Es ist wieder mal soweit: Der diesjährige Kirchentag hat begonnen. Und wieder wirft sich unsere Redakteurin Daniela Wakonigg ins christliche Getümmel, um in ihrem "Tagebuch einer Ungläubigen" über jene Dinge zu schreiben, die in den meisten Medienberichten um das Event unerwähnt bleiben.
Schon wieder Kirchentag. Diesmal ein evangelischer. In Dortmund. Ich gestehe: Wirklich große Lust habe ich nicht, mich in das Getümmel zu stürzen und mir Massen glaubensverzückter Christen in Feierstimmung zu geben. Aber einer muss es ja machen. Und ich habe beim redaktionsinternen Streichhölzchenspiel nun mal den Kürzeren gezogen. Allerdings gibt es auch etwas, das meine Stimmung aufhellt. Denn die säkularen Kräfte aus Dortmund und ganz Deutschland haben eine bunte Palette an Gegenveranstaltungen zum Kirchentag zusammengestellt. Also: Auf nach Dortmund!
Normalerweise lege ich längere Strecken mit dem Zug zurück. Doch in diesem Jahr boykottiere ich die Bahn während des Kirchentags. Aus Protest. Denn die Deutsche Bahn tritt als Hauptsponsor des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags auf. Für die Sanierung des Streckennetzes, für funktionierende Loks und Klimaanlagen scheint kein Geld da zu sein, für das Sponsoring eines reichlich überdimensionierten und mit mindestens 7,822 Millionen Euro an öffentlichen Fördermitteln bereits kräftig gesponserten Glaubensfestes hingegen schon. Mich als Bahn-Vielfahrerin vergrätzt diese Finanzpolitik der Bahn.
Doch auch als Autofahrerin werde ich in Dortmund nicht glücklich. So wie viele andere, Auswärtige und Einheimische. Da der Kirchentag beschlossen hat, seinen zentralen Eröffnungsgottesdienst am Dortmunder Ostentor abzuhalten, herrscht in Dortmund Verkehrschaos. Statt dem Kirchentagsveranstalter für dieses Vorhaben seitens der Stadt einen Vogel zu zeigen und den Eröffnungsgottesdienst dorthin zu verlegen, wo größere Menschenansammlungen nicht weiter stören, kam die Stadt dem Wunsch des Kirchentags nach. Dies hat zur Folge, dass bereits seit Samstag der östliche Teil des Dortmunder Walls komplett gesperrt ist. Der Wall ist die zentrale Ringstraße rund um die Dortmunder Innenstadt und darüber hinaus eine zentrale Verkehrsachse für alle Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen in die Region. Man könnte meinen, es handle sich bei der Wahl dieses Veranstaltungsortes für den Eröffnungsgottesdienst um eine Machtdemonstration: Mitten drin sein in der Innenstadt, Präsenz zeigen, gegen jede Vernunft und die Empfehlungen der zuständigen Ordnungs- und Sicherheitskräfte, die – wie man munkeln hört – über die Wahl des Veranstaltungsortes einigermaßen entsetzt waren.
Zum Glück bin ich bereits früh am Tag in Dortmund und kenne mich ein wenig mit den Schleichwegen in der Stadt aus. Ich muss nämlich einmal quer durch die Stadt zum Pressezentrum des Kirchentags, um mich offiziell als Pressevertreterin registrieren zu lassen. Das steigert in der Kirchentagsstatistik zwar leider die Zahl der am Event interessierten Medienschaffenden, hat jedoch den Vorteil, dass ich für den Einlass in bestimmte Veranstaltungsbereiche nicht auch noch zahlen muss. Und 108 Euro für eine Kirchentagsdauerkarte möchte ich dann doch nicht ausgeben.
Nach diesem Vorspiel geht es endlich in die Innenstadt. Dort sind an zentralen Plätzen bereits die Veranstaltungsbühnen des Kirchentags aufgebaut. Ob sie – so stets das Ziel dieser Innenstadtbühnen – in den kommenden Tagen auch kirchentagsfernes Laufpublikum anziehen werden, wird sich zeigen. Während der letzten Kirchentage, an denen teilzunehmen ich die zweifelhafte Freude hatte, blieben die meisten Sitzgelegenheiten vor den Bühnen verwaist. Nun, wir werden sehen.
In der Innenstadt treffe ich auch auf die ersten Ausläufer des umfangreichen Gegenprogramms zum Kirchentag, das von regionalen und überregionalen säkularen Kräften auf die Beine gestellt wurde. Auf dem Westenhellweg, der zentralen Einkaufsstraße Dortmunds, steht ein Infostand der Gruppe "Religionsfrei im Revier" (RiR), die bundesweit durch ihre karfreitäglichen Brian-Aufführungen in Bochum bekannt wurde. Mit von der Partie am Stand sind Vertreterinnen und Vertreter vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V. (IBKA), der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) samt Skulptur eines bischöflichen Geldhamsters sowie vom Bündnis Altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BAStA).
Unweit des Infostands leistet das 11te Gebot seine inzwischen bei sämtlichen Katholikentagen und evangelischen Kirchentagen schon zur Tradition gewordene Aufklärungsarbeit. Mit ihrer rund 3 Meter hohen Mosesfigur inklusive Pappmaché-Steintafel mit dem elften Gebot "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen" protestiert die Aktionsgruppe gegen die massive öffentliche Finanzierung des Kirchentags. Mit im Gepäck haben die Aktivisten außerdem die Figur "Der nackte Luther", die provokant Martin Luthers gern unter den Tisch gekehrten Antisemitismus thematisiert. Beide säkularen Stände erfahren viele positive Reaktionen von kirchentagsgenervten Einheimischen. Allerdings gibt es auch Beschimpfungen. David Farago, der Schöpfer von Moses- und Luther-Skulptur, wird von einer Passantin als "abartiger Mensch" bezeichnet. Glücklicherweise in Hörweite der Polizei, so dass die Beleidigung sofort zur Anzeige gebracht werden kann.
Eigentlich wollten sowohl die Säkularen mit ihrem Infostand als auch die Aktiven vom 11ten Gebot heute am zentralen Reinoldikirchplatz stehen, doch die Polizei wies ihnen für diesen Tag andere Standplätze zu. Die Begründung: An dem zentralen Platz würden sie den Fluchtweg blockieren, falls beim Eröffnungsgottesdienst am Ostentor eine Panik entstünde.
Da die Stadt und auch der Reinoldikirchplatz mit Kirchentagszelten für den sogenannten "Abend der Begegnung" (das traditionelle Straßenfest in der Innenstadt nach dem Eröffnungsgottesdienst) gepflastert sind, die sich bei einer Massenpanik wahrscheinlich nicht in Luft auflösen würden, ist die Begründung allerdings recht fadenscheinig. Eher scheint es so, als habe man die Kirchenkritiker von den Kirchentagsbesuchern fernhalten wollen, um niemandem die religiös-verzückte Laune zu verderben.
Ohnehin scheint mir die Sorge vor flüchtenden Menschenmassen übertrieben. So wie ich auch die im Vorfeld kommunizierten Besucherzahlen nicht ganz glauben mag. Angeblich erwartete man 100.000 Kirchentagsteilnehmer. Doch an die zentrale Bühne am Ostentor kommt man während des Eröffnungsgottesdienstes um 17:30 Uhr erstaunlich nah heran. Auch der Hansaplatz, auf dem parallel ein weiterer Eröffnungsgottesdienst gefeiert wird, ist von einer Überfüllung weit entfernt.
Während die Christen nach dem Eröffnungsgottesdienst ihr abendliches Straßenfest beginnen, sammeln sich die Säkularen im Kino Schauburg. Dort wird an diesem Abend der viertägige "Ketzertag Dortmund 2019" eröffnet. Im vergangenen Jahr fand anlässlich des Katholikentags in Münster mit dem "Ketzertag Münster 2018" der erste deutsche Ketzertag statt. Mit religions- und kirchenkritischen Veranstaltungen setzte er dem staatlich finanzierten christlichen Großevent eine deutliche säkulare Stimme entgegen. Die erfolgreiche Veranstaltungsreihe wird nun in Dortmund fortgesetzt – veranstaltet von RiR, IBKA und gbs.
Nach der offiziellen Staffelstabübergabe von den Veranstaltern des Ketzertags 2018 an jene des Ketzertags 2019 in Form einer Flasche "Ketzertagsbräus" steht als erste Veranstaltung des säkularen Events der Bestsellerautor und Kirchenkritiker Philipp Möller auf dem Programm. "Schöner Schimpfen" heißt seine höchst unterhaltsame Performance, die eine provokante und humorvolle Einführung in die Kirchenkritik gibt und das amüsierte Publikum mitnimmt auf eine unglaubliche Reise durch die "Kirchenrepublik" Deutschland, die von einer Trennung von Kirche und Staat meilenweit entfernt ist.
Als ich die Schauburg gegen 21:30 Uhr verlasse und mich auf den Heimweg mache, werfe ich zuvor noch einen kurzen Blick in die Stadt. Eigentlich sollte das Stadtfest des Kirchentags ja bis ungefähr 23:00 Uhr dauern. Doch der einsetzende Regen sorgt dafür, dass viele das Event vorzeitig verlassen. Offensichtlich reichte der himmlische Draht der Kirchentagsveranstalter nicht bis zu Petrus.
8 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Endlich vernünftige Nachrichten!
(Einschließlich Gottesdienstpanik!)
Petra Janssen am Permanenter Link
Ein sehr erfrischender Bericht, vielen Dank dafür!
Ich hoffe sehr, dass beim nächsten Mal noch mehr "Ketzer" und noch weniger Reli.i.t.e. unterwegs sind.
Ute Soltau am Permanenter Link
Es ist immer wieder ziemlich erschreckend erstaunlich wie hartnäckig sich diese christliche Indoktrin hält.
als Jesus Christos bezeichnet. Es ist unglaublich, dass Menschen mit einer derartigen Persönlichkeitsstörung, Seminare abhalten dürfen, zumal mit Teilnehmerinnen die dringend einer professionellen psychotherapeutischen Behandlung bedürften.
Nachdem ich deutlich gemacht hatte, daß ich seine Indoktrin für pathologischen Unsinn hielte, hatte dieser Mann einseitig den Seminarvertrag aufgelöst, indem er mir das Geld zurück gegeben hat. Mit der Begründung, daß er mir für mein Geld keine entsprechende Leistung geben könne. Ganz
uneigennützig war das sicher nicht, denn er befürchtete zu Recht, daß ich erstens sein Seminar konterkarieren würde, und zweitens gegen ihn vorgehen könnte.
Bezeichnend scheint zu sein, daß er in der Schweiz! eine Zulassung als Heilpraktiker hat.
Gerade heute war auch hier wieder eine Gruppe Christen in der Stadt unterwegs, um diesen Irrsinn christlicher Doktrin anzubieten, wie sie sagen, und zu verbreiten.
Der neueste Trend ist ein Christentum ohne Kirche, was ich für viel gefährlicher halte, weil es als Argument benutzt wird, für eine geistige Welt mit Christentum. Das lässt sich Kirche wenigstens einordnen.
Diese Leute sind nicht in der Lage, die Welt und und vor allem sich selbst zu reflektieren, da sie derart fundamental überzeugt sind von der Bibel, der Auferstehung, dem ewigen Leben und der Vergebung der Schuld, somit keiner rationalen Argumentation zugänglich sind. Selbst historisches Bibelwissen bringt keine Zweifel. Das Wort EigenVerantwortung scheint ebenfalls ein Fremdwort zu sein.
Jedenfalls ist es wichtig, diesen vernebelten Leuten aufzuzeigen, wie wenig erwachsen und autonomes Handeln das ist.
Menschen brauchen dringend eine Alternative, daher halte ich die Arbeit der Giordano Bruno Stiftung und des Hpd für äußerst wichtig und auch die Gegenbewegung bei solchen Veranstaltungen.
Naturalismus, Realismus und humanistisch geprägte Ethik ist dringend erforderlich.
Dank an die Giordano Bruno Stiftung, allen voran Michael Schmidt - Salomon, den ich sehr schätze, und es eine Freude ist, seinen Vorträgen und seiner naturalistischen realen und intuitiven gesunden und erfrischend schlüssigen Argumentation zu einer realistischen und verantwortlichen Weltsicht zu folgen, zu erleben und zu erfahren.
Gerade junge Menschen sind für diese Jesus Doktrin und der Dreifaltigkeitsthese anfällig, daher ist es in einem säkularen Staat unbedingt notwendig, Privilegien von Religionen anzuschaffen.
Vielen Dank für eure Arbeit!
Ebenso Autoren wie Prof. Dr. Schulz und anderen Menschen, die sich von der christlichen Religion und Theologie zu Atheisten, entwickelt haben.
Menschen, die sich nicht haben infizieren lassen, sind Agnostiker oder Non. theistInnen, was eine geistige Essenz nicht ausschließen möchte, wenn sie auf einer universellen universalen und naturwissenschaftlen Ebene gesehen wird, eben in der evolutionären "Schöpfung" und in der Natur.
U. S.
Ute Soltau am Permanenter Link
Sehr sympathisch und beeindruckend rhetorische schlüssig, sowie eingängig dazu, finde ich ebenfalls Prof.
"Warum ich kein Christ sein will"
Buch und Video YouTube
Youtube
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Vielen Dank an alle Mitwirkenden, die sich nicht haben abschrecken lassen! Und statt jener Gottes-dienste ihre Dienste an Menschen angeboten haben.
G.B. am Permanenter Link
Schöner und trefflicher Kommentar, meine volle Zustimmung, Danke!
Leon Klenner am Permanenter Link
Wo wollen Sie denn da nah an die Bühne gekommen sein? Sie stehen doch meilenweit entfernt. Wahrscheinlich waren Sie sogar schon zwei Stunden vorher da um wenigsten die Bühne sehen zu können.
Ute Soltau am Permanenter Link
Wo stehen Sie denn??