Der von den Sozialwissenschaftlern Karina Becker, Klaus Dörre und Peter Reif-Spirek herausgegebene Sammelband "Arbeiterbewegung von rechts? Ungleichheit – Verteilungskämpfe – populistische Revolte" enthält Aufsätze zur Erklärung der positiven Einstellung nicht weniger Arbeiter zum Rechtspopulismus. Wie dies bei vielen Sammelbänden so ist, geht es häufig thematisch durcheinander, aber es gibt viele analytische Rosinen zum Rauspicken mit hohem Erkenntnisgewinn.
Der Blick auf die Ergebnisse der Wahlforschung macht deutlich: Parteien wie die "Alternative für Deutschland" (AfD) werden überdurchschnittlich stark von Arbeitern und Arbeitslosen, aber auch bemerkenswerterweise von Gewerkschaftsmitgliedern gewählt. Derartige Besonderheiten lassen sich bei ähnlichen Parteien in Europa konstatieren, gilt dies doch auch für die "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) oder die "Schwedendemokraten" in dem skandinavischen Land. Doch was bedeutet dies für die Gesellschaft und Gewerkschaften? Gibt es eine "Arbeiterbewegung von rechts?"
So lautet auch der Titel eines Sammelbandes, der von Karina Becker und Klaus Dörre vom Kolleg "Postwachstumsgesellschaften" von der Universität Jena und Peter Reif-Spirek von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen mit dem Untertitel "Ungleichheit – Verteilungskämpfe – populistische Revolte" herausgegeben wurde. Die 21 Aufsätze von Sozialwissenschaftler bewegen sich inhaltlich im Verhältnis der drei Themen zueinander.
Darin geht es zunächst um die Frage, was für die Arbeiterschaft attraktiv am Populismus ist. Die Soziologin Arlie Russell Hochschild hatte in den USA die Trump-Wähler besucht und ein viel beachtetes Buch dazu geschrieben. Einem Interview mit ihr folgt ein Kommentar dazu. Bereits dabei wird eine argumentative Leitlinie vieler Beiträge deutlich, stellt man doch auf die Aufspaltung der Gesellschaft angesichts der Transformation des Kapitalismus ab. Mitherausgeber Dörre meint in seinem Beitrag darüber hinaus, die angesprochenen "rechten" Kräfte gewinnen an Einfluss, weil es ihnen "zunehmend gelingt, die soziale Frage mit ethnopluralistisch-nationalistischen Deutungsmustern zu besetzen" (S. 51). Daher spielt in vielen Aufsätzen auch die Frage eine Rolle, warum die Linke diese Wählerklientel nicht mehr ansprechen würde. Für das gemeinte politische Phänomen schlägt der Begründer der Forschungen zu "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" Wilhelm Heitmeyer dann übrigens die Kategorie "Autoritärer Nationalradikalismus" (S. 110) vor.
In den folgenden Beiträgen geht es um empirische Befunde, etwa zu dem Zusammenhang von einerseits AfD und Rechtspopulismus und den Lebenslagen eines jungen Prekariats andererseits, zu arbeitsweltlichen Entwicklungen in den Betrieben als Nährborden für den Rechtspopulismus, zu den Gesellschaftsbildern rechtspopulistischer Gewerkschaftsaktiver oder den Umgang der Gewerkschaften mit dem Rechtspopulismus. Beachtenswert ist der Befund, dass "nicht die soziale Frage neu verhandelt, sondern der Angst vor dem Abstieg Ausdruck gegeben" (S. 153) wird. Eher wenige, aber interessante Beiträge blicken auf die Situation in anderen Ländern wie Österreich, Polen und Portugal. Im letztgenannten Fall wird auch mal die andere Perspektive eingenommen: Warum gibt es dort keinen erfolgreichen Rechtspopulismus? Und ganz zum Schluss finden sich Beiträge, worin es um die Frage der Identitäts- und/oder Klassenpolitik als Gegenstrategie geht. Kritisch werden hier beliebte Irrwege im Umgang mit Rechtspopulismus kommentiert.
Auch wenn sich die Aufsätze im Sammelband auf einen identischen Themenkomplex beziehen, passen sie häufig dann doch nicht so richtig zusammen. Da kommt es häufig zu unterschiedlichen Begriffsverwendungen, aber auch zu Wiederholungen von Inhalten. Manche Beiträge verstehen sich als wissenschaftliche Untersuchungen, andere Texte erörtern die richtigen Strategien der Linken gegen Rechtspopulismus. Insofern hat man es – nicht selten bei Sammelbänden – mit einem ziemlichen Durcheinander zu tun. Gleichwohl findet man darin auch eine Fülle von wichtigen Analysen, die sich eben mit der Anfälligkeit von Arbeitern und Gewerkschaftlern für den Rechtspopulismus beschäftigen. Dabei werden differenzierte Detailanalysen vorgenommen, aber auch pauschalisierende Generalaussagen getroffen. Insofern muss man sich hier immer auch die Rosinen herauspicken. In der Gesamtschau verdient der Band aber auf jeden Fall inhaltliche Beachtung, geht er doch auf die soziale Basis und die dortigen Einstellungen zugunsten des Rechtspopulismus ein.
Karina Becker/Klaus Dörre/Peter Reif-Spirek (Hrsg.), Arbeiterbewegung von rechts? Ungleichheit – Verteilungskämpfe – populistische Revolte, Frankfurt/M. 2018 (Camus-Verlag), 359 S., ISBN 9783593509716, 24,95 Euro
1 Kommentar
Kommentare
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Man fragt sich wieso es keinen linken Populismus gibt.
Wenn Populismus heisst, die Themen die der Masse wichtig sind aufzugreifen und zu bearbeiten, so gibt es aktuell mit der AfD tatsächlich nur eine Partei die in den Parlamenten ist und thematisch nicht an den Menschen vorbei arbeitet. Über die Qualität von deren Lösungsvorschlägen ist damit noch nichts gesagt...
Die Vorliebe des linken Spektrum sich als Beschützer von Minderheiten zu gerieren führt in Teilen des linken Spektrums dazu, dass diese meiner Meinung nach zu Recht als ohne Interesse an dem Leben und Themen der Bevölkerungsmehrheit und wohl auch als Feind davon wahrgenommen werden.
Wenn der Beschützerinstinkt gegenüber Minderheiten vermittels Kulturrelativismus (Menschenrechte sind abzulehnender westlicher Imperialismus) und "Feinde des Kapitalismus sind unsere Freunde" dazu führt, dass dem politischen Islam das Wort geredet wird, so wenden sich eben viele an einem Erhalt des status quo interessierte Menschen die dies nicht für tolerabel halten vom linken Spektrum ab und versuchen es mit der AfD... keine positive Entwicklung, aber verständlich.