Ist das heute schon Realität?

Klimawandel und gewaltsame Konflikte

Die "Fridays for Future"-Bewegung hat die Klimakrise weltweit in den Vordergrund der politischen Debatte gerückt. Im April dieses Jahres wurde laut dem Politbarometer erstmals die Umweltthematik als zweitwichtigstes Problem in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen, wohingegen dasselbe Thema ein Jahr zuvor lediglich auf Platz 9 landete. Zudem war laut ARD-EuropaTrend der Umwelt-und Klimaschutz das wichtigste Thema für die Entscheidung der Deutschen bei der Europawahl im Mai 2019.

In der öffentlichen Debatte wird nicht allzu häufig thematisiert, dass der Klimawandel zu vermehrten Konflikten aufgrund von Wasserknappheit, Meeresspiegelanstieg oder Klimamigration führen kann. So formulierte der Weltklimarat in seinem IPCC-Bericht von 2014, dass der Klimawandel zukünftig das Risiko von bewaffneten Auseinandersetzungen weiter erhöhen wird, weil sinkende Niederschläge und steigende Temperaturen vermehrt zu ökonomischen Schocks und Armut führen werden. Auch der Global Peace Index von 2019 warnt vor großen Herausforderungen für den Frieden im nächsten Jahrzehnt aufgrund des Klimawandels. Fatalerweise sind die prognostizierten Entwicklungen mancherorts schon heute Realität.

Eine neue oder innovative Erkenntnis ist es nicht, dass ein Mangel an Ressourcen das Potential hat, zu Gewalt zu führen. Bereits im Jahr 1803 beschäftigte sich der Ökonom Robert Malthus in seinem Aufsatz "An Essay on the Principle of Population" mit diesem Zusammenhang. So prognostizierte er, dass das Wirtschaftswachstum nicht ausreichen werde, um die Bedürfnisse der rasant ansteigenden Bevölkerung zu befriedigen. Aus heutiger Sicht lässt sich leicht erkennen, dass diese Vorhersage nicht eingetreten ist, denn in den letzten zweihundert Jahren stieg das Wirtschaftswachstum schneller an als erwartet und führte zu einer beispiellosen Zunahme des materiellen Wohlstands in den westlichen Industrienationen. Der Grundgedanke von Robert Malthus aber blieb der Wissenschaft bis heute erhalten. So nahm beispielsweise der kanadische Konfliktforscher Thomas Homer-Dixon von der University Waterloo dieses vermeintlich alte Konzept 1999 in seine Theorie auf, um den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Kriegen zu erklären. Laut seiner Argumentation führt der Klimawandel dazu, dass die nachwachsenden Ressourcen, wie beispielsweise Süßwasser, Wälder oder fruchtbare Böden, schneller aufgebraucht werden als ihre natürliche Regeneration sie wiederherstellen kann. In einem zweiten Schritt befeuert die daraus resultierende Ressourcenknappheit bereits bestehende soziale Spannungen und kann in gewaltsamen Auseinandersetzungen enden.

Betrachtet man die globalen Geschehnisse, findet man einige Untermauerungen für die Theorie von Homer-Dixon. Beispiele hierfür sind der verheerende Konflikt in dem Gebiet rund um die sudanesische Region Darfur oder auch eine Vielzahl an Ermordungen von nigerianischen Viehzüchtern und Ackerbauern. Diese möchte ich hier beispielhaft als Konflikte infolge des Klimawandels betrachten.

Der Darfur-Konflikt war eine fortwährende bewaffnete Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Allein zwischen 2003 und 2007 hatte der Konflikt 200.000 Todesfälle zur Folge. Seitdem hat die Weltgemeinschaft mit der UN-Mission UNAMID versucht Friedensverhandlungen voranzutreiben – aber mit geringem Erfolg aufgrund von Blockaden der sudanesischen Regierung und einer ineffizienten Zusammenarbeit der militärischen Truppen. Als Ursache für den Konflikt machte der ehemalige UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon den Klimawandel aus. Doch lässt sich dieses politische Statement auch wissenschaftlich belegen? Der deutsche Konfliktforscher Alexander de Juan arbeitet diese Gegebenheit in seiner Studie "Long-term environmental change and geographical patterns of violence in Darfur, 2003 – 2005" heraus. Wegen ausbleibenden bzw. zu geringen Niederschlägen im Osten und Norden Darfurs sind die dort ansässigen arabischen Nomadenstämme dazu gezwungen gewesen, in die südlichen Regionen Darfurs auszuwandern, um dort ihrer Tätigkeit als Viehzüchter weiterhin nachgehen zu können. Die dort lebenden nicht-arabischstämmigen Bevölkerungsgruppen stellten den Klimaflüchtlingen Agrarland mit schlechter Qualität zur Verfügung. Diese Ausgrenzung befeuerte die Unzufriedenheit der arabischen Stämme und die bereits bestehenden ethnischen Spannungen verstärkten sich. Die Flucht aufgrund klimabedingter Dürre ist laut de Juan die Ursache für den Beginn des Krieges.

Im südlicher gelegenen Nigeria ziehen die nomadischen Stämme traditionsgemäß mit ihren Tieren während der Trockenperiode vom Norden des Landes Richtung Zentralnigeria. Durch die klimatischen Veränderungen und einem starken Bevölkerungswachstum kam und kommt es immer wieder zu Verteilungskonflikten zwischen ortsansässigen Ackerbauern und den nomadischen Viehzüchtern. Exemplarisch hierfür steht der Tod von rund 90 Nigerianern im Januar 2018. In Folge des Kampfes um Gras, Wasser und Land wurden 80 Ackerbauern in Benue von Angehörigen aus dem nomadisch geprägten Fulani-Stamm getötet. Als Reaktion darauf wurden 7 Fulanis in Gboko lebendig verbrannt, die Täter konnten jedoch nicht ermittelt werden. Der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari hat diese Vorkommnisse explizit auf knappe Wasserressourcen und einen Mangel an fruchtbarem Land zurückgeführt. Aufgrund des schwachen nigerianischen Sicherheitsapparates habe man diese Konflikte nicht vorhergesehen und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen können. Der Direktor von Amnesty International in Nigeria, Oase Ojigho, hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dies nicht nur ein nigerianisches, sondern ein in der ganzen Sahel-Zone vorhandenes Problem ist.

Damit diese Vorkommnisse theoretisch aufgearbeitet werden können, hat man im Feld der Konfliktforschung zwei zentrale kausale Mechanismen herausgearbeitet: klimabedingte Ernteausfälle und Klimamigration. Ersterer besagt, dass klimabedingte Ernteausfälle zu geringeren Einkommen der Bauern führen und zugleich die Kosten für Nahrungsmittel aufgrund des verringerten Angebots stark ansteigen lassen. Dieser Prozess führt dazu, dass sich die ökonomische Situation auf der individuellen Ebene verschlechtert und die Bereitschaft, sich bewaffneten Konflikten anzuschließen, steigt. Bedauerlicherweise geschieht das frei nach dem Motto "man hat weniger zu verlieren". Zugleich führen Ernteausfälle im großen Maße dazu, dass die Regierung weniger Geld aus Steuern zur Verfügung hat und Investitionen aus anderen Bereichen in Nahrungsmittelimporte verschoben werden müssen. Nicht zuletzt haben steigende Nahrungsmittelpreise und Ernteausfälle eine Verstärkung bereits vorhandener sozialer Ungleichgewichte zur Folge, da besonders die unteren sozialen Schichten von einem Anstieg der Lebensmittelpreise betroffen sind.

Auf der anderen Seite führt der Klimawandel zu Migration, wenn es innerhalb einer Region zu anhaltenden Auswirkungen von sich ändernden klimatischen Bedingungen wie beispielsweise Wasserknappheit kommt. Hierbei entscheiden sich die Klimaflüchtlinge oftmals dazu, in andere Teile ihres Landes zu flüchten, werden also zu Binnenflüchtlingen. Wie auch bei anderen Arten der Migration kann es in den Zielregionen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen. Das Risiko der Konflikte steigt, falls die ansässige Bevölkerung und Klimaflüchtlinge unterschiedliche ethnische Hintergründe haben – wie man am Beispiel des Konflikts rund um Darfur beobachten kann.

Manch einer mag nun argumentieren, dass die Theorien nicht umfassend seien, weil es beispielsweise im Dürresommer 2018 in Deutschland zu keinen gewaltsamen Konflikten kam. Um dieser Kritik entgegenzuwirken, möchte ich die quasi-allgemeingültigen Rahmenbedingungen in der Konfliktforschung für das Aufkommen von Konflikten skizzieren. In einer Vielzahl von wissenschaftlichen Studien hat man insbesondere ein geringes Bruttoinlandsprodukt als zentrale Erklärung für innerstaatliche Gewalt gefunden. Zudem führt eine schlechte Infrastruktur, wie unzureichend ausgebaute Straßennetze zwischen Zentrum und Peripherie oder mangelnde Bildungsangebote, dazu, dass die Regierung in der Hauptstadt die Einwohner in ferner liegenden Regionen schwer erreichen und demzufolge Konflikte kaum antizipieren kann. Diese Rahmenbedingungen zeigen, warum es bis heute vorwiegend in der Sahel-Zone zu klimabedingten gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt und ausbleibende Niederschläge in Europa nach ein paar Monaten fast wieder vergessen sind.

Wenn man auf die ärmsten Länder der Welt schaut, scheint die Klimakrise bereits jetzt schon Realität geworden zu sein. Zahlreiche größere und kleinere Konflikte können sinkenden Niederschlägen und steigenden Temperaturen zugeschrieben werden. In der Konfliktforschung werden diese Entwicklungen immer häufiger thematisiert. Es wäre wünschenswert, wenn die öffentliche Debatte dem folgt, damit wirksamere Maßnahmen gegen den Klimawandel mit mehr gesellschaftlichem Rückhalt auf den Weg gebracht werden könnten. Wenn nicht aus einer humanitären Motivation heraus, dann wenigstens aus egoistischen Gründen oder haben wir bereits vergessen, wie die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 massive politische Probleme in Deutschland und der gesamten Europäischen Union hervorgerufen hat?