Aus für Homöopathie-Werbung auf Charité-Seite – wer steckte dahinter?

Offiziell unbemerkt lautete jahrelang auf einer Internetseite der Berliner Charité – und zwar zur Behandlung krebskranke Kinder! – die Kernaussage: "Aus empirischer Sicht ist die Wirkung homöopathischer Höchstpotenzen unbestritten". Zugeordnet war sie der Abteilung für Integrative Medizin. Gestoppt wurde die Seite Anfang Juli auf Veranlassung des Berliner Senats. Der Urheber konnte nicht ermittelt werden. Dafür hat sich ein gewichtiger Globuli-Hersteller als Lobbyist wiederum über das Vehikel der Integrativen Medizin zu erkennen gegeben.

Vom Tagesspiegel wurde die alte Fassung der inzwischen geänderten Internetseite aus dem Cache von google veröffentlicht. Wie dort noch nachzulesen, wurde verbreitet, "dass die homöopathische Medizin auch bei schwersten Krankheitszuständen Heilung oder eine Verbesserung der Beschwerden bieten kann". Der Berliner Senat für Wissenschaft und Forschung ist für die Uniklink Charité als Aufsichtsbehörde zuständig. Die zunehmend in die Kritik geratene Seite sei, so ein Senatsprecher, entfernt worden, "um die Verbreitung von Fehlinformationen zu stoppen". Die Werbung für wirkungsfreie Globuli-Kügelchen widerspreche den Behandlungsmethoden der wissenschaftlich renommierten Klinik, die ihren Ruf dadurch gefährdet sehen könnte. Die Senatskanzlei habe nicht ermitteln können, wie es zu der Entstehung des wohl etwa zehn Jahre alten Webauftritts gekommen sei.

Portal MedWatch deckt falsche Heilsversprechen auf

Man distanziere sich "von der Meinung, dass Homöopathie in der kinderonkologischen Primärtherapie einen Platz hat", heißt es nun lediglich auf der Webseite der Klinik. Eine klare Distanzierung sieht anders aus und eine Fehlerananlyse findet nicht statt. Insbesondere im Bereich der Krebstherapie bei Kindern, so eine Charité-Sprecherin, gäbe es "immer wieder Anfragen von verzweifelten Eltern, die als Ergänzung zur standardisierten Therapie auch alternative Methoden einfordern". Dies sei "nachvollziehbar", werde von der Charité aber "nicht propagiert".

Es ist wesentlich der Aufdeckung durch das kritische Portal MedWatch zu verdanken, dass die skandalöse Seite gelöscht wurde. Zugeordnet war sie der Charité-Arbeitsgruppe "Integrative Medizin in der pädiatrischen Onkologie" (das heißt in der Kinderkrebsheilkunde). Deren Leiter Georg Seifert hat seine universitäre Lehrbefugnis mit einer Habilitationsschrift "Integrative Medizin in der Pädiatrischen Onkologie" erworben. Die umfangreichen Recherchen des Tagesspiegel ergaben: "Dafür erforschte er etwa, wie und ob Mistelextrakte sich auf Blutkrebs auswirken oder 'Eurythmietherapie bei Kindern mit Tumoren der hinteren Schädelgrube' anschlagen. 2011 veröffentlichte er eine Forschungsarbeit über den Gebrauch von Homöopathie in der pädiatrischen Onkologie in Deutschland." Die Erkenntnisinteressen von Prof. Seifert seien dahingestellt. Doch die sogenannte integrative Medizin eignet sich hervorragend, um für hochlukrative und dabei wirkungslose Globuli-Kügelchen Werbung zu machen.

Zauberwort "Integrative Medizin" als Türöffner

Schulmedizin und sogenannte Alternativmedizin integrativ zusammengefasst – wer wollte etwas gegen diesen vielversprechenden und beliebten Ansatz haben? So greift die Lobbyarbeit der Herstellerfirmen dieses positive Image auf. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie fordert, dass ihre homöopathischen Mittel auch in Zukunft von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden können und sie selbstverständlich apothekenpflichtig bleiben müssen. Dagegen hatte sich der G-BA-Vorsitzende Prof. Josef  Hecken ausgesprochen – der G-BA ist der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung von Ärzten, Therapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen.

Für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie postuliert dessen Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp: "Schulmedizin und Homöopathie gehören gleichermaßen zu den Therapiemöglichkeiten der ärztlichen Versorgung." Beide seien "als Teil einer integrativen Medizin anzuerkennen".

Dabei gelten die Gesetze der Massenproduktion, das heißt, die millionenumsatzträchtige Herstellung dieser Nicht-Arzneimittel verläuft vollmaschinell, längst wird natürlich nicht mehr alles liebevoll von Hand geschüttelt. Auch eine der zumindest nach einem Bericht noch halbwegs traditionellen Globuli-Hersteller mit 500 Mitarbeiter*innen (Jahresumsatz 100 Millionen Euro) bediente sich bereits 2011 hochkomplexer computergesteuerter Industrieverfahren.

Auseinandersetzung über Zusatzbezeichnung "Homöopathie" auf dem Ärztetag 2018

Es geht um eine unvereinbare Kontroverse: Sollen bei den Kriterien für eine anerkannte, krankenkassenfinanzierte Medikamentenbehandlung eher Wissenschaftsorientierung und – soweit als möglich – nachzuweisende Effizienz (Wirksamkeit) ausschlaggebend sein oder Glaubenssätze und Patientenwünsche? Die Position Pro-Homöopathie wird vom Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte und von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie vertreten, die Contra-Positon ("gegen die Mogelpackung esoterischer Heilslehre") vom Münsteraner Kreis. Die harsch geführte Debatte ist hier nachzulesen: www.aerztezeitung.de/pro-contra-homoeopathie

Auf dem Ärztetag 2018 wurde über die Seriosität suggerierende Zusatzbezeichnung "Homöopathie" für Ärzte und Ärztinnen abgestimmt. Dabei schlug Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery den – scheinbaren – Mittelweg vor, der dann auch die mehrheitliche Zustimmung der Delegierten auf dem Ärztetag fand. Diesen beschrieb er vorab gegenüber dem Bayerischen Rundfunk wie folgt:

"Es ist eine Tatsache, dass Homöopathie vielen Menschen hilft. Wichtig ist, dass es jemand macht, der weiß, wann sie nicht mehr helfen und dann auf normale schulmedizinische Verfahren umsteigen kann. Ich sehe die Homöopathie als eine komplementäre Medizin. In Verbindung mit guter medizinischer Ausbildung macht das Sinn."

Hier tritt das Vehikel der komplementären oder integrativen Medizin als Lobpreisung für die Homöopathe wieder in Erscheinung. Die Anerkennung durch einen Bundesärztekammerpräsidenten erfolgt gut 200 Jahre nachdem Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöpathie, das Aufgeben-Müssen seiner ärztlichen Praxis damit begründete: "weil sie mir mehr Aufwand gekostet, als Einnahme gebracht, und gewöhnlich mich mit Undank belohnt hat" (in einem Brief von 1791). Nach anschließendem wirtschaftlichen Erfolgen mit selbsthergestellten und vertriebenen Arzneien verkündete er schließlich seine Lehre von der Wirksamkeitspotenzierung durch besondere Verfahren des energetischen Schüttelns mit zunehmender Verdünnung der Substanzen, bis nicht die geringste Spur davon mehr übrig ist. Diese gegen jede Erfahrung gerichtete Behauptung stieß – anders als heute bei Millionen von Anhängern und Teilen der Arzteschaft – damals bei seinen Zeitgenossen und selbst  seinen Schülern auf ungläubige Ablehnung. Im Ergebnis geriet Hahnemanns Lehre lange Zeit in wohlverdiente Vergessenheit.   

Was soll Aufgabe der Integrativen Medizin sein?

Nun, im Jahr 2018 bleibt zunächst das Ärztetag-Fazit für die Integrative Medizin und Ärzte mit der weiterhin geltenden Zusatzbezeichnung "Homöopathie": Deren Wirksamkeit bliebe zwar nicht unumstritten, sei aber eine sinnvolle Hilfe für Menschen, bevor sie dann zu sogenannter Schlumedizin wechseln. Das gilt dann sicher auch für die schwer krebskranke Kinder im Sinne der inzwischen abgeschalteten Charité-Seite?

Dabei wird in einer aktuellen Studie davor gewarnt, dass bei Krebs blindes Vertrauen auf Alternativmedizin tödlich sein kann: "Kritisch wird es, wenn die Patienten der komplementärmedizinischen Behandlung als Alternative zur Schulmedizin so sehr vertrauen, dass sie auf notwendige Therapien verzichten." Bisher galt zudem der vernünftige Grundsatz: Wenn sich krebsbekämpfenden Maßnahmen als nur noch sinnlos und belastend erweisen, bietet sich als Alternative die Palliativmedizin an. Diese versteht sich ebenfalls als ganzheitliche Behandlung unter Einbeziehung seelischer, psychosozialer und auch spiritueller Aspekte – jedoch ohne Heilungsversprechen. Stattdessen bietet sie hochwirksame Linderung von Schmerzen und Beschwerden zum Erhalt der Lebensqualität an. Sinnvoll wäre es sicherlich, die Palliativmedizin schon frühzeitiger anzubieten, zumal sie durch die Stressreduktion und die Zuwendung nachweislich bewirken kann, dass sich Selbstheilungskräfte entwickeln und das Leben verlängern können.

Doch nun gilt vorerst als Grundorientierung im Sinn von allen, die davon profitieren (vor allem Pharma- und Apothekenbranche): Als Ergänzung zur Schulmedizin soll die Homöopathie tatsächlich mit Heilungsversprechen in Deutschland etabliert sein und bleiben. So wäre sie auch vom Bereich Integrative Medizin der Charité weiterhin zu stützen und die gelöschte Seite könnte eigentlich wieder ans Netz gehen.