Moderner Gottesdienst:

Umgebauter Geldautomat predigt und segnet

Digitalisierung ist die große neue Herausforderung! Für Konzerne, Parteien und Glaubensgemeinschaften gilt gleichermaßen: Nur, wer sich auf den neumodischen Schnickschnack einlässt, wird morgen noch einen Platz auf der Bildfläche finden. Ein Damoklesschwert, insbesondere im Nacken jener, die sich ohnehin schon "konservativ" schimpfen. Und wer den Aufsprung bislang nicht gewagt hat, bekommt dieser Tage die allerletzte Chance, sich ins elektronische Neuland vorzutasten.

Dass man den Anschluss zum 21. Jahrhundert zu verlieren droht, dämmerte letztlich auch den christlichen Akteuren, was unter anderem zu WLAN-Hotspots ("Godspots") in Kirchen und Klingelbeuteln mit EC-Kartenzahlung veranlasste und den Papst höchstpersönlich zur versöhnlichen Geste bewog, der entfremdeten Jugend von heute einen gottgefälligen Pokémon-Go-Klon zu bescheren. Wer jetzt noch nicht verstanden hat, dass das Christentum hip, cool und fresh geworden ist, möge sich anschnallen. Denn der Prediger von morgen ist ein Androide.

"Bless U-2" spricht sieben Sprachen, wahlweise in einer männlichen oder weiblichen Stimmlage, und kennt mehr Segensworte und Bibelsprüche auswendig als die meisten seiner kohlenstoffbasierten Kollegen. Dank einer rudimentären künstlichen Intelligenz kann er ganze Prozessionen abhalten und ganze Menschenmassen mit perfekt auf sie zugeschnittenen Versen geradezu wegpredigen. Und während der Segen ausgesprochen wird, leuchten sogar seine Hände auf. Der Wunderkasten – ein getunter Bankautomat – könnte womöglich eine unmögliche Brücke zwischen Traditionalismus und Innovation schlagen. Vielleicht war das der Hintergedanke des Theologen Dr. Fabian Vogt, als er die Idee seines 13-jährigen Sohnes realisierte. Und selbst für die Religionskritiker hat der Roboter einen Segen parat. Einen Geldsegen. Denn an steuerfinanzierten Top-Gehältern ist der Kasten nicht interessiert.

Doch nicht so voreilig. Es regt sich auch Widerstand. Die Theologie-Professorin Illona Nord beispielsweise zweifelt: "Kann eine Maschine einen wirksamen Segen aussprechen?" Eine sehr, sehr gute Frage, welche die empirischen Religionswissenschaften sicher noch einige Jahre beschäftigen wird. Bislang hat die Forschung noch keine konklusiven Ergebnisse hervorgebracht.

Nun hatte Bless U-2 auch in Hamburg die Gelegenheit bekommen, einen Gottesdienst zu leiten und verwandelte diese kurzerhand in eine regelrechte LAN-Party. Rund 400 Besucher lockte er in die St. Nikolai Hauptkirche, und 400 weitere Interessenten schalteten sich per Smartphone-App live dazu. Doch "die Diskussion im Vorfeld habe gezeigt, dass die Maschine vor allem für traditionelle Kirchgänger befremdlich sei", räumte Pastorin Corinna Senf ein. Dass sich im Nachgang an den Gottesdienst eine wütende Protestgruppe um den Androide formierte, illustriert die reaktionären Reaktionen, mit denen sich aber wohl jede Innovation im Anfangsstadium herumplagen muss.

"Das fühlt sich echt komisch an. Gesegnet fühle ich mich aber nicht", rezensierte eine Studentin ihre Begegnung mit Bless U-2, welche an der Universität Würzburg die Erfahrung machen durfte – wo auch Professorin Nord lehrt. Diese wägt ab: "Tablets im Religionsunterricht, Glaubensbotschaften auf Twitter, WhatsApp in der Gemeindearbeit: Solche und viele weitere digitale Kommunikationswege werden heutzutage von den meisten Konfessionen genutzt, ohne dass sich daran Kritik entzündet." Warum dann einem Cyber-Priester das Leben schwer machen?

Hat diese Technologie überhaupt eine Chance? Vielleicht. Ein Indiz wäre da zum Beispiel "QT". Die nächste Generation von "Bless U-2", der mit etlichen Verbesserungen aufwarten kann. Insbesondere sieht er knuddeliger aus als sein eher angsteinflößendes Vorgängermodell.