Kommentar

Säkulare Blüten im weltanschaulichen Unterholz

Die Trennung von Staat und Kirche hinkt nun seit 100 Jahren. Ohne Zweifel war es damals ein bedeutender gesellschaftlicher, politischer und juristischer Fortschritt, sich wenigstens hinkend auf den Weg zu machen. Heute jedoch ist dieser Weg längst beschwerlich geworden. Die Mühen der Ebene machen sich bemerkbar, und wer nicht schlapp machen will, braucht Ausdauer.

Da mag es helfen, die eine oder andere Blüte am Wegesrand zu entdecken, die man vielleicht nicht erwartet hätte. Buntheit erfreut, Wohlgeruch spornt an. Doch nicht jede Blüte duftet, einige riechen streng und manche Früchte sind sogar giftig. Das liegt bestimmt am Humor. "Humor" ist lateinisch und heißt Saft.

Betrachten wir vier solche säkulare Blüten. Sie sind – so die These dieses Beitrags – nur verständlich als Ausdruck des politischen Anliegens, die Rechte der Kirchen durch formale Inanspruchnahme gleicher Rechte für säkulare Gemeinschaften ad absurdum zu führen. Sie wären hingegen gar nicht verständlich, geschweige denn unterstützenswert, wenn sie um ihrer selbst willen verfolgt werden würden.

Die erste Blüte ist die "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters", organisiert als eingetragener Verein, in dessen Satzung ausdrücklich Religionssatire als künstlerisches Mittel genannt wird, um "in satiretypischer Art intolerante und dogmatische Anschauungen und Handlungen zu überhöhen und zu hinterfragen" (§ 2 der Satzung). Das erklärt die Form des "Monsterunser" und das "Glaubensbekenntnis der Pastafari". Was aber würde man von Personen halten, die tatsächlich von der Existenz eines fliegenden Spaghettimonsters überzeugt sind? Oder die den weltweit verbreiteten Nudelgenuss für einen Hinweis auf die Allmacht dieses Monsters halten? Oder die pastatheologische Abhandlungen über die je eigene, zeit- und kulturbedingte Nudelsoße als Ausdruck der vielen Wege zur Monstererkenntnis ausarbeiten würden und darüber am Sonntag öffentlich predigen wollten?

Die zweite Blüte ist insofern ein wenig raffinierter, als hier nicht eine ganze Organisation aus Jux gegründet wurde, sondern nur eine weltanschauliche Detailfrage mit einer kreativen Lösung versehen wird: Welche Feiertage sollen Humanisten für sich reklamieren? Der Bund für Geistesfreiheit in Bayern hat neben dem Welthumanistentag und dem Tag der Menschenrechte den Evolutionstag definiert – und zwar als den "sechsten Freitag nach dem Vollmond, der dem ersten Frühjahrsvollmond folgt". Es ist leicht – gegebenenfalls nach kurzer kalendarischer Recherche – zu erkennen, dass es sich hierbei stets um den Brückentag handelt, der zwischen "Christi Himmelfahrt" und dem darauf folgenden Wochenende liegt. Das ist zweifellos praktisch, wirft aber Fragen auf: Wieso ist die Feier der Evolution an das Andenken der Himmelfahrt gekoppelt? Besteht ein Zusammenhang zwischen beidem? Ist etwa das eine die Ursache des anderen? Und welche Rolle spielt der Mond dabei?

Die dritte Blüte gedeiht nicht durch weltanschauliche Triebe, sondern durch finanzpolitische: Es geht ums liebe Geld. Die Kirchen bekommen bekanntlich Kirchensteuer. Kirchen sind weltanschaulich tätig und Säkulare sind gleichzubehandeln. Wäre es daher nicht naheliegend, für Säkulare eine Entsprechung der Kirchensteuer einzuführen? Man könnte das dann eine "Weltanschauungssteuer" nennen. Ein abwegiger Gedanke? Nein, nicht doch: Es gibt sie bereits, und zwar in Niedersachsen. Der dortige Humanistische Verband ist seit 2019 eine "steuererhebende Weltanschauungsgemeinschaft". Die Beiträge heißen neuerdings "Verbandsteuer". Das sei, so ist auf der Homepage des Verbandes zu lesen, "eine progressive Idee, die unseren Mitgliedern praktisch hilft" – und zwar durch die damit einhergehende Vermeidung des Kirchgeldes in glaubensverschiedener Ehe. Eine pfiffige Idee, zumal diese Verbandsteuer nicht durch den Staat eingezogen wird. Aber was würde man wohl von einer "Verbandsteuer" halten, wenn es keine Kirchensteuer gäbe?

Die vierte Blüte geht in die Vollen: Wenn schon kirchenrechtlich eigene Gesetze dieses Staates im Staate erlassen werden können – Stichwort Selbstverwaltungsrecht der Kirchen –, wieso sollte das dann nicht auch bei säkularen Körperschaften möglich sein? Der Humanistische Verband in Bayern erlässt eigene Gesetze und ernennt anscheinend eigene Beamte, wohlgemerkt keine staatlichen, sondern HVD-Beamte. Auf der Homepage findet man unter "Service und Infos" hierzu "Amtliche Mitteilungen" – und das sind interessanterweise Mitteilungen des Verbandes, nicht Mitteilungen an den Verband. Insbesondere findet sich dort ein "Beamtengesetz des HVD Bayern" mit immerhin 92 Paragraphen. Beamte ohne Bürokratie wären ja auch schwer vorstellbar, wieso sollte das bei Humanisten anders sein. Aber wäre ein solches Kuriosum ohne das "Vorbild" der Kirchen denkbar? Wäre es ohne das "Solange"-Argument ("solange die Kirchen ein Privileg haben, nehmen wir es uns auch – um durch die daraus resultierende Absurdität für die Abschaffung zu werben …") überhaupt verständlich? Man stelle sich vor, nicht die demokratisch legitimierte Legislative, sondern eine selbstverwaltete Körperschaft mit eigener Weltanschauung würde in unserem Land die Gesetze erlassen …

Man sieht: Das reale Religionsverfassungsrecht fordert regelrecht dazu heraus, es durch "copy&paste" auf säkulare Weltanschauungen zu übertragen und dadurch ad absurdum zu führen. Das Ziel kann dabei nur die Änderung der für alle geltenden Rechtslage sein. Dies bringt mitunter Blüten hervor, die im Halbschatten gedeihen. Und deren Blütensaft mit Vorsicht zu genießen ist. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.