In vielen Ländern Europas hat sich die Situation von ungewollt Schwangeren in den vergangenen Jahren verbessert. Dennoch bleibt der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch häufig eingeschränkt, wie ein aktueller Bericht von Amnesty International zeigt, der die Lage in 40 europäischen Ländern dokumentiert. Die Menschenrechtsorganisation fordert die vollständige Entkriminalisierung von Abtreibungen und den Abbau aller Hürden, die Betroffenen den Zugang erschweren.
Frankreich nahm 2024 das Recht auf Abtreibung in die Verfassung auf, in der Schweiz wird der Abbruch bald von der Krankenkasse bezahlt. Gleichzeitig ist der Schwangerschaftsabbruch in mindestens 20 Ländern Europas noch immer unter bestimmten Bedingungen strafbar, wie der Bericht zeigt. Zu diesen Staaten gehört auch Deutschland. Hier bleibt der Eingriff jedoch unter bestimmten Bedingungen straffrei: Wenn er in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen erfolgt, die Schwangere vorher eine Beratung in Anspruch genommen hat und ein Arzt die Abtreibung vornimmt. Im europäischen Vergleich hat Deutschland ein liberales Abtreibungsgesetz, ebenso wie Albanien, Österreich, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Zypern und die Türkei.
Eine geringfügig längere Frist von 14 Wochen gilt in Frankreich, Luxemburg, Spanien und Rumänien, in Schweden, Norwegen und Dänemark sind es 18 und in Island 22 Wochen. Gänzlich anders sieht es in katholisch geprägten Staaten Europas aus: Ein komplettes Abtreibungsverbot herrscht im Kleinstaat Andorra. In Malta gibt es strenge Einschränkungen, die erst 2023 minimal gelockert wurden. Polen erlaubt den Schwangerschaftsabbruch nur nach Vergewaltigung oder Inzest beziehungsweise bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren. Das bringt Ärzte oft in Konflikte, wie kürzlich ein aufsehenerregender Fall zeigte. In Polen starb eine ungewollt Schwangere, weil Ärzte die Abtreibung zu lange hinauszögerten. Sie wurden wegen fahrlässiger Gefährdung der Patientin verurteilt.
Zudem dürfen in Ländern wie Italien und Kroatien Ärzte und Pflegekräfte Abbrüche aus Gewissensgründen verweigern. Der Amnesty-Bericht nennt beispielsweise den Fall einer Frau in Zypern, die fünf Tage lang warten musste, weil sich das Anästhesiepersonal weigerte, den Eingriff zu unterstützen. Aus Kroatien gibt es zudem Berichte über gezielte Desinformation. "Manchmal wird ihnen fälschlicherweise gesagt, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht möglich sei, oder sie treffen auf Ärzt*innen, die sich darauf berufen, diesen nicht durchführen zu wollen", sagt Ljerka Oppenheim von der kroatischen Menschenrechtsorganisation Sofija.
Auch in Deutschland kommt es laut der Aktivistin Ísis Fernandes von der Menschenrechtsorganisation DaMigra zu ähnlichen Vorfällen. Viele Frauen hätten ihr berichtet, "dass sie im Wettlauf gegen die Uhr, um die gesetzliche Frist für eine Abtreibung einzuhalten, fast in letzter Minute in der Klinik ankommen, in dem Glauben, dass jetzt alles gut ist, dass sie die Abtreibung bekommen und dass alles gut ausgehen wird. Stattdessen verlassen sie die Klinik noch traumatisierter, weil sie vom medizinischen Personal diskriminiert und Rassismus und Vorurteilen ausgesetzt werden." Weitere Erschwernisse gibt es bei geringem Einkommen und in ländlichen Gebieten, wo nur eine lückenhafte Gesundheitsversorgung existiert.
Vor dem Hintergrund dieser Beweisaufnahme appelliert Amnesty International an die europäischen Regierungen, alle Barrieren zu beseitigen und Abtreibungen vollständig entkriminalisieren. Ein Schwangerschaftsabbruch gehört zur medizinischen Grundversorgung und ist ein Menschenrecht, so die Organisation.
An die Europäische Union richtet Amnesty International die Forderung, ihre Kompetenzen zur Förderung sexueller und reproduktiver Gesundheit voll auszuschöpfen und klare Leitlinien für alle Mitgliedstaaten zu erlassen. Zudem solle der Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessert werden. Die Menschenrechtsorganisation drängt weiterhin darauf, das Recht auf Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung in der Grundrechtecharta sowie in EU-Verträgen zu verankern und jede Einschränkung dieser Rechte entschieden zurückzuweisen.








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GeBa am Permanenter Link
Europa braucht selbstbestimmte Menschen und kein Befürwortung von wem auch immer.
Dies sollten wir nicht hinnehmen, sondern dagegen angehen.