Humanismus versus Transhumanismus – Teil 1

Im November 2018 fand in Stuttgart das Zukunftssymposium "Mensch bleiben im Maschinenraum" statt, bei dem es eine Podiumsdiskussion zum Thema "Humanismus versus Transhumanismus" zwischen Michael Schmidt-Salomon (Sprecher und Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung) und Bernd Vowinkel gab. Der hpd dokumentiert (in zwei Teilen) die dabei vorgestellten Thesen von Bernd Vowinkel.

Welcher Humanismus?

Es gibt eine ganze Reihe von unterschiedlichen Varianten des Humanismus. Zu einer besseren Beurteilung der Frage, inwieweit sich der Transhumanismus mit dem Humanismus vereinbaren lässt, möchte ich daher zunächst den Humanismus in zwei Varianten aufteilen, nämlich den althergebrachten Humanismus und den neuen Humanismus. Nach meiner Ansicht ist ein gemäßigter Transhumanismus durchaus mit dem neuen Humanismus vereinbar und kann sogar als integraler Bestandteil dieser Variante angesehen werden.

Da nach wie vor die Philosophie Immanuel Kants im deutschsprachigen Raum ein großes Gewicht hat, überwiegt in unserem Land eine Abneigung gegen den Transhumanismus, mit der Begründung, dass hier der Mensch instrumentalisiert werde, was dem kategorischen Imperativ widerspreche. Viele bezeichnen den Transhumanismus geradezu als unmenschlich. Die Philosophen Nick Bostrom und Barry Dainton vertreten dagegen eine positive Haltung dazu. So schreibt Bostrom, dass eine transhumane Zivilisation nicht weniger menschlich sein muss, sondern mehr als menschlich sein kann, also in positivem Sinn über das Menschliche hinausgehen kann. Die wichtigsten Grundsätze in einer solchen Gesellschaft müssen das freie Wahlrecht und die volle Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die Dauer des eigenen Lebens und die eigenen geistigen Fähigkeiten sein. Diesen Grundsätzen widersprechen derzeit in Deutschland die gesetzliche Freigabe der rituellen Knabenbeschneidung, die Kriminalisierung der assistierten Sterbehilfe und die Einschränkungen im Bereich der Gentechnik.

Der althergebrachte Humanismus

Die Grundlagen des althergebrachten Humanismus lassen sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen. So vertraten bereits die Philosophen Heraklit (ca. 520–460 v. Chr.) und Protagoras (ca. 490–411 v. Chr.) den Lehrsatz: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge". Es gibt keine moralischen oder gesetzlichen Absolutheiten und der Mensch als schöpferisches Wesen ist die höchste Autorität im Universum. Platon (ca. 428–348 v. Chr.) war entgegengesetzter Meinung und vertrat die Position "Das Maß aller Dinge ist Gott" und erst an diesem Maßstab werde der Mensch bescheiden und human. Beiden Positionen gemeinsam ist dennoch die absolute Herausgehobenheit des Menschen über den Tieren.

Die Begründung des althergebrachten Humanismus liegt generell mehr im Bereich der Geisteswissenschaften und hier vor allem in der Philosophie (Metaphysik). In Deutschland wird diese Variante insbesondere durch den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) vertreten. Seine Verfechter sehen den Transhumanismus eher kritisch und manche sprechen gar von einer Perversion des Humanismus.1

Julian Huxley (1887–1975), der erste Generalsekretär der UNESCO, prägte Mitte des letzten Jahrhunderts die Idee des evolutionären Humanismus mit der Kernaussage: "Der Mensch ist keineswegs die Krone der Schöpfung, sondern ein unbeabsichtigtes, zufälliges Produkt der natürlichen Evolution." Er sprach sich damit erstmals für eine Weltanschauung aus, die mit der Wissenschaft kompatibel ist. Ethische Grundlage des evolutionären Humanismus ist das "Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen". Daher sind diskriminierende Ideologien wie Rassismus, Sexismus, Ethnozentrismus oder Speziesismus sowie sozialdarwinistische oder eugenische Konzepte, die mitunter auch von Evolutionstheoretikern (eine Zeitlang sogar von Julian Huxley!) vertreten wurden, mit dem evolutionären Humanismus unvereinbar. In Deutschland wird der evolutionäre Humanismus von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) vertreten. Im Gegensatz zum althergebrachten Humanismus liegen hier die Grundlagen überwiegend im Bereich des Naturalismus bzw. bei den Naturwissenschaften.

Neben dem evolutionären Humanismus legte Julian Huxley auch den Grundstein für den Transhumanismus. In seinem 1957 veröffentlichten Werk "New Bottles for new Wine"2 definiert er den Transhumanismus als "Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet." Allerdings hatte seine Vision teilweise ideologische Züge, was zu heftiger Kritik und in weiten Kreisen zu einer Aversion gegen den Transhumanismus geführt hat. Insbesondere in den angelsächsischen Ländern wird aber mittlerweile der Transhumanismus als medizinisch-technische Entwicklung gesehen, die ein großes Potential zur Verbesserung der Lebensqualität zur Verfügung stellt, wenn sie in richtige Bahnen gelenkt wird.

Der neue Humanismus

Meilensteine der Grundlegung dieser Variante des Humanismus waren das Buch "Die Neuen Humanisten" von John Brockman3 und die Tagung "Der neue Humanismus"4, die 2008 in Nürnberg stattfand. Nachdem inzwischen auch in der Kosmologie und den grundlegenden physikalischen Theorien große Fortschritte erzielt wurden, könnte man den evolutionären Humanismus als etwas zu stark auf das Menschenbild ausgerichtet betrachten. Der Mensch ist aber nur ein kleiner Teil der Natur. Ein allgemein naturalistischer Humanismus überwindet diese Fokussierung. Insofern kann man den neuen Humanismus als Weiterentwicklung des evolutionären Humanismus sehen5. Während der althergebrachte Humanismus als Weltanschauung eingestuft werden kann, nimmt der neue Humanismus für sich in Anspruch, ein objektives, wissenschaftlich fundiertes Weltbild zu vermitteln.

Der neue Humanismus hat auch die Zukunft im Programm. Eine modernere Definition des Transhumanismus stammt von dem britischen Philosophen Max More6:

"Transhumanismus ist eine Kategorie von Anschauungen, die uns in Richtung eines posthumanen Zustands führen. Transhumanismus teilt viele Aspekte mit dem Humanismus, einschließlich eines Respekts vor Vernunft und Wissenschaft, einer Verpflichtung zum Fortschritt und der Anerkennung des Wertes des menschlichen (oder transhumanen) Bestehens in diesem Leben. Transhumanismus unterscheidet sich vom Humanismus im Erkennen und Antizipieren der radikalen Änderungen in Natur und Möglichkeiten unseres Lebens durch verschiedenste wissenschaftliche und technologische Disziplinen."

More bezieht sich bei der oben beschriebenen Abgrenzung auf den althergebrachten Humanismus.

Ethische Grundlage des Transhumanismus

Als ethische Grundlage und Rechtfertigung des Transhumanismus kann man den Konsequenzialismus (z. B. in Form eines erweiterten Utilitarismus) anführen. Dieser steht im Gegensatz zur Tugend- und Pflichtethik. Beispiel für eine Pflichtethik ist die Philosophie von Immanuel Kant (kat. Imperativ, Instrumentalisierungsverbot, Menschenwürde)7. Es gilt im neuen Humanismus aber generell: so wenig Metaphysik wie möglich! Daher ist hier der Konsequenzialismus vorzuziehen, weil er sich ganz pragmatisch auf Freud und Leid aller leidensfähigen Wesen bezieht. Es muss also bei der Anwendung der einzelnen Technologien des Transhumanismus immer die Frage gestellt werden, ob die positiven oder die negativen Effekte überwiegen. So ist z. B. klar, dass die Gentechnik über die Gesetzgebung in einem vernünftigen Rahmen gehalten werden muss, um negative Auswirkungen zu verhindern. Ein generelles Verbot der Manipulation am menschlichen Genom aus weltanschaulichen, religiösen oder ideologischen Gründen ist aber ethisch nicht zu rechtfertigen. Insbesondere würden wir uns damit einer ganzen Reihe von medizinischen Möglichkeiten berauben, wie z. B. der Heilung von Erbkrankheiten und der Verminderung von genetisch bedingten Anfälligkeiten gegenüber bestimmten Erkrankungen.

Unter Berücksichtigung der genannten ethischen Grundlagen kann man den Transhumanismus als Bestandteil des neuen Humanismus ansehen. Die Technologien des Transhumanismus werden die Menschheit dennoch vor große Herausforderungen stellen. Es ist aber die Frage, ob die Optimierung des Menschen im Rahmen des Transhumanismus nicht durch die Entwicklung der reinen künstlichen Intelligenz völlig in den Schatten gestellt werden wird. Daher soll dieses Thema im folgenden Teil 2 noch gesondert diskutiert werden.


  1. Rudolph, E.: "Transhumanismus" - Version oder Perversion des Humanismus? Humanismus aktuell, Online-Ausgabe Berlin 2015, 5. (18.) Jg., H. 1, ISSN 2191-060X, Text 36 ↩︎
  2. Huxley, J.: New Bottles for new Wine. Harper & Brothers Publishers, 1957 ↩︎
  3. Brockman, J.: Die neuen Humanisten, Wissenschaft an der Grenze. Ullstein Hc, 2004 ↩︎
  4. Fink, H. (Hrsg.): Der neue Humanismus: Wissenschaftliches Menschenbild und säkulare Ethik. Alibri, 2010 ↩︎
  5. Vowinkel, B.: Wissen statt Glauben, das Weltbild des neuen Humanismus. lola Books, 2018 ↩︎
  6. More, M.: Transhumanism, Towards a Futurist Philosophy.

    https://de.scribd.com/doc/257580713/Transhumanism-Toward-a-Futurist-Philosophy

  7. Kant, I.: Kritik der praktischen Vernunft. Reclam, 1986 ↩︎