Ein Sohn (60) hat jeweils aus Helium-Gasflasche, Schlauch und Maske eine Suizid-Vorrichtung für Vater (88) und Mutter (86) hergestellt, die gemeinsam sterben wollten. Am 31. Juli verhängte das Landgericht Bielefeld eine Bewährungsstrafe gegen ihn. Der Medizinrechtler Wolfgang Putz erklärt das komplizierte Rechtskonstrukt, welches dahintersteht.
Es scheint spektakulär und wurde unter dem Titel "Sohn baute für seine Eltern Selbstmord-Maschine" von der Bild reißerisch aufgegriffen. Dabei ist es gar nicht so selten, dass ein halbwegs praktisch begabter und internetkundiger Erwachsener einem Elternteil Hilfsmittel besorgt, mit denen sich dieser – bei Bedarf später – selbst das Leben nehmen könnte. Die Autorin kennt ähnliche Fälle. Eine Seniorin hatte einmal probeweise in entspannter Wohnzimmeratmosphäre vorgeführt, wie ein für sie vorbereiteter sanfter und schneller Freitod durch Einatmen von Helium gegebenenfalls zu begehen wäre. Würde sich die Person, die ihr alles besorgt und arrangiert hat, im Fall des Falles dann auch strafbar machen? Laut Titel einer der zahlreichen Presseberichte zum Bielefelder Sterbehilfeprozess stehe nun der "Sohn wegen Beihilfe vor Gericht" – wegen Beihilfe wozu (zur Sterbehilfe)? Bei einigen solcher Verwirrungen bedarf es der Richtigstellung durch juristische Expertise – dazu später.
Tatherrschaft des Vaters und Einsichtsunfähigkeit der Mutter
Beim beschuldigten Sohn, der alles offen zugab, handelt es sich um den 60-jährigen Frank B. aus Ostwestfalen. "Ich habe getan, was meine Eltern wollten, ich bin mit mir im Reinen", sagte er im Prozess vor dem Landgericht Bielefeld. Beide hätten "schon vor Jahren den Willen geäußert, gemeinsam aus dem Leben zu gehen". Er habe Gasflaschen mit Helium gekauft, zwei medizinische Masken bestellt und für die zuführenden Schläuche eine Halterung angefertigt.
Seine Mutter war inzwischen schwer dement und hilfebedürftig, der Vater aufgrund eigener Gesundheitsbeschwerden zunehmend mit der häuslichen Situation überfordert – für ihn kam allerdings eine Übersiedlung ins Pflegeheim nicht in Frage. Laut Prozess spielte sich das Geschehen im Januar 2024 so ab: Das Ehepaar – seit 50 Jahren verheiratet – hatte sich allein ins Schlafzimmer zurückgezogen. Dort gab der 88-Jährige zunächst seiner Frau (86) ein starkes Beruhigungsmittel und nahm auch eines selbst ein, setzte ihr und sich dann die Masken auf und öffnete den Hahn der Heliumflaschen, was zu einem schnellen Tod führte. Der eingeweihte Sohn, der sich in einem anderen Raum aufgehalten hatte, verständigte wenige Stunden später die Polizei. Frank B. gab an, das alles hätte er psychisch nicht durchgestanden, wenn er nicht fest davon überzeugt gewesen wäre, dass sich für beide Elternteile damit der dringende Wunsch nach einem gemeinsamen Tod erfüllt habe.
In einem Brief der Frau bereits aus dem Jahr 1995, der in das Verfahren eingeführt wurde, kamen ihre schon weit früheren Suizidgedanken zum Ausdruck. Das Gericht zeigte sich jedoch davon überzeugt, dass sie vor dem geplanten gemeinsamen Tod ihren Willen nicht mehr habe äußern können und aufgrund ihrer Erkrankung eindeutig einsichtsunfähig gewesen sei. Eingeräumt wurde zwar, dass das Paar in den Jahren zuvor offensichtlich immer wieder die Absicht zu einem gemeinsamen Lebensende bekundet habe. Der nach dem zeitgleichen Tod vorgelegte Abschiedsbrief ist aber nur noch vom Ehemann unterzeichnet worden.
Besonderheit der strafbaren Beihilfe des Sohnes
Dazu kommentiert der Rechtsanwalt von Frank B. am Rande des Prozesses: Wenn sich Eheleute, vertraut und harmonisch miteinander, "einig darin sind, falls es einem von uns mal so schlecht geht", dann müsse es doch möglich sein, dem anderen auch die Entscheidung dafür zu übertragen und es nicht "noch eine Unterschrift kurz vor dem Tod" dazu brauche.
Demgegenüber ist für den Medizinrechtler Wolfgang Putz im Sinne des Gerichts klar, dass der Vater sich des Totschlags schuldig gemacht und vorsätzlich den Beschluss dazu gefasst hat. Man kann bei ihm nicht von "mittelbarer Tatherrschaft" wie bei einer Suizidassistenz ausgehen, wenn nämlich die sterbewillige, aber nicht freiverantwortliche Person etwa eine tödliche Infusion unmittelbar selbst in Gang setzt. Putz macht deutlich, dass es sich hier auch nicht um einen klassischen sogenannten Doppelsuizid handelt – mit "einseitig tödlichem Ausgang, dem dann ein vollendeter Suizid des zuerst Überlebenden folgt." (in aller Regel des männlichen! Anm. d. A.) Für den nötigen aktuellen Willen zu sterben genüge es nicht, wenn die Person dies – egal, wie oft – früher kundgetan hatte.
Der Vater hat also ein schweres Delikt begangen: Totschlag gemäß Paragraf 212 Strafgesetzbuch kann – wenngleich kein Mord – mit lebenslanger Haft und muss mit mindestens fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Aber was bedeutet das für den angeklagten Sohn? Der komplexe Sachverhalt ist folgender: Es geht – durch das einströmende Helium – im selben Moment sowohl um die Selbsttötung des Ehemannes als auch um die Tötung der Ehefrau durch ihn. Der Sohn hat Beihilfe zu beiden Tötungshandlungen geleistet. Da der Vater hinsichtlich seines Suizides freiverantwortlich war, so ist die Beihilfe des Sohnes hierzu selbstverständlich straffrei. Die Tötung der Mutter durch den (verstorbenen) Vater ist gemäß Paragraf 212 StGB verboten, und zu diesem (!) Delikt hat der Sohn wissentlich mittels seiner Vorrichtung Beihilfe geleistet, was wiederum strafbar ist (wenngleich er beim Tatgeschehen nicht anwesend war).
Ohne die Besonderheiten dieses Falles macht sich also niemand strafbar, der ähnliche Beihilfe durch Beschaffung und Vorbereitung von Mitteln zu einem Freitod geleistet hat.
Mildes Urteil und Worte des Richters
Der pauschale Wunsch der Mutter aus früherer Zeit hätte für das Totschlagdelikt des nicht mehr belangbaren Vaters keine Bedeutung – scheinbar allerdings für das jetzt geringe Strafmaß des Sohnes. Dabei geht es bei ihm, anders als die oben genannten Pressetitel suggerieren, weder um unzulässige Hilfe zum Suizid (wie bei einer kürzlich rechtskräftig gewordenen dreijährigen Gefängnisstrafe für einen ärztlichen Sterbehelfer) noch gar um einen doppelten "Selbstmord", wie Bild schrieb. Das Urteil wegen Beihilfe zum Totschlag (durch den Vater) fiel für den Sohn mit 18 Monaten auf Bewährung milde aus (vier Monate weniger als der Staatsanwalt – ebenfalls zur Bewährung – gefordert hatte). Im Strafmaß, resümiert Wolfgang Putz, "musste das Gericht den Spielraum der gesetzlichen Strafdrohung ausnutzen, um allen Aspekten des Falles gerecht zu werden."
Der Vorsitzende Richter Christoph Meiring sprach von Tragik und fand persönlich mitfühlende Worte für den Angeklagten. Rechtliche und moralische Bewertungen würden in diesem Fall miteinander konkurrieren. "Aktive lebensverkürzende Maßnahmen durch Dritte sind aber eindeutig verboten", sagte er bei der Urteilsverkündung – dabei auch auf sich wandelnde Wertvorstellungen in der Gesellschaft eingehend: Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod und Hilfe dazu sei verständlich. Begangenes Unrecht im juristischen Sinne müsse allerdings klar benannt und angeklagt bleiben, wozu in diesem Fall die geringe Strafe aber ausreiche – auch wegen mangelnder Wiederholungsgefahr.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger hatte Freispruch gefordert, ob er Rechtsmittel einlegt, blieb noch offen.







3 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Bei derartigen Umständen sollten sich Gerichte heraushalten, es sollte endlich auch ein eindeutiges Verfahren zur gewollten Selbsttötung geben, dies wäre Selbstbestimmung wie
Kein Mensch kann gefragt werden ob er geboren werden will, aber seinen Tot sollte jeder selbst bestimmen können.
Christian Walther am Permanenter Link
Diesem sehr konkreten und an der Rechtslage klar orientierten Beitrag möchte ich zwei Punkte hinzuzufügen: Erstens, das Problem der zunehmenden Zahl Demenzkranker (übrigens auch ein wirtschaftliches) wird uns nicht me
Aber solch eine Vorausverfügung bedeutet nicht nur, dass man anderen damit eine Aufgabe überträgt, die man eigentlich selber „erledigen“ könnte und die den dann Betroffenen menschlich wie moralisch schwer fallen könnte. Es bedeutet in Deutschland auch, dass mangels der Einsichtsfähigkeit des Patienten kein assistiertet Suizid, sondern nur ein Totschlag (oder theoretisch eine vorausverfügte Tötung auf Verlangen) in Frage kommt. Am Grundsatz strafrechtlicher Verbote dieser Handlungsweisen sollte NICHT rüttelt werden! Dies würde auch der Bewegung pro assistierter Suizid nicht guttun, ggf. politisch schaden und: dem BVerfG-Urteil zum §217 StGB zuwiderlaufen! Sicherlich sollten - wie im beschriebenen Fall - Gerichte auch künftig bei ihrem Urteil mildernde Umstände in vollem Umfang berücksichtigen.
Christian Walther, Marburg
Gita Neumann am Permanenter Link
Nachtrag: Das Urteil des Landgerichts Bielefeld ist jetzt rechtskräftig.