit einer provokanten Zentralthese. Jesus von Nazareth war keineswegs der Friedensfürst, als den ihn die spätere Kirche verkündet hat. Nein, so Aslan, sein Wirken sei eminent politisch gewesen. Er war in seinem Denken ein Zelot (auch wenn die eigentlichen Zeloten erst 30 Jahre nach seinem Tod auftauchen), er wollte die politische Befreiung seines Volkes von römischer Vorherrschaft erreichen. Das Reich, das er verkündete, war kein Reich "in den Himmeln", sondern ein irdisches Reich. Schon deshalb mussten die Römer verschwinden, und schon deshalb war er für die Römer eine Gefahr. Aslan meint, für sich selbst habe Jesus durchaus eine Rolle als Messias und König vorgesehen. Sein Kampf gegen die Reichen, gegen eine korrupte Priesterschaft, sein entschiedenes Eintreten für die Armen musste ihn in Konflikt nicht nur mit der sadduzäischen Oberschicht bringen, sondern auch mit Pilatus, der ihn, den Eiferer und Revolutionär kurzerhand hat umbringen lassen.

Cover

Diese Sicht von Jesus als einem Umstürzler, einem gescheiterten Revolutionär, der erst viel später zu einem unpolitischen Messias, dann sogar Gottessohn verwandelt wurde, hat als erster schon Reimarus vertreten. Die Kirchen haben dies immer heftig bestritten. Das Reich, für das Jesus gestorben ist, sei "nicht von dieser Welt" gewesen. Nur hat die Forschung zu Jesus von Nazareth in den letzten 200 Jahren schon so manche traditionelle kirchlich-liebgewonnene Meinung löchrig gemacht oder gar ganz verschwinden lassen. Ein Gottessohn ist Jesus für die neutestamentliche Forschung schon lange nicht mehr. Aber will man ihn sich in den Niederungen der nationalistischen Freiheitsbewegung seines Volkes vorstellen? Das wäre Kirche wie Gläubigen zu wenig.

Aslan bringt einige gewichtige Argumente für Jesus als (vielleicht sogar gewaltbereiten) Aufrührer. Das wichtigste ist zweifellos sein Tod. Jesus' Wirksamkeit endete schon nach kurzer Zeit am Kreuz. Die Kreuzigung war aber die übliche Todesart für Rebellen und Aufständige. Damit demonstrierte Rom seine Macht über seine Feinde. Hätten die Juden ihn z. B. wegen Blasphemie hingerichtet, wäre Jesus gesteinigt worden. Doch Jesus starb den Tod eines Aufrührers. Mit anderen "lesthai", anderen Banditen und Räubern, wird er öffentlich hingerichtet. Der Evangelist Lukas versucht diesen Eindruck zu verwischen, indem er aus den lesthai "kakourgoi" (Übeltäter) macht. Doch die Schändlichkeit der Todesart Jesu bleibt, und sie hat den ersten Christen arge Probleme bereitet. Fiel doch ein am Kreuz Gestorbener schlichtweg als Messias aus. Wer am Kreuz hing, galt als von Gott verlassen. Seine Todesart war geradezu der Beweis, dass Jesus unmöglich der Messias gewesen sein konnte.

Auch der Kreuzestitulus "Jesus von Nazareth, König der Juden" weist Jesus als politischen Aufrührer aus. Wie die Kreuzigung selbst ist der titulus wohl schwerlich später erfunden worden, und wird in der Forschung als historisch bewertet. Aslan macht klar: "Wenn man nichts weiter über Jesus von Nazareth wüsste, als dass er von Rom gekreuzigt wurde, wüsste man praktisch alles, was man brauchte, um aufzudecken, wer er war, was er war und warum er an einem Kreuz endete … Jesus von Nazareth, König der Juden. Sein Verbrechen war, dass er gewagt hatte, Anspruch auf die Königsherrschaft zu erheben … Alles andere über die letzten Tage … muss vor dem Hintergrund dieser einzigen, nicht wegzudiskutierenden Tatsache gesehen werden." (S. 202)

Nach Aslan (aber auch nach dem Gros der Neutestamentler) war Jesus ein ungebildeter Bauer und Tagelöhner, der aus einem unbedeutenden Dorf kam, und der wohl jahrelang Arbeit in der neu entstehenden Stadt Sepphoris fand (die er später aber auffällig meidet). Sein Lehrer war Johannes der Täufer gewesen. Ihn hat er verehrt. Jesus wurde einer seiner Jünger, bevor er selbst anfing, Jünger zu sammeln. Wie sein Lehrer predigte er das bevorstehende Gericht. "Doch er ahmte Johannes nicht einfach nach. Jesu Botschaft war weit revolutionärer, sein Konzept des Gottesreiches sehr viel radikaler und sein Identitäts- und Sendungsbewusstsein viel gefährlicher als alles, was Johannes der Täufer sich hätte ausdenken können." (S. 129)

Aslan scheint Johannes also weniger politisch zu verstehen als Jesus, obwohl ja auch Johannes später bereits Opfer der Politik wurde. Von seinem Lehrer Johannes hat Jesus die Ankündigung der "Gottesherrschaft" übernommen, die Vorstellung, dass Gott nun selbst bald die Herrschaft über sein Land übernehmen würde. Diese Ankündigung der nahen Gottesherrschaft (Mk 1,15) wird in der Forschung übereinstimmend als das zentrale Verkündigungsanliegen Jesu erkannt. Heutige Christen verstehen sie rein spirituell, aber zweifellos war sie so nicht gemeint. Sie hat selbstverständlich auch eine politische Implikation. "Zu sagen, 'das Reich Gottes ist nahe', bedeutet daher etwa so viel, als sagte man, das Ende des Römischen Imperiums sei nahe. Es bedeutet, dass Gott den Kaiser als Herrscher des Landes ablösen wird. … Das Königreich Gottes ist schlicht und ergreifend ein Aufruf zur Revolution." (S. 162)

So haben es die Römer sehr deutlich verstanden, und sie verfolgten jeden, der meinte, ein Anstifter oder Verkündiger der Gottesherrschaft zu sein, oder der sich gar als Messias gebärdete. Und von diesen religiösen und politischen Eiferern gab es im 1. Jahrhundert eine ganze Reihe. Aslan stellt sie vor. Immer wieder gelang es ihnen, Anhänger zu finden und Unruhe zu stiften. Die meisten wurden mit Waffengewalt zum Schweigen gebracht. Und immer wieder tauchten sie in Jerusalem auf. "Jeder Sektierer, jeder Fanatiker, jeder Zelot, Messias und selbsternannte Prophet fand irgendwann den Weg nach Jerusalem." (S. 210) Und auch Jesus kam, und ließ sich beim Einzug feiern als einer wie "König David". Sich selbst bezeichnet er (meint Aslan) als "Menschensohn", worin Aslan so etwas sieht wie einen leicht kaschierten Königstitel, den Jesus auf sich bezieht. Seinen Jüngern, ungebildeten Zeitgenossen wie er selbst, stellt Jesus ebenfalls Herrschaftspositionen in Aussicht.

Auf die Frage hin, ob man dem Kaiser Steuern zahlen soll, habe Jesus gesagt: "Also, gebt dem Kaiser zurück, was dem Kaiser gehört, und gebt Gott zurück, was Gott gehört." Aslan versteht dies anders als viele Ausleger eminent politisch und meint: "Das ist die zelotische Position in ihrer schlichtesten, knappsten Form. Und in den Augen der Machthaber in Jerusalem ist es offenbar genug, um Jesus sofort als lestes abzustempeln. Ein Bandit. Ein Zelot." (S. 116)

Seine Anhänger fordert er auf, sich Waffen zu besorgen. "Wer aber kein Geld hat, soll seinen Mantel verkaufen und sich dafür ein Schwert kaufen" (Lk 22,36), befiehlt Jesus seinen Jüngern direkt nach dem Paschamahl. Selbst frommen Christen ist der Jesus, der zum Kauf von Waffen aufruft, meist unbekannt. Bei seiner Festnahme im Garten Gethsemane, wo sich Jesus "versteckt" habe, aber sind die Jünger offenbar tatsächlich bewaffnet und setzen diese Waffen offenbar auch ein.

In Jerusalem tritt Jesus offenbar sehr großspurig auf und prophezeit: "Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten." Es scheint gesichert, dass Jesus sich irgendwie negativ zum Tempel stellte, und damit vor allem die sadduzäische Oberschicht angriff. Wie er dies aber gemeint hat, darüber streiten sich die Exegeten. Ebenso darüber, welche Bedeutung die sog. Tempelreinigung hatte, wo er (mit Gewalt!) gegen Händler im Tempelvorhof vorgeht. Es sei jedenfalls "verblüffend – und wirklich nicht zu übersehen – … wie unverhohlen und unbestreitbar eifernd Jesu Auftreten im Tempel wirkt." (S. 114) Dies ist sicherlich auch den Römern auf der nahen Burg Antonia nicht verborgen geblieben. Sie konnten wissen: Hier ist wieder einer dieser Eiferer, dieser gefährlichen Fanatiker und Volksverführer. Und sie haben ihn sich gegriffen, bevor er weiteres Unheil anrichten konnte.

Die Evangelien schildern uns einen Prozess vor Pilatus. Aber schon früher hat man gesehen, dass dieser Prozess gegen Jesus eine ganze Fülle von Problemen bereitet und (bis zu 27!) Verfahrensfehler enthält. Aslan geht deshalb wie andere davon aus, dass es gar keinen Prozess gegeben hat, und dass auch die Begegnung zwischen Pilatus und Jesus reine spätere Ausschmückung ist. Jesus wurde als Aufwiegler und Unruhestifter ohne längeres Verfahren hingerichtet. Pilatus war ein Mann von wenig Mitgefühl, und immerhin war vor dem Passahfest viel Volk in der Stadt und die Gefahr eines Aufstands hoch. Tausende hat Pilatus während seiner zehnjährigen Herrschaft hinrichten lassen. Aslan meint: "Dass Pilatus sich auch nur in einem Raum mit Jesus aufhielt, ganz zu schweigen davon, dass er ihm einen 'Prozess' gewährte, übersteigt die Phantasie." (S. 193)

Es ist ein ungewohntes Bild, das Aslan hier zeichnet. Der wohl am meisten verkitschten Figur der Weltgeschichte stellt er den religiösen Eiferer Jesus gegenüber. "Die allgemeine Vorstellung von Jesus als unumstößlichem Friedensstifter, der seine Feinde liebte und die andere Wange hinhielt, fußt Großteils auf seiner Darstellung als unpolitischer Priester, der sich für die politisch turbulente Welt, in der er lebte, weder interessierte, noch sie überhaupt wahrnahm. Dieses Bild von Jesus hat sich längst als reines Phantasieprodukt erwiesen … Er war ganz bestimmt kein Pazifist. Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. (Mt 10,34; Lk 12,51; Aslan S. 163) Jesus war "ein eifernder Revolutionär", er hatte … "wenig Ähnlichkeit mit dem Bild des guten Hirten, das die frühchristliche Gemeinde pflegte." (S. 25)

Doch wieso erscheint das Bild Jesu in den Evangelien dann so anders? Nun, das Reich Gottes ist nicht gekommen. Jesus hatte sich geirrt. "Die Wahl, vor der die Frühkirche stand, war eindeutig: Entweder war Jesus nur einer von vielen gescheiterten Messiassen, oder die Erwartungen der Juden an den Messias zu Jesu Zeit waren falsch und mussten entsprechend angepasst werden." (S. 189) Dass dieser Jesus tatsächlich der erwartete Messias gewesen ist, das war schon eine sehr dreiste Behauptung. Doch Gläubige sind gerne zu allem bereit, wenn es um ihren Guru oder Gott geht. Nach dem Tode Jesu vollzog sich seine Verwandlung. Die Jesusbewegung war einst von ungebildeten Fischern und Bauern getragen gewesen. Diese waren schwerlich in der Lage, eine solche Uminterpretation zu bewerkstelligen. "Die Aufgabe, Jesu Botschaft zu definieren, fiel stattdessen einer neuen Liga gebildeter, städtischer, griechischsprachiger Diasporajuden zu." Sie "verwandelten den revolutionären Eiferer Jesus Schritt für Schritt in einen romanisierten Halbgott. Aus einem Mann, der versucht hatte, die Juden von der römischen Unterdrückung zu befreien, und dabei gescheitert war, wurde nun ein himmlisches Wesen, für das alles Weltliche vollkommen uninteressant war". (S. 218)

Das Reich Gottes, der Kampfbegriff Jesu, wurde spiritualisiert und schließlich gar nicht mehr verwendet. Ein Paulus z. B. interessierte sich dafür längst nicht mehr. So wie Matthäus aus dem vermutlich historischen Jesus-Wort "Selig sind die Armen" ein "Selig sind die Armen im Geiste" gemacht, und damit der Verkündigung Jesu eine ganz neue Ausrichtung gegeben hat, man kann auch sagen völlig verdreht hat, so hat man auch das Reich Gottes nun nur noch geistlich verstanden. Es wurde zu einem imaginären "Reich der Himmel", das gänzlich von aller irdischen Unbill geschieden war. Aus dem religiös verblendeten Revolutionär Jesus wurde ein unpolitischer Gotteslehrer, der für ein Reich kämpft, das mit dem Hier und Jetzt wenig zu tun hat. Und tatsächlich sind sich die Historiker einig, dass in vielen Teilen der Evangelien und des NT die Tendenz vorherrscht, Jesus und seine Bewegung zu entpolitisieren. Für die Apostelgeschichte ist es geradezu eine Hauptintention, die Loyalität der frühen Christen dem römischen Staat gegenüber unter Beweis zu stellen. Künftig wurde immer wieder betont, dass die Christen keinerlei politische Ambitionen haben, und dass sie deshalb auch keine Gefahr für den Staat seien. Wäre Jesus damit einverstanden gewesen? Aslan hat seine Zweifel. Jedoch: Als Revolutionär musste Jesus scheitern, aber als Prophet, als Weisheitslehrer, und später als Gottessohn und sogar als Gott selbst konnte er überleben. Das war seine wahre Auferstehung.

Hat Aslan mit der Charakterisierung Jesu als gescheiterter Revolutionär Recht? Letztlich wird man diese Frage nicht mehr sicher beantworten können, denn die Überlieferung zu Jesu ist trotz gleich vier Evangelien äußerst unzuverlässig. Jesus, da sind sich selbst konservative Exegeten weitgehend einig, hat nur einen kleinen Teil der Worte gesprochen, die ihm zugeschrieben wurden, und er hat nur einen kleinen Teil der Taten begangen, die von ihm erzählt werden. "Faktentreue war unwichtig. Was zählte, war Christologie, nicht historische Genauigkeit." (S. 200) Das Bild Jesu ist schon 40 Jahre nach seinem Tod so glaubensmäßig überformt, dass sich psychologische Spekulationen dem Historiker einfach verbieten. Wir können nicht mehr wissen, wie sich Jesus selbst verstanden hat, ob sein Eiferertum tatsächlich so weit ging, dass er sich als König eines künftigen Reiches sah. Alles bleibt Spekulation.

Spekulieren aber darf man als Historiker durchaus, sofern man es verantwortlich und mit Argumenten tut, also versucht, aus den Brocken der Überlieferung so etwas wie ein "So könnte es gewesen sein" zu destillieren. Und dies macht Aslan großartig. Nicht nur, dass er als Wissenschaftler vom Fach sich offenbar sehr gut in der Forschungslage auskennt (sogar viele deutsche Neutestamentler werden zitiert), es gelingt ihm auch vorbildlich, die Zeit des ersten Jahrhunderts bildkräftig und aussagereich vor dem Auge des Lesers auferstehen zu lassen. Der zeitgeschichtliche Kontext Galiläas, die immer wieder auftretenden religiösen Spinner, die die Römer beschäftigt haben, das Miteinander der jüdischen Oberschicht und der römischen Herrschaft: all das beschreibt Aslan äußerst spannend und lehrreich. Großartig auch die Charakteristik der Urgemeinde mit ihrem Leiter, dem Jesusbruder Jakobus und dem Neuerer Paulus, die den letzten Teil von Aslans Buch ausmacht (und mir persönlich sogar am besten gefallen hat). Es wäre eigentlich Stoff für ein weiteres Buch und eine weitere Rezension dazu. Aslans Buch ist auf jeden Fall lesenswert, und sein politischer Jesus könnte durchaus mehr die Wirklichkeit treffen, als das seinen Gläubigen und seiner angeblichen Kirche lieb ist.

Reza Aslan "Zelot. Jesus von Nazareth und seine Zeit", Rowohlt 2013, 22,95 Euro (Hartcover) 9,99 Euro (Taschenbuch & E-Book)