Ethik soll gleichwertige Alternative zu Religion werden

Bayerische Grüne wollen Ethikunterricht aufwerten

Politiker neigen dazu, niemandem auf die Füße treten zu wollen, jedenfalls nicht den potenziellen Wählern. Kaum ein Vorhaben ist eine heiklere Sache als der Abbau von Privilegien. Und wenn sich eine Reform nicht vermeiden lässt, dann möglichst auf eine Weise, die den Anschein wahrt, niemandem etwas wegzunehmen, sondern vielmehr sogar etwas zu geben.

In diese Tradition passt der Antrag der Landtagsfraktion der bayerischen Grünen vom 6. Juni 2019. Überschrieben ist er mit "Ethische Bildung und Wertevermittlung an unseren Schulen stärken – Qualitätsoffensive für den Ethikunterricht in Bayern". Die erste Forderung an die Bayerische Staatsregierung lautet: "Ethikunterricht nicht als Ersatzfach, sondern als gleichwertige Alternative (Wahlpflichtfach) zum Religionsunterricht in den Schulen anzubieten".

Begründet wird die Forderung damit, dass es für ein friedliches Miteinander "Reflexion, Wissen und Diskussionen über unterschiedliche Weltanschauungen" braucht. "Auch und vor allem im jungen Alter und nicht zuletzt in einem geschützten und moderierten Raum, den die Schule idealerweise bietet, können die Grundlagen für ein friedliches Miteinander erarbeitet werden", heißt es weiter.

Mutig geht es im nächsten Absatz zur Sache: "In unseren Schulen muss ein aufgeklärter, kritischer Umgang mit Weltanschauungen gelehrt und gelernt werden. Toleranz, Verständnis und Kritikfähigkeit gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden können nur wachsen, wenn dem Umgang damit in unseren Bildungseinrichtungen ein angemessener Raum gegeben wird."

Doch leider hält der Antrag an der alten Fehleinschätzung des Religionsunterrichts fest. Dass ihm dieselben Erfolge zugeschrieben werden wie dem Ethikunterricht, beruht auf Wunschdenken. Im Fraktionsantrag heißt es, dass Ethik und bekenntnisorientierter Religionsunterricht dabei nicht im Gegensatz zueinander stünden. Beide Fächer seien unverzichtbar, um junge Menschen an eine Welt heranzuführen, die immer komplexer werde. "Beide Fächer helfen ihnen, klare Standpunkte zu entwickeln und zu vertreten, sowie dadurch zu werteinsichtigem Urteilen und Handeln in unserer Gesellschaft befähigt zu werden."

Statt den Religionsunterricht aufzuwerten, hätte der Hinweis auf die Verfassungslage genügt, denn die Garantie des Religionsunterrichts nach Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz gilt auch für Bayern. Die Rechtslage ist jedoch das Eine – der Ertrag des Unterrichts steht jedoch auf einem anderen Blatt. Den Schülern bringt jedoch das Fach Ethik viel mehr als das Fach Religion. Das jedenfalls geht aus der Repräsentativbefragung der Theologischen Fakultät Tübingen hervor. Befragt wurden 7246 Schüler der 11. und 12. Klasse von Berufsschulen sowie von Berufsbildenden und Allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg. Danach sind Ethikschüler deutlich interessierter als Religionsschüler. Die knapp 1.100 befragten Schüler mit Ethikunterricht bewerten ihren Unterricht in allen sieben angeschnittenen Punkten besser als die rund 6.000 Schüler mit Religionsunterricht. Bei spannenden Themen und Denkanstößen liegt der Ethikunterricht weit vorn. Während der Religionsunterricht 46 Prozent der Schüler persönlich wenig bringt, ist das nur bei 32 Prozent der Ethikschüler der Fall (JGR, S. 110).

Gespräche über Gott passen nicht in eine alles andere als intime Schul- und Klassenatmosphäre.

Einer der wichtigsten Gründe dürfte sein, dass die Schüler an Glaubenswahrheiten, die die Religionslehrer vermitteln sollen, zunehmend kein oder kein großes Interesse haben. Gespräche über Gott passen nicht in eine alles andere als intime Schul- und Klassenatmosphäre. Diese – für sie frustrierende – Erkenntnis führt dazu, dass die Religionslehrkräfte den Zeitrahmen, den der Lehrplan für die Ethikinhalte vorsieht, im praktischen Unterricht zulasten der Glaubensinhalte weit überziehen.

Der Fraktionsantrag der bayerischen Grünen ist zwar nur ein halber Schritt hin zu einem verpflichtenden Unterrichtsfach Ethik für alle Schülerinnen und Religionsunterricht als Wahlfach. Doch dieser halbe Schritt legt den Grundstein dafür, dass das angestrebte Ziel in absehbarer Zeit erreicht werden kann. Eine Gleichwertigkeit von Ethik und Religion würde es Lehramtsstudierenden bereits ermöglichen, das Fach Ethik mit anderen Fächern, zum Beispiel Deutsch und Geschichte, zu kombinieren.

Leider unterrichten in Bayern drei von vier Ethiklehrkräften bisher fachfremd, das heißt ohne geeignete Ausbildung oder Studium. Ethik ist als Ersatzfach für den bekenntnisorientierten Religionsunterricht konstruiert. Es braucht etliche Jahre, um eine angemessene universitäre Ausbildung aufzubauen. Die finanziellen Mittel dazu müssten eigentlich nur umgeschichtet werden: von den finanziell luxuriös ausgestatteten Theologischen Fakultäten mit kontinuierlich abnehmenden Studierendenzahlen hin zu den Philosophischen Fakultäten, die häufig um jeden Euro kämpfen müssen.

Auch wenn säkular denkende Menschen mit dem halben Schritt der grünen Landtagsfraktion nicht zufrieden sein können, sollten sie derartige Initiativen grundsätzlich unterstützen. Nicht nur mangels Alternativen, sondern auch eingedenk der Tatsache, dass evolutionäre Veränderungen in der Regel einer Unzahl kleiner Trippelschritte bedürfen.

Siehe auch:
JGR: Jugend – Glaube – Religion; Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht, ISBN 978-3-8309-3776-0, Waxmann Verlag, 2018