Am Mittwoch wurde in Berlin der "Deutsche Kitaverband" gegründet

"Erzieherinnen haben einen Bildungsauftrag – keinen Verkündigungsauftrag!"

Konfessionelle Träger stellen derzeit mehr als die Hälfte aller nichtstaatlichen Kitaplätze. Bislang hatten kleinere gemeinnützige oder privatgewerbliche Anbieter bundesweit kaum eine Chance, sich gegen das "bilaterale Kartell" des Staates und der großen Wohlfahrtsverbände durchzusetzen. Mit der am Mittwoch erfolgten Gründung des "Deutschen Kitaverbandes", der sich für freie, unabhängige Träger einsetzt, könnte sich dies ändern.

Waltraud Weegmann, Geschäftsführerin der Konzept-e für Kindertagesstätten gGmbH in Stuttgart, die von den 18 Gründungsmitgliedern des neuen Verbandes zur Vorsitzenden gewählt wurde, erklärte dazu: "Endlich gibt es eine Vertretung der freien unabhängigen Kita-Träger auf Bundesebene. Es ist ein toller Erfolg, dass wir auf Anhieb 20.000 Kitaplätze repräsentieren. Wir vertreten kleine, mittlere und große Träger gleichermaßen und haben eine gute regionale Mischung. Das ist eine sehr gute Basis, auf der wir aufbauen und weiter machen wollen."

Während der zweitägigen Gründungsveranstaltung kamen 80 Trägervertreter aus ganz Deutschland in der Berliner Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung und im Deutschen Bundestag zusammen. Die Themen Vielfalt, Gleichberechtigung und Qualität in der Kita-Landschaft wurden aus philosophischer, ökonomischer und politischer Sicht diskutiert. Gesprächspartner waren der Schriftsteller und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Dr. Michael Schmidt-Salomon, Prof. Dr. Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln sowie die Bundestagsabgeordneten Grigorios Aggelidis (FDP), Norbert Müller (Die Linke), Sönke Rix (SPD) und Marcus Weinberg (CDU).

Beispielbild
Diskussion im Deutschen Bundestag – Foto: © Evelin Frerk

Der Eröffnungsvortrag, den Michael Schmidt-Salomon bei der Gründungsversammlung in Berlin hielt, war aus säkularer Perspektive besonders interessant. Denn der gbs-Vorstandssprecher kritisierte nicht nur die staatlich geförderte Dominanz konfessioneller Träger, die auf einer groben Missachtung fairer Wettbewerbsregeln beruht und gegen die Interessen vieler Eltern verstößt. Er thematisierte auch den damit einhergehenden Verstoß gegen die Rechte der Kinder auf solide Bildung. Denn Kinder haben, so Schmidt-Salomon, "ein Anrecht darauf, vorurteilsfrei in die Welt eingeführt zu werden, die Tatsachen des Lebens zu erfahren und verschiedene Perspektiven kennenzulernen, mit deren Hilfe sie später ihre eigene Sicht der Dinge entwickeln können, ohne von vornherein ideologisch in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden." Daher sei es "die vornehmste Bildungsaufgabe des Staates, allen Kindern, gleich aus welcher Familie sie stammen, im Namen der Chancengleichheit Zugang zu Wissensquellen zu verschaffen, die ihnen in ihrem Elternhaus womöglich verschlossen bleiben." Professioneller pädagogischer Arbeit müsse es um das Wohl der Kinder gehen, nicht um die Verkündigung religiöser oder weltanschaulicher Heilslehren. 

Interessanterweise stieß Schmidt-Salomon mit dieser Argumentation bei den versammelten Kita-Verantwortlichen auf breite Zustimmung. Nur der Vertreter eines evangelikal ausgerichteten Kitaträgers protestierte vehement, da er sich das Recht, "den Samenkorn des Glaubens in kleine Herzen zu pflanzen", nicht nehmen lassen wollte. In der anschließenden Diskussion verdeutlichte Schmidt-Salomon daher noch einmal die Unterschiede zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern, dem Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften und dem Bildungsauftrag des Staates, der Kinder als eigenständige Individuen behandeln müsse – nicht als Träger einer wie auch immer gearteten Familienidentität. Es gehe darum, den Kindern das beste Wissen zu vermitteln, das uns zur Verfügung steht, so dass sie später ihren eigenen Standpunkt entwickeln können. Dies sei die entscheidende Differenz zwischen Bildung und weltanschaulich-religiöser Manipulation. "Erzieherinnen haben einen Bildungsauftrag – keinen Verkündigungsauftrag", lautete Schmidt-Salomons Kernargument, das dem christlichen Vertreter im Publikum offenbar so wenig gefiel, dass er die Gründungsversammlung unverrichteter Dinge wieder verließ. 

Es ist zu hoffen, dass der neu gegründete Deutsche Kitaverband aus dieser Episode die richtigen Schlüsse zieht: Er sollte sein Profil keineswegs verwässern, sondern vielmehr schärfen, um sich zu einer echten Alternative zu den dominanten konfessionellen Trägern entwickeln zu können. Denn nur durch ein säkulares, rationales, evidenzbasiertes und weltanschaulich neutrales Profil lässt sich eines der wesentlichen Ziele des Verbandes erreichen, nämlich die Verbesserung der Qualität frühkindlicher Bildungssysteme. Würde der Verband tatsächlich Träger aufnehmen, die den Kindern kreationistische Fehlvorstellungen vermitteln, so würde er diese Chance verspielen, was der Glaubwürdigkeit des neu gegründeten Verbandes mittel- und langfristig sehr schaden würde. 

"Die allermeisten Eltern in Deutschland", so Schmidt-Salomon in seinem Vortrag, "erwarten von einer guten Kita keine Glaubensmission, sondern eine professionelle pädagogische Arbeit, einen Ort, an dem sich ihre Kinder wohl fühlen und frei entfalten können, an dem sie etwas über sich und die anderen erfahren und an dem sie Fähigkeiten lernen, die ihnen später helfen werden, ihren eigenen Platz in der Welt zu finden." Sollte der Deutsche Kitaverband diese Erwartungen erfüllen, dürfte er große Wachstumspotentiale haben. Immerhin misstrauen nach einer breitangelegten Studie aus dem Jahr 2016 über 80 Prozent der 18–34jährigen in Deutschland ausgerechnet jenen religiösen Institutionen, die derzeit noch mehr als die Hälfte aller nichtstaatlichen Kita-Plätze stellen.