Aktuelle Studie erschienen

Warum werden Frauen Dschihadistinnen?

Die beiden jordanischen Islamismus-Experten Hassan Abu Hanieh und Mohammad Abu Rumman legen mit "Dschihadistinnen. Faszination Märtyrertod" eine Studie mit Fallbeispielen zum Thema vor. Auch wenn es sich nicht um eine repräsentative Arbeit handelt und ein rundes, einfaches Ergebnis ausbleibt, werden anhand von konkreten Personen viele individuelle Entwicklungswege anschaulich aufgezeigt und untersucht.

Warum gibt es Dschihadistinnen? Oder anders formuliert: Warum werden Frauen gewaltorientierte Islamistinnen? Folgen sie nur dem Druck von Männern oder bewegen sie sich freiwillig in solchen Zusammenhängen? Antworten auf derartige Fragen münden nicht selten in Spekulationen. Auch die Boulevardpresse hat dazu mit Hinweisen auf sexuelle Komponenten beigetragen. Indessen bedarf es dazu seriöser Erklärungen, will man das damit einhergehende Gefahrenpotential differenziert einschätzen.

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Anregungen dazu liefert eine Studie, welche die beiden jordanischen Islamismus-Experten Hassan Abu Hanieh und Mohammad Abu Rumman vorlegten. Sie ist mit "Dschihadistinnen. Faszination Märtyrertod" überschrieben. Das klingt nach einem oberflächlich geschriebenen publizistischen Schnellschuss. Indessen ist die Arbeit seriöser als der Titel suggeriert. Denn die beiden Autoren haben die Entwicklung einiger Frauen genauer rekonstruiert und auch wenn hierbei nicht repräsentativ vorgegangen wurde, kamen sie dabei zu interessanten Befunden.

Zunächst liefern sie aber in einem mehr theoretisch ausgerichteten Teil wichtige Informationen, welche sich auf die Rolle von Frauen in islamistischen Organisationen beziehen. Dabei reicht der Blick zurück bis auf die Ära der ersten Dschihadistinnen und noch weiter bis in die Gründungszeit der Muslimbruderschaft. Besondere Aufmerksamkeit wird danach der Frage nach der Rolle von Frauen bei Al-Qaida und dem IS gewidmet. Hierbei stellt sich heraus, dass die letztgenannte Organisation in der Rekrutierung viel erfolgreicher war. Bei Al-Qaida sah man sich mehr einem traditionellen islamischen Frauenbild gegenüber verpflichtet, demgegenüber erkannten die IS-Strategen viel mehr die sich durch Frauen ergebenden neuen Möglichkeiten. Demnach habe es Dschihadistinnen schon Jahrzehnte lang gegeben, durch den IS sei das Phänomen aber stark angewachsen. Dabei handele es sich auch um eigenständige Entwicklungen: "Die Initiative für den Einsatz bei Selbstmordmissionen kommt überwiegend von den betroffenen Frauen" (S. 126) und ähnele der der Männer.

Den Kern der Studie bildet danach die Untersuchung mehrerer Fälle, welche die Entwicklung von Frauen sowohl aus arabischen wie europäischen Ländern bzw. den USA untersucht. Dabei betonen die Autoren, dass sie bei der Auswahl nach dem "Schneeball"-Verfahren vorgegangen sind und eine breitere Repräsentativität nicht beanspruchen würden. Auch müsse man generell mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein. Gleichwohl heißt es: "Die Anziehungskraft des IS für Frauen … besteht u. a. darin, dass er ein alternatives 'politisches Projekt' zum Leben in der westlichen Moderne und zu säkularen arabischen Regime anbietet" (S. 281). In vielen Fällen würden "emotionale, religiöse und politische Motive ineinander verschwimmen und die Betroffenen zu einem Lebenswendepunkt führen" (S. 282). "Und immer schwingt das Motiv der Identitätskrise mit; sie ist die andere Seite aller genannten Motive" (S. 282). Gleichwohl widersprechen die beiden Autoren ausdrücklich der Auffassung von einer "Gehirnwäsche", welche es sich viel zu einfach mache.

Demnach liefert die Arbeit nicht die einzige Erklärung für das Phänomen, welche es wohl auch angesichts der Komplexität des Untersuchungsthemas nicht gibt. Noch nicht einmal eine behauptete formal geringe Bildung scheint auszumachen zu sein: "Akademikerinnen stellen … einen großen Teil der Dschihadistinnen" (S. 283). Das fehlende einfache und runde Ergebnis mag manche Leser enttäuschen, es steht aber auch mehr als schlichte Monokausalität für die soziale Realität. Dass es sich hier die Autoren schwerer gemacht haben, spricht für ihr Wissenschaftsverständnis. Man mag zu manchen Aspekten anderer Auffassung sein, gleichwohl legen sie hier eine beachtenswerte Analyse zu einem bedeutsamen Thema vor. Sie macht auch deutlich, dass derartige Arbeiten von Sozialwissenschaftlern aus der arabischen Welt viel stärker zur Kenntnis genommen werden sollten. Insofern sei hier auch Anerkennung dem J. H. W. Dietz-Verlag und der Friedrich Ebert-Stiftung für die Publikation der Übersetzung gezollt.

Hassan Abu Hanieh/Mohammad Abu Rumman, Dschihadistinnen. Faszination Märtyrertod, Bonn 2018 (J. H. W. Dietz-Verlag), 299 S., ISBN 978-3-8012-0502-7, 22 Euro