Bernd Harder in Köln über Verschwörungstheorien

"Schlafschafe, Wahnwichtel und Wahrheitssucher"

Wenn demnächst wieder Schnee fällt, können Sie es selbst ausprobieren: Formen Sie einen Schneeball, legen ihn auf eine Zeitung und halten die Flamme eines Feuerzeugs daran. Dann schmilzt er, meinen Sie? Tut er nicht, sondern verwandelt sich in eine schwarze Masse. Seltsam, oder?

Und man hört doch so viel von Flugzeugen, die Chemikalien in die Luft sprühen. Manche sagen, besonders auffällige Kondensstreifen seien in Wahrheit "Chemtrails", hervorgerufen durch geheime Manipulation der Regierung. Die Folge: unschmelzbarer Chemieschnee?

"Die Dinge sind nicht, wie sie scheinen. Irgendetwas wird uns verschwiegen." Es ist nicht weit von solchen Überlegungen zur Vermutung: Da haben bestimmt "die da oben" ihr Hände im Spiel! Solche Überlegungen bilden den Kern einer Verschwörungstheorie. Genau darum ging es in Bernd Harders Vortrag beim Skeptics in the Pub in Köln am 20. November. Der Chefreporter der Zeitschrift Skeptiker setzt sich im GWUP-Blog ebenso mit dem Thema auseinander wie in seinem aktuellen Buch "Verschwörungstheorien" (Alibri Verlag 2018).

Bernd Harder
Bernd Harder

Aber was ist eine Verschwörungstheorie überhaupt? Einen ersten, literarischen Eindruck gab eine Performance von Slammerin Julia Roth, die sich satirisch mit der Aluhut- und Impfgegnerszene befasst hat. Bernd Harder hält sich eher an die Definition der Zeitschrift Gehirn & Geist: Demnach handelt es sich bei einer Verschwörungstheorie um die "Interpretation eines Phänomens oder eines Ereignisses, die der gängigen Erklärung widerspricht und die mächtigen Personen oder Gruppen unterstellt, insgeheim der Gesellschaft schaden zu wollen." (Ausgabe 9/2016)

Die Sache mit dem Schneeball und dem Feuerzeug, die im Internet kursiert, ist so ein Phänomen. Es stimmt sogar, die Feuerzeugflamme lässt den Schnee tatsächlich nicht schmelzen. Nur steckt dahinter keine ominöse "Chemie"; sondern schlichte Schulphysik. Durch die Erhitzung geht das Wasser direkt vom festen in den gasförmigen Aggregatzustand über, ohne sich zu verflüssigen. Fachleute sprechen von Sublimation. Bei der schwarzen Masse handelt es sich schlicht um Ruß.

Aber warum glauben Menschen dann Unsinn wie die Sache mit dem "Chemieschnee"? Haben die alle den Physikunterricht geschwänzt? Oder sind sie ein Fall für den Psychiater? Keins von beiden, erklärt Harder, und stützt sich dabei auf empirisch belegte Aussagen über die Psychologie des Verschwörungsglaubens.

Demnach sind Verschwörungsgläubige ganz normale Menschen, die sich jedoch von der gesellschaftlichen oder politischen Teilhabe ausgeschlossen und grundsätzlich bedroht fühlen. Verglichen mit anderen, neigen sie eher zu Unzufriedenheit und Misstrauen, etwa gegen Behörden. Da kann es entlastend wirken, komplexe Zusammenhänge bis zur Verfälschung zu vereinfachen, wie es in Verschwörungstheorien geschieht. Es wird kaum verwundern, dass eine solche Verschwörungsmentalität mit einem geringem Selbstwertgefühl und dem Empfinden von Machtlosigkeit einhergeht.

Gleichzeitig eröffnet sie die Möglichkeit, sich selbst von Schuldgefühlen zu entlasten, wenn es im eigenen Leben nicht optimal läuft. Denn nach der kruden Verschwörungs-Logik gehen individuelle Misserfolge nicht auf den Einzelnen zurück, sondern sind stets die Folge dunkler Machenschaften. Auch in sozialer Hinsicht kann der Verschwörungsglaube den Leidensdruck mildern. Ist man überzeugt, im Gegensatz zur "naiven Schafherde" den Lauf der Welt zu durchschauen, wird man sich im Kreise anderer Verschwörungsgläubigen heimisch fühlen.

"Aber was ist mit den echten Verschwörungen, die nachweislich stattgefunden haben?", mag hier so mancher einwerfen. Die Watergate-Affäre oder der Abgas-Skandal sind nur zwei von zahlreichen Beispielen. Kritiker wie Bernd Harder müssen sich immer wieder mit dem Vorwurf auseinandersetzen, der Begriff Verschwörungstheorie sei eine Erfindung von Medien und Politikern, um kritische Geister lächerlich zu machen.

Cover

Doch es gibt klare Unterschiede zwischen Verschwörungstheoretikern bzw. -gläubigen einerseits und tatsächlichen Aufdeckern, etwa investigativen Journalisten, andererseits, wie Harder überzeugend zeigte. Der wichtigste Punkt: Verschwörungstheoretiker tragen zur Aufklärung echter Verschwörungen nichts bei, sondern beschäftigen sich mit imaginären Verschwörungen. Sie "stellen Ereignisse nicht produktiv infrage, um sich zweifelnd Wissen zu erarbeiten"; stattdessen legen sie eine "destruktive Pseudoskepsis" an den Tag, wie Harder in seinem Buch schreibt. Alles wird so umgedeutet, dass es den eigenen Standpunkt scheinbar unterstützt. Wenn eine bestimmte Behauptung in den Medien bestätigt wird – dann muss sie ja stimmen. Widerlegen die Medien die These, unterstellt man ihnen Lügen. Und wenn die Medien gar nicht berichten, wird das ihnen als angebliche Vertuschung angekreidet.

Darüber hinaus übersehen Verschwörungsfans die Tücken des realen Lebens. Menschen machen Fehler, notwendige Entscheidungen unterbleiben, der Zufall spielt mit. Nichts davon wird in den Gedankengebilden der Verschwörungstheoretiker berücksichtigt: Sie betrachten die Welt als Resultat von zielgerichteten, stets erfolgreichen Aktionen, gesteuert von Profiteuren.

All dies zusammengenommen wirft die Frage auf, wie eine fruchtbare Diskussion mit Verschwörungs-Anhängern aussehen kann. Wer sich dafür vom Vortrag ein einfaches Rezept erhofft hatte, den belehrte Bernd Harder eines Besseren. Dass sich tiefsitzende Angst und Entfremdungsgefühle nicht einfach wegargumentieren lassen, hat er in zahlreichen Diskussionen selbst erfahren. Dennoch gibt es eine Sache, die jeder tun könne: "Zweifel säen und zum Nachdenken anregen."

Bernd Harder: Verschwörungstheorien. Ursachen – Gefahren – Strategien. Reihe Kritikpunkt.e, Alibri Verlag 2018, 10,00 Euro