Der Vatikan klont "Pokémon Go" und lässt Heilige sammeln

Der Gott hinterm Busch

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"Pokémon Go"-Wesen sind zwar nicht überall, aber dort, wo man sie findet, unendlich oft vorhanden. Grundstein für eine Theologie?

Was du nicht besiegen kannst, das musst du dir zum Freund machen. Die katholische Kirche hat jetzt diese Weisheit beherzigt und den Kampf Gott gegen Pokémon erst einmal aufgegeben. Gott hatte, mit seinen bisherigen Skills "Unsichtbarkeit" und "Kampfstärke Null", keine Chance gegen all die kleinen, bunten, lustig herumwuselnden und muntere Battles austragenden Pokémon-Figuren, die man aber immerhin ja sehen kann – die Spiel-App auf dem Smartphone vorausgesetzt.

Apps auf Smartphones haben schon vieles, was sich den Sinnen eigentlich entzieht, erfahrbar gemacht: Mit dem Handy in der Hand kann man etwa, im Wohnzimmer sitzend, über sich den aktuellen Sternenhimmel bestaunen. Mit der Wasserwaagen-App levelt man sich selbst hoch und gewinnt den Supersinn für Schwerkraft und korrekte Ausrichtung hinzu. Nichts ist unmöglich im Reich der Handybenutzer, und so öffnet sich nun auch die Kirche den neuen technischen Möglichkeiten, welche Forschung, Wissenschaft und Programmiertätigkeit eröffnet haben: Der Vatikan, kein Witz, veröffentlicht eine Klonversion des größten Computerspiel-Hypes aller Zeiten – Pokémon Go.

Es ist nicht lange her, da ging die Kirche mit Hilfe verbandelter Gesetzgebung und Justiz in den Abwehrkampf Gottes gegen die kleinen Biester. In Russland jedenfalls. Für das Fangen von Pokémon in einer Kirche hat sich dort ein Blogger eine empfindliche Gefängnisstrafe eingefangen. Schlimm schon allein, dass er auf die virtuellen Gäste aufmerksam gemacht hat, huh! Unsichtbare, ausgedachte Wesenheiten mitten in der Kirche Gottes und des Heiligen Geistes?? Was für ein Malheur! Der Neid auf die fast schon andächtige Konzentration von Pokémonsammlern muss die Prediger ordentlich gepiekst haben. So bringen sie also nun, und das haben wir uns wirklich nicht ausgedacht, ein eigenes Kirchen-Pokémon-Go heraus: "Follow Jesus Christ Go". Hier sind die kleinen schnuckligen Kampfdämonen abgelöst worden von garantiert echten Heiligen des garantiert echten Gottes, damit eine interessante Analogie schaffend: So wie ständig neue Pokémon entwickelt werden müssen, um die Spielsüchtigen bei Laune zu halten, so wird ja auch die Kirche nicht müde, die Heerschar ihrer Heiligen aufzustocken. Und gehen die denn, da man sie gefunden hat, auch tüchtig aufeinander los?

Natürlich nicht, denn das könnte ja Spaß machen, den berüchtigten Heidenspaß. Die kleinen Heiligen, sobald man sie entdeckt hat, wenden sich einem zu und stellen einem Fragen. Religiöse Fragen, wie wir annehmen wollen. Um, wie es heißt, die Evangelisation voranzutreiben. Hm. Prüfungsfragen statt lustiger Knolzereien? Das sieht denen ja mal wieder ähnlich. Das ist als ob man zum Kuchenessen einlädt und am Ende gibt’s doch wieder nur Esspapier, Antatschen und lateinisches Gebrummel. An ihrem Lebensfreude-Skill muss die Kirche also weiterhin arbeiten. Vielleicht hat sie sich aber auch ein bisschen übernommen, indem sie gleich den größten Megawelterfolg aller Zeiten zu kopieren versuchte. Das Christentum hat doch selber auch als bescheidene Zwölf-Mann-Sekte angefangen. Wieso nicht erst einmal einsteigen mit der einen oder anderen kleineren App, die uns all die herrlichen Vorzüge des Glaubens (gegenüber dem Denken, Beobachten und Erleben) verdeutlicht?

Etwa könnte zu den unpassendsten Gelegenheiten, wenn alles rundherum gerade ruhig und entspannt ist, ein infernalischer Lärm losbrechen auf dem Handy – die Kirchenglocken-App. Oder wieso macht man nicht, wie bei den Sternbildern an der Wohnzimmerdecke, das Unsichtbare sichtbar, ohne gleich mit didaktischer Unterweisung daherzukommen? Wieso, etwa, lässt man nicht per App einen weißen Mann mit Bart hinter jedem Busch, hinter jeder zweiten Straßenecke, lächelnd hervorlugen? Oder ab und zu fliegt ein weißer Sandalenträger mit Renaissancelocken in den Himmel respektive läuft lässig über die nächste Wasseroberfläche – in der Schwimmhalle, im Badezimmer, auf dem Kneipenklo? Der Gott ist doch in den kleinsten Dingen, wenn man nur feste dran glauben will.