Der Journalist Peter Zudeick geht in seinem Buch "Heimat, Volk, Vaterland. Eine Kampfansage an rechts" der Geschichte der genannten drei Begriffe nach, um deren Instrumentalisierung durch die politische "Rechte" zu kritisieren. Der Autor macht dabei auf andere Traditionen aufmerksam, reflektiert aber nicht bezüglich "linker" Vereinnahmungsbemühungen genügend mögliche kontraproduktive Wirkungen.
"Die Wurzel der Geschichte", so Ernst Bloch, "ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit schien und worin noch niemand war: Heimat." Diese Aussage des marxistisch inspirierten "Prinzip Hoffnung"-Philosophen findet gegenwärtig wieder größere Verbreitung. Sie macht deutlich, dass es von "Heimat" auch ein nicht-reaktionäres Verständnis gibt. Ganz allgemein lässt sich nämlich sagen, dass die Begriffsdeutung von "Heimat", "Volk" oder "Vaterland" von Rechtsextremisten oder Rechtspopulisten nur ein Vereinnahmungsversuch ist. Es können auch ganz andere Interpretation vorgenommen werden. Dies will der freie Journalist und promovierte Philosoph Peter Zudeick in seinem Buch "Heimat, Volk, Vaterland. Eine Kampfansage an rechts" deutlich machen. Darin wendet er sich gegen die einschlägigen "Besetzungen von Begriffen" (S. 14).
Entsprechend dem Buchtitels ist auch der Text gegliedert: Es geht jeweils um die genannten drei Begriffe, deren ideen- wie realgeschichtliche Bedeutungen und Entwicklungen im Zentrum stehen. Dabei wird jeweils auf die Entstehung im 19. Jahrhundert hingewiesen, dann die politische Entwicklung nachgezeichnet, insbesondere die Instrumentalisierung im Nationalsozialismus thematisiert, danach die Deutung in der Nachkriegszeit angesprochen und auch jeweils immer ein politisch linkes Verständnis davon hervorgehoben. Bei den letztgenannten Ausführungen bilden immer wieder Bezüge auf Bloch wie oben, aber ebenso auf die "Kinderhymne" von Bertolt Brecht inhaltliche Referenzen. Auch Kurt Tucholsky hatte bereits in seinen Kommentaren in der Weimarer Republik verdeutlicht, dass der Bezug auf die Heimat oder das Land kein Monopol der Völkischen war. Es gibt demnach durchaus eine liberale oder linke Tradition, welche die genannten Begriffe mit anderen Deutungen verwendete. Darauf aufmerksam zu machen, ist das Kernanliegen des Verfassers.
Als Beispiel sei hier die Berufung auf das "Volk" näher thematisiert: Diese mache laut dem Publizisten Rüdiger Safranski angeblich heute schon verdächtig. Durchaus berechtigt macht der Autor darauf aufmerksam, dass dem keineswegs so ist. Es gibt außerdem unterschiedliche Auffassungen darüber, was mit Volk gemeint ist und wer alles dazu gehört (vgl. S. 94). Auch könne die gleiche Formulierung in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Verständnisse vermitteln. Dies wird anhand der Parole "Wir sind das Volk" verdeutlicht. Die frühere demokratische Frontstellung gegen die SED-Herrschaft ist durch eine Forderung nach sozialer Ausgrenzung und eine Monopolisierung des Repräsentationsanspruchs abgelöst worden. "Denn wer", so Zudeick, "den demokratisch-rechtsstaatlichen Begriff von 'Volk' wieder zu einem mythisch-biologistischen Begriff von Abstammungs-, Blut- und Schicksalsgemeinschaft umdeutet, hat Abgrenzung und Ausschluss bestimmter Gruppen im Sinn und will zurück zu aggressivem Nationalismus …" (S. 140).
Der Autor beschreibt und kommentiert all das mit lockerer Hand, hegt er doch nicht den Anspruch auf eine wissenschaftliche Studie. Dabei wird deutlich, dass die genannten Begriffe keineswegs notwendigerweise politisch "rechts" verortet sind. Gleichwohl dominiert in Deutschland eine solche Wahrnehmung. Dass einer solchen Einordnung auch entgegengewirkt werden kann, macht die Berufung auf die Ökologie bzw. Umwelt deutlich. Auch hierbei handelte es sich zunächst um ein "rechtes" Thema, das durch die Partei "Die Grünen" eher politisch nach "links" gedreht wurde. Doch stellt sich die Frage, ob dies bei den genannten Begriffen so einfach möglich wäre. Gerade wenn die Begriffsbesetzung schon sehr weit erfolgt ist, können Berufungen auf "Heimat" oder "Vaterland" in einem anderen Sinne eher eine "rechte" Verstetigung bewirken und damit letztendlich kontraproduktiv sein. Darüber hätte der Autor noch stärker reflektieren können, hat er doch sein Buch ausweislich des Untertitels gerade um einer politischen Wirkung willen verfasst.
Peter Zudeick, Heimat, Volk, Vaterland. Eine Kampfansage an rechts, Frankfurt/Main 2018 (Westend-Verlag), 187 S., ISBN 978-3-86489-109-0 , 18,00 Euro (Taschenbuch), 11,99 Euro (eBook)
5 Kommentare
Kommentare
Kay Krause am Permanenter Link
Nun haben wir ja zum Glück einen "Heimat-Minister"! (Wer hat sich diesen Quatsch bloß ausgedacht?
Klaus D. Lubjuhn am Permanenter Link
"Die Wurzel der Geschichte ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch.
Das Ernst Bloch - Zitat, das Peter Zudeick seinem Buch voranstellt, ver- weist auf die politische Positionierung des Autors: Peter Zudeick fühlt sich der Linken verbunden. Der Gegner steht rechts - automatisch.
Wir haben kein unkritisches, aber ein Buch vor uns, das - der Tendenz nach - sich einer politischen Richtung verpflichtet weiß. Und nur der.
"Denn wer", so Zudeick, "den demokratisch-rechtsstaatlichen Begriff von 'Volk' wieder zu einem mythisch-biologistischen Begriff von Abstammungs-, Blut- und Schicksalsgemeinschaft umdeutet, hat Abgrenzung und Ausschluss bestimmter Gruppen im Sinn und will zurück zu aggressivem Nationalismus…" (S. 140), betont der Rezensent Armin Pfahl-Traughber.
Was Peter Zudeick nicht bedenkt, außer Acht lässt, liegt hier auf der Hand.
Der “demokratisch-rechtsstaatliche Begriff” von Volk, wie ihn das Grundgesetz - nicht wörtlich, aber dem Sinne nach - vorgibt.
Sowohl Allgemeine Staatslehre wie auch das Völkerrecht gehen von drei den Staat konstituierenden Bestandteilen aus:
Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt-
Das Staatsvolk wiederum basiert auf objektiven ( Abstammung) und subjektiven ( z. B. Zusammengehörigkeitsgefühl) Kriterien. Im Ergebnis bilden sie einen auf Dauer angelegten Personenverband, der zudem durch gemeinsame Werte (vgl. Zusammengehörigkeitsgefühl!) zusammen-
gehalten wird.
Zudeicks Offensive geht also in die Irre, wenn er Abstammungs - und Schicksalsgemeinschaft als “mythisch - biologistisch” verwirft. Wieso - so ist dagegen zu halten - sollten im Sinne von Staatslehre und Völkerrecht das objektive Kriterium “Abstammung” perspektivisch verzerrt als “mythisch - biologistisch” aufgefasst werden? Nur weil es Menschen gibt, die bloß dieser einen Perspektive zuneigen?
Ist nicht anders der Rekurs auf Abstammung eine rechtsstaatliche Konstante zur Bestimmung von Staatsangehörigkeit?
Und ist nicht Sozialisierung ohne Zusammengehörigkeitsgefühl soziologisch geradezu unmöglich? Eine Sozialisierung, die eben auch nationale Identität einschließt. Ohne dass das Einverständnis mit dem eigenen Staat, zu dessen Staatsvolk man sich zugehörig fühlt, aggressiven Nationalismus begünstigt. Ohne dass diese Orientierung, andere ausschließen müsste.
Und ist nicht auch die Einsicht, dass die Bürgerschaft im demokratischen Staat der Souverän ist, um sich überhaupt als Bürger eines Gemeinwesens zu fühlen, von ausschlaggebender Bedeutung ?
"Heimat", "Volk" und "Vaterland" - so der Titel des Buchs Wie schon der Rezensent bemerkt: “Dabei wird deutlich, dass die genannten Begriffe keineswegs notwendigerweise politisch "rechts" verortet sind. Gleichwohl dominiert in Deutschland eine solche Wahrnehmung”. Aber Differenzierung und Reflexion - über seine Tendenz hinaus - ist wohl nicht Sache Peter Zudeicks. KDL
little Louis am Permanenter Link
Das Theme unter einem ähnlichen Aspekt etwas vertiefer als in der obigen Rezension (!) behandelt:
(Aber Vorsicht: Etwa 30 Minuten Lesezeit):
https://www.rubikon.news/artikel/solidaritat-statt-offene-grenzen
Rudi Knoth am Permanenter Link
Nun in dem Artikel wurde ja auch die "Utopie" von Jakob Agstein genannt. Hier nochmal sein Text: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/einwanderung-ein-deutscher-traum-kolumne-a-1217379.html
little Louis am Permanenter Link
@ Rudi Knoth
Ich hatte den Text nach seinem Erscheinen schon gelesen. (Ich hatte die "freitag"-Print- Ausgabe sogar mal eine Wele abonniert.
Aber trotzdem Danke für den Hinweis.