Rezension

Fukuyamas "Identität" zur Erklärung der Legitimationskrise von Demokratie

Der bekannte US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama legt mit "Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet" seine Stellungnahme zur Legitimationskrise liberaler Demokratien vor. Seine Auffassung, wonach diese an mangelnder Identität und Würde liege, ist nicht neu und wurde auch schon mal besser begründet, gleichwohl ist sie sicherlich als ein Erklärungsansatz nicht falsch.

Warum sind die liberalen Demokratien weltweit in eine Legitimationskrise geraten? Auf diese Frage antwortet Francis Fukuyama mit folgender These: Das liegt an der Empfindung eines Identitäts- und Würdeverlustes. So lautet jedenfalls die Kernthese, die in seinem Buch "Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet" ausformuliert wird. Der Autor wurde Anfang der 1990er Jahre weltberühmt, weil er in seinem gleichnamigen Bestseller "Das Ende der Geschichte" postulierte. Dies deutete man seinerzeit so, dass damit die endgültige Durchsetzung liberaler Demokratien als politisches Modell gemeint sei. Angesichts des Aufstiegs von neuen autoritären Regimen und der Siege von populistischen Politikern wird diese These erneut heftig kritisiert. Fukuyama, der heute als Professor für Politikwissenschaft an der Stanford-Universität lehrt, meint demgegenüber, dass er hier mit seinem Geschichtsverständnis falsch verstanden worden sei. Darauf geht er auch gleich zu Beginn in seinem neuen Buch ein, was aber nicht dessen eigentlichen Kern berührt.

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Es geht darin im Lichte der Trump-Präsidentschaft, welche die Arbeit daran nach Fukuyamas Kommentar gleich im Vorwort entscheidend motiviert habe, um die Relevanz eines menschlichen Verlangens. Dies sei die "Anerkennung der eigenen Identität", was als Leitmotiv vieles von dem vereine, "was sich heutzutage in der Weltpolitik abspielt" (S. 16). Anerkennungsbedürfnisse prägten nach Hegel die Menschheitsgeschichte. Entsprechend geht der Autor zunächst auf ideengeschichtliche Aspekte ein, wobei damit eine kleine Reise durch die Philosophiegeschichte verbunden ist. Diese reicht von Platon über Luther bis zu Rousseau. "Identität erwächst", so wird definiert, "aus einer Unterscheidung zwischen dem wahren inneren Selbst und einer Außenwelt mit gesellschaftlichen Regeln und Normen". Und weiter: "Identitätspolitik umfasst … einen großen Teil des politischen Ringens der zeitgenössischen Welt" (S. 26 f.). Es habe durch die Geschichte hinweg immer eine Neigung zur Gruppenidentität gegeben, was auch am Islamismus und Nationalismus gezeigt wird.

Dieses Bedürfnis sei, so mit Blick auf das 20. Jahrhundert, gerade von der Linken verraten worden: "Statt Solidarität mit breiten Bevölkerungsschichten wie der Arbeiterschaft oder wirtschaftlich Ausgebeuteten herzustellen, konzentriert sie sich auf immer kleinere Gruppen, die auf spezifische Weise marginalisiert werden" (S. 115). Die Hinwendung zum Multikulturalismus stehe dafür, gleichzeitig habe man damit den Rechten ein Thema überlassen. Diese hätte die Einordnung der Identität von der Linken übernommen. Da es aber aus unterschiedlichen Gründen einer nationalen Identität bedürfe, habe die Rechte für ihre Politik wichtigen Stoff bekommen. Der Autor kritisiert das Identitätsverständnis beider Seiten, da sie zu festgelegten Merkmalen zurückgekehrt seien. Angesichts dieses Dilemmas plädiert Fukuyama für unterschiedliche Maßnahmen und Reformen: die Assimilierung von Migranten, die Bildung einer nationalen Bekenntnisidentität, die Kontrolle der Grenzen. "Identität kann zur Spaltung, aber auch zur Einigung benutzt werden" (S. 213).

Darin sieht der Autor denn auch das Heilmittel gegen Populismus. Blickt man auf seine Argumentation zurück, dann kann Kritik nicht ausbleiben: Das ganze Buch ist recht freihändig geschrieben, mal wird hier ein Gedanke formuliert, mal dort eine Forderung gestellt, mal hier ein Problem skizziert, mal dort eine Warnung ausgesprochen. Dabei liegt Fukuyama nicht grundsätzlich falsch. Doch viele Aspekte wurden von anderen Autoren bereits thematisiert – und eben auch besser, weil tiefgründiger erörtert. Das gilt etwa für die Einwände gegen die Identitätspolitik der Linken, die Mark Lilla in seinen bislang noch nicht übersetzten Werken zuspitzte. Die Alternativen von Fukuyama wirken darüber hinaus wie Allgemeinplätze. Sie ergeben sich auch nicht direkt aus seiner vorherigen Argumentation und sollen wohl mehr den Praxisbezug der Reflexionen veranschaulichen. Dazu hätte man indessen eben diese gar nicht gebraucht. Man hat über weite Strecken den Eindruck, dass ein bekannter Autor etwas verspätet in einer Debatte auch noch Präsenz zeigen will.

Francis Fukuyama, Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, Hamburg 2018 (Hoffmann und Campe), 237 S., 22,00 Euro