Bundeswehr

Missionierung staatlich erwünscht

Appelle vor einem "lebensgroßen" Holzkreuz und christlich geprägter Lebenskundlicher Unterricht – die Bundeswehr scheint ein Ort der Missionierung zu sein. Lehnt das jemand ab, wird er nicht ernst genommen und muss sogar mit Schikane rechnen. Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten der Bundesregierung liest man davon nichts. Aus Dokumenten, die dem hpd vorliegen, ergibt sich jedoch eine schockierende Missachtung der negativen Religionsfreiheit.

Ralph Knauf (56) ist Soldat. Genauer gesagt: Oberstleutnant und Rüstungskontrollstabsoffizier. Seit 27 Jahren ist er bei der Bundeswehr. Getauft wurde er nie, gegenüber Religion war er immer indifferent eingestellt, wie er sagt. Er habe sogar zehn Jahre lang in einem katholischen Kirchenchor im Allgäu gesungen, mangels Alternative. Heute wäre das für ihn undenkbar. Über einen kirchenkritischen Kommentar bei Spiegel Online gelangte er im Jahr 2015 erstmalig zum hpd, der ihn wiederum auf "Die Kriminalgeschichte des Christentums" von Karlheinz Deschner brachte. Das änderte seine Sicht auf den christlichen Glauben von Grund auf. Die indifferente wurde zu einer ablehnenden Haltung.

Etwa zur gleichen Zeit wurde das schlichte Birkenkreuz auf dem Appellplatz seiner Kaserne in Geilenkirchen durch ein "lebensgroßes" Eichenkreuz ersetzt. "Damit meine ich: es ist so groß, dass man dort wirklich jemanden kreuzigen könnte", sagt Knauf. Bei jedem Appell sei er gezwungen gewesen, auf dieses Folter- und Mordwerkzeug zu blicken, daneben befand sich auch noch eine Glocke mit religiöser Inschrift. Das sei nach der Deschner-Lektüre unerträglich für ihn gewesen. Immer habe er an die grausamen Verbrechen denken müssen, die im Namen dieser Religion verübt wurden. Das Kreuz stehe gegen alle Werte, die er schützen wolle: "Ich wurde Soldat, um Menschheitsverbrechen zu verhindern, wie sie 1.600 Jahre lang im Zeichen dieses Kreuzes verübt wurden." Folter zu verhindern, sei eine der Triebfedern gewesen, warum er seinen Beruf wählte. Das Kreuz aber stehe gegen die Würde des Menschen, deren Verteidigung er in seinem Eid geschworen habe. In der jetzigen Situation werde er "ständig daran erinnert, dass das Kreuz und die dahinter stehende Ideologie die Werte unseres Grundgesetzes (…) auf das Schärfste verletzen".

Das brachte ihn Anfang 2017 dazu, die Entfernung des etwa drei Meter großen Eichenkreuzes und aller anderen religiösen Symbole auf dem Gelände der Selfkant-Kaserne zu beantragen. Dies wurde abgelehnt. Also beantragte er, dass er "solange das Kreuz auf dem Antreteplatz steht, von Appellen, die auf dem Antreteplatz stattfinden, wegen Unzumutbarkeit von der Teilnahme befreit werde". Es sei ihm "nur unter stark negativem psychischen Druck möglich, während eines Appells eine halbe Stunde oder länger in Richtung dieses Symbols der Menschenverachtung, des unsäglichen Leids der Millionen namenlosen Opfer, die im Zeichen dieses Kreuzes gequält und gewaltsam zu Tode gebracht wurden, zu starren". Er verspüre dabei gar "echte Übelkeit". Dieser Antrag wurde ebenfalls zurückgewiesen, mit der Begründung, Oberstleutnant Knauf habe das große Holzkreuz bisher immer klaglos hingenommen. Das sei so auch richtig, räumt der Beschwerdeführer ein – bisher habe er ja auch nichts von der Kriminalgeschichte des Christentums gewusst. Knauf habe diesen Konflikt bis dato ausgehalten, schreibt sein Vorgesetzter, und diesen gelte es jetzt auch weiter auszuhalten. Der Geschädigte empfindet das als respektlos. Auch sein Wunsch, dann wenigstens während der Appelle von der vorgesehenen Gleitzeitregelung Gebrauch machen zu dürfen, wurde abgelehnt. Im Gegenteil zwang man den Soldaten mit der Kreuz-Aversion, weiterhin an den Appellen teilzunehmen, während anderen Kameraden ein Teilzeitausgleich innerhalb dieser Zeit durchaus gewährt wurde. Für den Oberstleutnant ist das Schikane, Demütigung und Machtmissbrauch. "So schlecht hat mich in der Bundeswehr noch nie jemand behandelt", findet Rüstungskontrollstabsoffizier Knauf.

Durch diese Situation sieht er sich in seiner Sichtweise bestätigt, dass eine echte Durchsetzung der Trennung von Staat und Kirche dringend notwendig sei. Schließlich seien mit der Wende auch die Parteien aus den Kasernen verbannt worden. Als er in der NVA Dienst tat, seien Parteiversammlungen in der Dienstzeit noch üblich gewesen. Heute sei nicht einmal ein Autoaufkleber mit einem Parteiensymbol zulässig. Ähnlich sollte es mit den Religionen gehandhabt werden, führt Ralph Knauf aus. Ein Kreuz dieser Präsenz sei "ein eindeutiges Zeichen, welches die herrschende und die gewünschte Religion, die herrschende und die gewünschte Ideologie der hier Beschäftigten sein soll". Auch die zweite Beschwerde wurde abgelehnt. Es wurde lediglich die Antreterichtung auf dem Appellplatz geändert, nicht aber das Kreuz entfernt, sodass er weiter buchstäblich "unter dem Kreuz" dienen musste.

Das brachte Ralph Knauf dazu, sich beim Wehrbeauftragten der Bundesregierung, Hans-Peter Bartels (SPD) zu beschweren. Ihm wurde in Aussicht gestellt, dass er sich bis zu der von ihm angeforderten Stellungnahme noch ein halbes Jahr würde gedulden müssen. Also fing er selbst an, die Gesetzeslage zu prüfen. Dabei stieß er auf Erstaunliches: Das Grundgesetz sieht zwar vor, dass "Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen" sind, sollte in öffentlichen Anstalten ein "Bedürfnis" danach bestehen, jeder Zwang sei allerdings fernzuhalten. Ganz anders hört sich das in der "Zentralen Dienstvorschrift" an: Hier heißt es über die Militärseelsorge, sie sei ein "vom Staat gewünschter und unterstützter Beitrag zur Sicherung der freien religiösen Betätigung" und stelle sich die Aufgabe, unter Wahrung der freiwilligen Entscheidung des einzelnen das religiöse Leben zu wecken, zu festigen und zu vertiefen."

Interessant ist auch die Beschreibung der Aufgaben der Militärseelsorge im Jahresbericht für 2017 des Wehrbeauftragten der Bundesregierung: In einem "säkularisierten Umfeld" biete die Militärseelsorge allen Soldaten "Orientierung und Hilfe" an. Und: "Bei allen Bestrebungen der katholischen und der evangelischen Militärseelsorge, unabhängig vom Glauben für alle Soldaten offen zu sein, ist die Militärseelsorge keine weltanschaulich beliebige Institution. Ihre Arbeit fußt auf den Grundlagen des Christentums. Nicht selten finden Soldaten erst während ihrer Dienstzeit zum christlichen Glauben. Davon konnte sich der Wehrbeauftragte unter anderem bei seiner Teilnahme an der Soldatenwallfahrt nach Lourdes überzeugen." Missionierung in der Bundeswehr scheint also gängige Praxis und auch von höchster staatlicher Instanz erwünscht zu sein.

Im März letzten Jahres kam dann ein weiterer Vorfall hinzu: Im "Lebenskundlichen Unterricht", der für alle Soldaten in der entsprechenden "Zentralrichtlinie" verpflichtend vorgeschrieben und fest in christlicher Hand ist – die Lehrer sind Militärseelsorger­ –, wurde das Thema "Ist der Islam mit der Moderne vereinbar?" behandelt. Oberstleutnant Knauf bereitete sich gründlich auf die Stunde vor und meldete sich mehrfach kritisch zu Wort, argumentierte mit Thesen von Autor und Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad zum Koran und zog Vergleiche zur Bibel. So soll er den Ablauf des Unterrichts gestört und religiöse Gefühle von Kameraden verletzt haben. Daraufhin beschwerte sich die diensthabende Militärpfarrerin über ihn, was eine "Erzieherische Maßnahme", vergleichbar mit einer Abmahnung, nach sich zog. Sein Einspruch dagegen wurde abgelehnt.

An diesem Punkt war für den Rüstungskontrollstabsoffizier die Schmerzgrenze erreicht. Er wandte sich ans Institut für Weltanschauungsrecht (ifw), das ihn unterstützte und einen Anwalt vermittelte, um vor dem Truppendienstgericht zu klagen. Sein Verteidiger wehrt sich gegen die Zulässigkeit der Erzieherischen Maßnahme und stellt die Verfassungsmäßigkeit des Lebenskundlichen Unterrichts aufgrund der Verpflichtung des Staates zu weltanschaulicher Neutralität grundsätzlich in Frage: "Der Staat ist nicht befugt, lebenskundlich-ethisch-gesellschaftliche Themen vor dem Hintergrund einer spezifischen Religion zu erörtern". Eine entsprechende Sonderregelung wie für den Religionsunterricht an Schulen gebe es im Wehrrecht nicht. Hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.

Was das lebensgroße Eichenkreuz auf dem Appellplatz in Geilenkirchen angeht, so war es vergangenen September auf einmal verschwunden – es sei durch einen Unfall beschädigt und an anderer Stelle wieder aufgestellt worden. Dadurch ist die direkte Präsenz während des Appells nicht mehr gegeben und somit nicht der Beschwerdegrund, auch wenn dieses und andere religiöse Symbole nicht generell vom Kasernengelände entfernt wurden. Zufall oder geschickter Schachzug? Man weiß es nicht.

Der eigentliche Skandal an der ganzen Geschichte ist aber, dass im Jahresbericht des Wehrbeauftragten Folgendes zu lesen ist: "Eingaben von Soldatinnen und Soldaten, die ihr Grundrecht auf freie Religionsausübung verletzt sahen, gab es im Berichtsjahr ebenso wenig wie Beschwerden über die Arbeit der Militärseelsorge." Die negative Religionsfreiheit scheint hier völlig außer Acht gelassen zu werden – oder die erfolgten Beschwerden durch Oberstleutnant Knauf wurden schlicht ignoriert.